Splitter aus dem Lexikon der Gehirnwäsche (Allgemein)
Denkhemmer sind Denkhammer
Besinnliche Splitter aus dem kleinen Lexikon der Gehirnwäsche
Von Dr. Angelika Schrodt
Es gibt Killerphrasen, die, wenn sie ins Spiel kommen, das Weiterdenken sofort unterbinden. Zunächst ist das ein denkökonomischer Vorgang, denn wenn man einmal eine Sache zuende gedacht hat, braucht man sich das nächste Mal nicht mehr weiter damit zu befassen. Dann hat man eine Meinung, und fertig. Nun schleichen sich aber manche Worte ein, die das Weiterdenken hemmen ("Denkhemmer") indem sie den Anschein erwecken, dass man die Sache schon zuende gedacht und sich bereits eine Meinung gebildet hätte, obwohl beides keineswegs der Fall ist. Passiert das häufiger, denn kommt man ohne grossen Aufwand zu einer Weltanschauung, ohne die Welt weiter angeschaut zu haben. Das Gute daran ist, dass man dort schon fertig ist, wo andere noch angestrengt weiterdenken müssen. Für diese Art der Denkökonomie sind Killerphrasen charakteristisch. Mit Killerphrasen erschlägt man nämlich unerwünschte Denkprozesse, und zwar bei sich selbst und bei den anderen ebenso. Auf diese Weise wird ein Denkhemmer zum Denkhammer, z.B.:
E - wie Esoterik
Zur Esoterik zählt man den Bereich, über den die Wissenschaft noch nichts Genaues weiss und über den sie sich daher auch nicht wirklich äussern kann. Der Esoteriker ist demzufolge jemand, der über den Tellerrand der wissenschaftlichen Lehrbuchmeinung hinausblickt und dort etwas sieht. Sieht er dort etwas, dann kann dort tatsächlich etwas sein - oder auch nicht. Interessant sind nun die Reaktionen der Zuschauer, die selber nicht über diesen Tellerrand sehen können: Sie müssen entweder glauben oder nicht glauben, dass da etwas zu sehen ist. Glaubt der Zuschauer, dass da etwas ist, ist der Weitsehende für ihn ein Visionär, glaubt er nicht, dass da etwas ist, nennt er ihn einen Esoteriker, oder weniger elegant ausgedrückt, einen "Spinner", wonach man nicht weiterzudenken braucht.
M - wie Magie
Magie heisst "Meisterschaft" und der Magier ist demzufolge der Meister. Was ist der Unterschied zwischen Magie und Technologie? Nehmen wir an, jemand erzielt wiederholt und systematisch eine Wirkung, die sich der Beobachter irgendwie erklären kann. In diesem Fall sagt der Beobachter, es handele sich um eine tolle Technik (unbenommen bleibt, ob die technische Erklärung des Beobachters tatsächlich zutrifft oder nicht, viele Erklärungen werden mit der Zeit ausgewechselt). Kann sich der Beobachter dagegen die Wirkung nicht erklären, spricht er von Zufall (vgl. dazu Z - wie Zufall) oder Zauberei. Fazit: Es hängt also von Verständnis bzw. vom Wissen (vgl. dazu Nicht-Wissen) des Beobachter ab, ob er eine Wirkung als Technologie oder als Magie einordnet.
N - wie Nicht-Wissen
Man weiss eben nicht, was man nicht weiss, sonst wüsste man es ja.
S - wie Skeptiker
Skeptiker glauben nicht alles, es sei denn, sie hätten es selber zuvor geprüft. Daher sind Skeptiker Realisten, die nicht jeder Meinung auf dem Leim gehen. Natürlich ist das schmeichelhaft und daher erstrebenswert. Der Skeptiker prüft daher selber, während der Gläubige eine Autorität prüfen lässt, um sich dann der "geprüften" Meinung der Autorität anzuschliessen, was auch denkökonomisch ist. Also der Unterschied ist, dass der Skeptiker selber prüft. Daher prüfe also jeder Skeptiker, ob er selber geprüft hat, oder ob er in Wirklichkeit ein verkleideter Gutgläubiger ist.
