Schwarzenburg: Gigaherz-Jakob vs. Bewilligungsbehörde (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 03.09.2023, 20:23 (vor 255 Tagen)

In der Schweiz regelt der Bund den Immissionsschutz und die Emissionsbegrenzung von Mobilfunksendeanlagen. Für die Bewilligung von Mobilfunkbauvorhaben sind hingegen die Kantone und Gemeinden zuständig und der Antragsteller hat einen Rechtsanspruch auf Bewilligung, solange sein Bauvorhaben die gesetzlichen Bestimmungen erfüllt. Selbsternannte Experten stacheln dennoch die Bevölkerung dazu auf, Mobilfunkbauvorhaben mit Einsprachen zu stoppen. Ein konkreter Fall spielte sich vor nicht allzu langer Zeit in Schwarzenburg, Kanton Bern, ab. Hier ist die kontroverse Geschichte dazu, in der es auch um Sitte und Anstand geht.

Schwarzenburg ist die Heimat des Anti-Mobilfunk-Vereins Gigaherz. Dessen Präsident Hans-U. Jakob, ein greiser Ex-Elektriker, steht mit der Justiz und den Bewilligungsbehörden seit eh und je auf Kriegsfuß. Entscheidet ein Gericht oder eine Behörde begründet zugunsten der Mobilfunknetzbetreiber, entlädt sich der Zorn Jakobs üblicherweise in Beschimpfungen. Der Ex-Elektriker sieht sich dann in aller Regel von überforderten Dilettanten umgeben, die keine Ahnung hätten und nur das Nachplappern würden, was Industrievertreter ihnen einflüsterten. Belege für derartige Entgleisungen des Präsidenten finden sich reichlich auf der Website seines Vereins.

Angriff des Gigaherz-Präsidenten

Die "überforderte" Bewilligungsbehörde seines Heimatorts, das ist konkret die Hochbau- und Planungskommission (HRK) von Schwarzenburg, geriet am 25. August 2023 ins Visier Jakobs. Gegen ein Mobilfunkbauvorhaben, schreibt er, soll es dort vor einem Jahr eine Reihe "fundierter und mit viel Beweismaterial versehene Einsprachen" gegeben haben. Jakob weiter:

Die Kommission weigerte sich kurzerhand die Einsprachen anlässlich einer Kommissionssitzung zu behandeln und schrieb ganz einfach, Zitat: Da die Baubehörden nicht über das Fachwissen verfügt, um die Datenblätter zu überprüfen wurde das Baugesuch an das Amt für Umwelt und Energie, Abteilung Immissionsschutz zur Stellungnahme weitergeleitet. Der Fachbericht liegt vor. Der Einsprachepunkt wird als öffentlich-rechtlich unbegründet beurteilt. Ende Zitat.

Frage: Wenn die Hochbau- und Raumplanungskommission schon offiziell zugibt, nicht einmal über das minimal nötige Fachwissen zu verfügen, um die Standortdatenblätter zu prüfen, die das Fundament jedes Antennenbaugesuchs bilden, dann sei die Frage erlaubt, wie dann diese Kommission feststellen kann, ob ein Fachbericht glaubhaft ist und ob ein Einsprachepunkt öffentlich-rechtlich unbegründet ist ...

Ignoriert: Auf die den Einsprechenden zustehenden Schlussbemerkungen wurde von der Hochbau- und Raumplanungskommission gar nicht erst eingetreten. Mit der Begründung, Zitat: In der Schlussbemerkung wurden haltlose Vorwürfe gegen Behörden und Verfahrensbeteiligten vorgebracht. Gestützt auf Art 33 VRPG auf die Schlussbemerkungen nicht eingetreten, da die Eingabe Anstand und Respekt vermissen lässt. Ende Zitat.

Kommentar: Der Hochbau und Raumplanungskommission scheint es nicht nur an fehlenden Kenntnissen in der Funktechnik zu mangeln sondern auch noch an Kenntnissen in der deutschen Grammatik. Auch hier sei die Frage erlaubt, wie die Hochbau- und Raumplanungskommission, der nach ihren eigenen Angaben die Grundkenntnisse in der Funktechnik fehlen, feststellen will, ob Vorwürfe gegen Behörden und Verfahrensbeteiligte haltlos oder sogar respektlos sind?

Die nächste Instanz, das Rechtsamt der Bau- und Verkehrsdirektion (Regierungsrat) sah das auch so und hat dann, weil sich der Vorsteher der Hochbau- und Raumplanungskommission weiterhin weigerte, seine Arbeit zu machen, die Behandlung der Einsprachen und Repliken gleich selber an die Hand genommen. Der Vorsteher in Schwarzenburg hat unterdessen seinen Rücktritt angekündigt.

Soweit der Sachverhalt aus Sicht des Gigaherz-Präsidenten.

Wenn Sitte und Anstand auf der Strecke bleiben ...

Stammleser dieses Forums werden mir beipflichten: Wer schon einmal in den Genuss kam, Zielscheibe des häufig überschäumenden Temperaments von Hans-U. Jakob zu sein, der kann sich lebhaft vorstellen, die oben erwähnte Schlussbemerkung der Einsprecher, die "Anstand und Respekt" vermissen lässt, wurde von niemand anderem als Jakob selbst verfasst. Glücklicherweise gibt es seit Mai 1989 im Kanton Bern mit Artikel 33 des Gesetzes zur Verwaltungsrechtspflege (VRPG) ein Instrument, das Behörden die Zurückweisung von Sitte und Anstand verletzenden Eingaben erlaubt.

[image]Wer in die Schusslinie Jakobs gerät, schweigt üblicherweise und verteidigt sich nicht öffentlich. Ein möglicher Beweggrund dafür könnte die Sorge sein, dass jede Reaktion nur zu einer fruchtlosen Diskussion mit dem Angreifer führt, was Jakob womöglich als Aufwertung seiner Person deutet. Ein anderer Beweggrund wäre: Was juckt es den Mond, wenn nachts ein Hund ihn anbellt. Auch Daniel Rebetez, Präsident der von Jakob angegriffenen HRK in Schwarzenburg, wäre wohl schweigsam geblieben, hätte das IZgMF ihn nicht um Stellungnahme zu den Vorwürfen gebeten.

Daniel Rebetez (Bild: Mirjam Zurbruegg)

Beweggründe für den Rücktritt des Kommissionsvorstehers

Der Kommissionsvorsteher hat seinen Rücktritt von allen Gemeindeämtern zum Jahresende 2023 tatsächlich angekündigt. Doch stimmt es, wie Jakob suggeriert, dass dieser Rücktritt im Zusammenhang mit dem Streit um die Einsprachen gegen das Schwarzenburger Mobilfunkbauvorhaben steht? Nein, sagt Rebetez, das stimme nicht. Sein Rücktritt als Gemeinderat habe überhaupt nichts damit zu tun. Nach bald sieben Jahre im Amt und seit drei Jahre in Pension wolle er nur endlich mehr Zeit für seine vierzehn Enkelkinder haben.

Die Anschuldigungen des Gigaherz-Präsidenten und seinen Rundumschlag gegen die Bewilligungsbehörden sieht Rebetez gelassen. Das sei für ihn nicht Neues. Er und die HRK nähmen indes die Sorgen und Vorbehalte gegenüber der 5G-Technik in der Bevölkerung sehr ernst. Die HRK habe deshalb dieses Jahr Daniel Laubscher, einen schweizweit bekannter Mobilfunkkritiker anlässlich einer Kommissionssitzung eingeladen und ihm die Möglichkeit gegeben, seine Argumente vorzutragen. Auf Einladung der HRK seien anschließend auf einer Besprechung mit Vertretern der drei Mobilfunkanbieter die Argumente Laubschers diskutiert worden.

Aus meiner Erfahrung mit dem Gigaherz-Präsidenten sehe ich bei der Motivation seines Feldzugs gegen Funkwellen aller Art eine gehörige Portion Geltungsdrang. Für ihn muss die Einladung der HRK nicht an ihn, den ortsansässigen "Doyen", sondern an Laubscher, der aus Büren an der Aare mit dem Auto knapp eine Stunde anreisen musste, eine Provokation gewesen sein. Gut möglich, dass dieser Vorfall den Ex-Elektriker zu seiner Kritik an der HRK Schwarzenburgs inspiriert hat.

Entgegnung der HRK Schwarzenburg

Jakobs Vorwurf, die Baubewilligungsbehörden hätten von Funktechnik und deren Grenzwerten keine Ahnung, zeigt nach Einschätzung von Rebetez, dass der Gigaherz-Präsident seinerseits keine Vorstellung davon habe, wie diese Behörden arbeiten. Gleichermaßen könnte man diesen zu Unrecht vorwerfen, sie hätten keine Ahnung von Baustatik, Erdbeben- und Brandsicherheit, Wasser- und Abwasserversorgung, Photovoltaik, Denkmalschutz und dergleichen. Richtig ist, so der Kommissionsvorsteher, es sei vielmehr eine zentrale Aufgabe von Baubewilligungsbehörden, bei den spezialisierten Fach- und Amtsstellen deren Einschätzung und Genehmigungen einzufordern und gestützt darauf den Baubewilligungsentscheid zu treffen.

Rebetez weiter: Die HRK beurteile Baugesuche von Mobilfunkanbieter wie jedes andere Baugesuch auf der Grundlage der geltender Vorschriften von Bund, Kanton und Gemeinde. Wird gegen ein Bauvorhaben Einsprache erhoben, so werde allen Beteiligten die Möglichkeit gegeben zur Einsprache Stellung zu nehmen. Entspricht das Baugesuch den rechtlichen Rahmenbedingungen und fallen die Fach- und Amtsberichte positiv aus, werde eine Einsprache als unbegründet abgewiesen. Die Einsprechenden hätten dann die Möglichkeit, bei der kantonalen Bau- und Verkehrsdirektion Beschwerde einzureichen und gegen Entscheide des Kantons das Bundesgericht anzurufen. Dieses habe im Februar 2023 hierzu ein wegweisendes Urteil zu einem Mobilfunkbaugesuch in der Gemeinde Steffisburg gefällt und die Beschwerde abgewiesen.

Wurde die HRK von der BVD tatsächlich kaltgestellt?

So weit, so gut. Doch wie sieht der Kommissionsvorsteher die von Jakob in der Schlusspassage seines Kommentars (siehe oben) aufgestellte Behauptung, die übergeordnete Instanz (Bau- und Verkehrsdirektion des Kantons Bern, BVD) habe der HRK wegen Untätigkeit faktisch das Verfahren entzogen und dessen Weiterbehandlung übernommen?

Dazu wendet Rebetez ein, das Verfahren bei einer Beschwerde läge immer bei der zuständigen Beschwerdeinstanz. Dies sei auch logisch nachvollziehbar, da gegen die HRK und deren Entscheid, später auch gegen den Entscheid der BVD vorgegangen werde. Die Aussage von Herrn Jakob sei daher unverständlich und völlig fehl am Platz. Zur Bekräftigung seiner Einschätzung schildert der Schwarzenburger Gemeinderat dem IZgMF die Chronologie eines aktuellen noch nicht abgeschlossenen Verfahrens, um detailliert Auskunft zu geben, wie Einsprachen und Beschwerden in der schweizerischen Rechtspflege behandelt werden:

► Das Baugesuch für eine Mobilfunkanlage wird bei der Bauverwaltung Schwarzenburg eingereicht. Es wird im Anzeiger sowie im Amtsblatt publiziert.
► Die Bauverwaltung Schwarzenburg stellt mit verfahrensleitender Verfügung die Zuständigkeit der Hochbau- und Planungskommission (vom Gemeinderat gewählte Kommission aus sieben Personen mit Entscheidungskompetenz) zur Behandlung des vorliegenden Baugesuchs fest und holt die erforderlichen Amts- und Fachberichte bei den zuständigen Stellen des Kantons ein. Während der öffentlichen Auflage gehen Einsprachen ein.
► Die Einsprachen werden der Bauherrschaft (Mobilfunkanbieter) zur Stellungnahme gesandt. Die Stellungnahme wird der Baubehörden eingereicht und den Einsprechern zur Kenntnis versandt.
► Die Bauherrschaft hält fest, dass es sich bei der Kollektiveinsprache um eine Form von Standardeinsprachen handelt, wie sie schweizweit zu jeder Antennenanlage eingereicht wird. Die Bauherrschaft bestätigt zudem, dass die geltenden Vorschriften und Grenzwerte jederzeit eingehalten werden.
► Die HRK beschließt, sämtliche Einsprachen als öffentlich-rechtlich unbegründet abzuweisen und die Baubewilligung für die Mobilfunkanlage zu erteilt. Anschließend wird die Baubewilligung der Bauherrschaft und den Einsprechenden eröffnet.
► Die Einsprechenden erheben fristgerecht Beschwerde gegen den Entscheid bei der Bau- und Verkehrsdirektion des Kantons Bern (BVD).
► Die Gemeinde Schwarzenburg wird von der BVD aufgefordert, eine Stellungnahme zur Beschwerde und die vollständigen Bauakten einzureichen.
► Die Gemeinde Schwarzenburg reicht die Bauakten ein und die HRK verzichtet auf eine Stellungnahme, da aus ihrer Sicht die Argumente der Beschwerdeführenden praktisch identisch mit der Einsprache sind.
► Mit einer Verfügung von der BVD erhalten die Beteiligten die Möglichkeit, sich abschließend zum Verfahren zu äußern.
► Die Gemeinde Schwarzenburg informiert die BVD, dass sie erneut auf eine Stellungnahme verzichtet. Die Einsprecher halten an ihren Anträgen fest.
► Mit Entscheid der BVD wird die Beschwerde der Einsprechenden in allen Punkten abgewiesen.
► Die Beschwerdeführenden reichen fristgerecht Beschwerde an die nächste Instanz ein (Verwaltungsgericht Bern). Das Verwaltungsgericht fordert die Beteiligten (inklusive der BVD) auf, eine Stellungnahme einzureichen. Die Gemeinde wird befugt zur Verwaltungsbeschwerde Stellung zu nehmen. Die HRK erklärt in ihrer Stellungnahme, dass die Baubewilligung aufgrund der vorliegenden Fachberichte erteilt wurde.
► Ausgang des Verfahrens noch offen ... (Stand: 30.08.2023)

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Schwarzenburg: Gigaherz-Jakob vs. Bewilligungsbehörde

Gast, Dienstag, 05.09.2023, 15:16 (vor 254 Tagen) @ H. Lamarr

► Die Einsprechenden erheben fristgerecht Beschwerde gegen den Entscheid bei der Bau- und Verkehrsdirektion des Kantons Bern (BVD).

Eine Beschwerde bei der BVD ist für den Einsprechenden noch kostenlos. Beim Verwaltungsgericht ist hingegen ein Gerichtskostenvorschuss von Fr. 3'500 einzuzahlen. Wenn die Beschwerde abgelehnt wird werden davon die Gerichtskosten bezahlt, allenfalls wird noch eine Nachzahlung fällig.

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