Elektrosmog-Vorträge: Blenden mit Doktortitel (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Freitag, 25.10.2019, 13:21 (vor 1617 Tagen)

Auszug aus einem Veranstaltungskalender auf Made in Bocholt (Datum unbekannt):

[...] Noch mehr Fortschritt verspricht die 5G-Technik. Doch was ist mit den Auswirkungen von elektromagnetischer Strahlenbelastung, dem sog. Elektrosmog? Darüber berichtet Dr. Beate Hannemann, Baubiologin und Heilpraktikerin, am Dienstag, 5. November, im Gesundheitszentrum LUDGERUSHOF Spork (Glockenstraße 6a) im Rahmen der Reihe „Gesundheitsstammtisch“. Sie gibt Tipps und zeigt Lösungen, wie sich mit einfachen Mitteln Gefahren von Elektrosmog im Alltag vermeiden lassen. Beginn der zweistündigen Veranstaltung ist um 19 Uhr, die Teilnahme kostet 5 Euro. [...]

Hannemann, geh' du voran.

Wenn Frau Doktor über Elektrosmog spricht, dann ist das zweifellos ernster zu nehmen, als wenn Tante Trude aus Buxtehude dies tut. Gemäß Schopenhauers Kunstgriff 30 bedeutet der diskrete Wink mit dem Doktorgrad: Statt der Gründe brauche man Autoritäten nach Maßgabe der Kenntnisse des Gegners. Hat der Gegner (hier Besucher der Veranstaltung) keine Ahnung von Elektrosmog, genügen anstelle kompetenter Autoritäten auch schon vermeintliche, um den Gegner einzuschüchtern, zu überrumpeln und gefügig zu machen.

Machen wir die Probe aufs Exempel: Da der Doktortitel ohne Angabe der Fachrichtung genannt wird und Frau Hannemann als "Baubiologin und Heilpraktikerin" vorgestellt wird, ist die Vermutung nicht ganz abwegig, sie habe ihren Doktor in Medizin gemacht. Mediziner haben von Sachfragen zum Elektrosmog zwar wenig Ahnung, einige erwecken aber zumindest den Eindruck, Bescheid zu wissen.

Gemäß Eigendarstellung ist Frau Hannemann jedoch keine Medizinerin, sondern: Studium Lehramt an Gymnasien mit erstem und zweitem Staatsexamen. Promotion in italienischen Literatur-, Musik- und Kulturwissenschaften.

Ihre akademische Bildung (Doktorgrad) ist damit für Elektrosmog-Sachfragen zu 100 Prozent ohne Belang, auch wenn sie damit ungeniert kokettiert.

Frau Hannemann hat sich lediglich auf eigene Kosten (etwa 3000 Euro) in einer privaten Weiterbildungseinrichtung per Fernlehrgang von den Geisteswissenschaften auf Naturwissenschaften umprogrammieren lassen. Das kann jedermann tun, Arbeitslose, Handwerker oder Verwaltungsfachangestellte, denn "Baubiologe" ist kein anerkannter Ausbildungsberuf. Diese Weiterbildung ist mutmaßlich besser als Nichts, ersetzt jedoch keine qualifizierte fachlich zum Thema passende Hochschulbildung. Aus meiner Sicht ist die Referentin somit eine Autodidaktin, die von der Weiterbildungseinrichtung (IBN, Rosenheim) auf Alarm gebürstet wurde und nun versucht, die ihr entstandenen Kosten wieder herein zu bekommen.

Das dazu praktizierte Geschäftsmodell ist seit langem bekannt: Zuerst irrationale Ängste gegenüber Elektrosmog wecken, dann ebenso überflüssige wie kostspielige Schutzmaßnahmen gegen das vermeintliche Risiko anbieten. Verboten ist dies nicht, ob es anständig ist, muss jeder für sich entscheiden. Gesetze schützen nur die Dummen, nicht diejenigen, die zu faul sind, sich kritisch zu informieren und lieber freiwillig einwickeln lassen. Im konkreten Fall sollen die potenziellen Opfer der Werbeveranstaltung sogar noch Eintritt zahlen. Wer auch dieses Warnsignal missachtet hat nichts Besseres verdient.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Geschäftsmodell, Fernlehrgang, Blendwerk, Netzwerk, IBN, Heilpraktiker, Kompetenzgefälle, Hannemann, Kunstgriff

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