V - wie Verschwörungstheorie
Gibt es oder gibt es keine Verschwörungen? Eine Verschwörung ist das geheime Bemühen eine Gruppe von Leuten, gemeinsam etwas zu erreichen, ohne dass jemand anderes etwas davon merkt. Verschwörer sind demzufolge Leute, die verdeckt vorgehen und die verhindern wollen, dass die Öffentlichkeit von ihrem Tun erfährt. Sie halten ihr Wissen zurück und legen falsche Spuren. Dabei benutzt man übrigens auch Denkhemmer, weil es für Verschwörer von grossem Vorteil ist, wenn die aufgeklärte Öffentlichkeit nicht an Verschwörungen glaubt. Wenn nun doch jemand etwas merken sollte und Verdacht äussert, dann ist man nach Kräften bemüht, diesen als "Spinner" hinzustellen. Geling ihnen das, dann wird der Denkhemmer zum Denk-hammer, was zweifellos Wirkung zeigt. Daher glauben nur Naive oder "Spinner" heutzutage an Verschwörungen, "aufgeklärte" Leute dagegen sind bei dem Wort "Verschwörung" sofort denkgehemmt, d.h. sie stoppen das Denken reflexhaft. Wer dennoch weiterfragen sollte, den nennt man konsequenterweise einen "Verschwörungstheoretiker" und lächelt nachsichtig, weil man es ja selber viel besser weiss.
Z - wie Zufall
Setzen wir jemanden an einen Monitor, zeigen ihm eine Zeichenfolge und geben ihm die Aufgabe herauszufinden, ob es eine Regel in der Abfolge gibt oder nicht, dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder er findet eine Regelmässigkeit, z.B. nach dem 10. Zeichen wiederholt sich das Ganze, oder er findet keine Regelmässigkeit. Im ersten Fall ist die Sache klar (nach dem 10. Zeichen wiederholt sich die Zeichenreihe). Findet er keine Regelmässigkeit, kann das daran liegen, dass er schon nach dem 9. Zeichen die Geduld verliert, aufsteht und mit der Meinung, es handele sich um eine zufällige Zeichenfolge, weggeht. Zu dem gleichen Ergebnis, es handele sich um eine zufällige Zeichenfolge, käme er übrigens auch, wenn er zwar länger sitzen bleibt, aber den Anfang der Zeichenfolge schon vergessen hat, wenn sie beginnt sich zu wiederholen. Also was ist Zufall? Zufall ist offenbar das, was wir nicht in der Lage sind abzubilden, warum auch immer. Solange wir eine Regel (noch) nicht entdeckt haben, können wir nicht sagen, ob sie existiert oder nicht.
Und nun noch ein Zitat aus "Die Physiker" von Friedrich Dürrenmatt:
"Je planvoller die Menschen vorgehen, desto unvermittelter vermag sie der Zufall zu treffen.
Weitere Beispiele in: "Wie wirklich ist die Wirklichkeit" von Paul Watzlawick,
Ich wünsche allen ein frohes und besinnliches Osterfest
Angelika Schrodt
Dr. Angelika Schrodt hat sich nach zehnjähriger Berufserfahrung in der Psychiatrie im Fachbereich Neurophysiologie weiter spezialisiert. Im Rahmen ihrer Tätigkeit als Polizeipsychologin hatte sie die Gelegenheit einer Weiterbildung im San Francisco Police Departement (USA). Inspiriert vom Modell des Critical Incident Stress Managements (CISM) begann sie anfangs der 90er-Jahre mit dem Aufbau eines europaweiten Netzwerks für Notfallpsychologie. Nach der Lancierung zweier EU-Projekte (Peer Support Counsellor und Europäisches Netzwerk Notfallpsychologie) gründeten 43 Aktionäre im Jahr 2000 die Netzwerk Psychologie AG mit Sitz in Kreuzlingen (CH) und Dr. Angelika Schrodt als geschäftsführender Direktorin.
Warum eine E-Mail-Adresse von Frau Dr. Schrodt aber ausgerechnet netzwerk-psychologie@vodafone.de lautet, das versucht das izgmf gegenwärtig bei der Autorin herauszubekommen.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –