Verwaltungsakte Mobilfunk: Wo unsere Steuern flöten gehen (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Samstag, 23.04.2016, 12:57 (vor 2918 Tagen)

In diesem Sammelstrang geht es darum, wie Ämter und Behörden auf Eingaben und Beschwerden von Mobilfunkgegnern reagieren. Sie tun dies in aller Regel auch dann erstaunlich bierernst, wenn die Ansinnen aus der Bevölkerung sonderbar oder abwegig erscheinen. Die Bearbeitung der Eingaben und Beschwerden von Mobilfunkgegnern, die alle ein Handy haben und deshalb besser Sendemastengegner heißen, verursacht keine Kosten, weil die Bearbeiter ohnehin da sind und bezahlt werden müssen. Eine Milchmädchenrechnung: Tatsächlich dürften Sendemastengegner, die Ämter und Behörden querulatorisch mit sinnfreien Anfragen und Anträgen piesacken, dem Steuerzahler rückblickend schon Millionen gekostet haben.

Die hier gesammelten Belege sind keineswegs repräsentativ, schon gar nicht vollzählig, sondern nur das Ergebnis willkürlicher Spaziergänge im www. Ziel ist es, einen kleinen Einblick in den Alltagswahnsinn zu geben, denen staatliche Stellen sich ausgesetzt sehen, geraten sie ins Blickfeld aufgestachelter Wutbürger, hinter denen sich zuweilen gewiefte Geschäftemacher verstecken.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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Geschäftsmodell, Wutbürger, Steuerverschwendung, Steuer, Vermittler, Sonderbotschafter, Opium

München: Gräfelfinger Modell auf München ausdehnen

H. Lamarr @, München, Samstag, 23.04.2016, 18:23 (vor 2917 Tagen) @ H. Lamarr

Vorgeschichte: Gräfelfing ist eine Gemeinde im Speckgürtel von München, die mit dem "Gräfelfinger Modell" (Standortkonzept für Mobilfunkmasten) ab etwa 2002 in der Anti-Mobilfunk-Szene Deutschlands einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangte. Das Konzept, dessen Mehrwert für die Bevölkerung auch nach rd. 15 Jahren nicht ersichtlich ist, ernährt gelegentlich noch immer einige lokale Nutznießer der Angst vor Elektrosmog, z.B. den Verein Umweltinstitut München.

Von Anfang an gab es Bestrebungen, den weitaus größeren Wirt München mit diesem Standortkonzept zu infizieren und so für "Gutachter" und Rechtsanwälte, die an Gräfelfing üben konnten, eine weitaus ergiebigere Melkkuh zu schaffen. Die kleinen südlich gelegenen Nachbargemeinden Planegg und Krailling konnten bereits erfolgreich mit weiteren Mobilfunk-Standortkonzepten, die ebenfalls nur Steuergeld verschwenden, infiziert werden. Weiterer Profit winkt verführerisch im Norden. Dort liegt Pasing, das jedoch keine selbständige Gemeinde ist, sondern ein Münchener Stadtteil. Wenn Pasing erst einmal erobert ist würden die anderen Stadtteile leichter fallen. Im Screenshot unten ist Pasing als rötliche Fläche im Münchener Westen erkennbar. Eine Infektion Münchens mit dem Gräfelfinger Modell führt am besten über Pasing, das im Süden direkt an Gräfelfing grenzt. Zum gleichen Zeitpunkt, als Gräfelfing sein Standortkonzept aufgleiste, war, natürlich rein zufällig, auch in Pasing der Teufel los: Der Sendemast auf einem Hotel wurde dort bekämpft, als ginge es um Leben & Tod, Unbekannte hissten an dem Masten eine große Totenkopfflagge, die Medien gaben sich gerne ein Stelldichein. Pasing war damals das Epizentrum des deutschen Anti-Mobilfunk-Protests, was, wieder rein zufällig, den Planern und Rechtsanwälten im angrenzenden Gräfelfing höchst gelegen kam. Heute findet man über diesen Streit in Pasing kaum noch etwas im Netz, als ob es diese heftige Auseinandersetzung nie gegeben hätte. Wenn überhaupt, wird man am ehesten bei der Bürgerwelle fündig.

Eine Inszenierung in Pasing ist durchaus möglich und sogar wahrscheinlich. Fakt ist: Nach dem großen Theater von 2001/2002 geriet Pasing als Anti-Mobilfunk-Zentrum der Republik sehr schnell aus der Mode da sich dort absolut nichts mehr tat. Fakt ist auch: Die damaligen Standortplaner für Gräfelfing (Firma Enorm) trafen wir an einem Ort, wo wir sie nicht erwartet hatten, nämlich bei einer privaten Zusammenkunft tatkräftiger Münchener Mobilfunkgegner. Eingeladen hatte ein Immobilienmakler: Es ging damals im wesentlichen um Lobbyarbeit zugunsten der Verbreitung von Forderungen nach Standortkonzepten à la Gräfelfing.

Lage des Münchener Stadtteils Pasing (rötliche Fläche) zur Gemeinde Gräfelfing
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Bild: Google Maps

Hauptgeschichte: In München sind stadtteilbezogene "Bezirksausschüsse" (BA) die unterste politische Ebene, BAs tagen öffentlich, Bürger eines Stadtteils können dort ihre Interessen einbringen. München hat 25 BAs, für Pasing zuständig ist BA 21. Dieser BA 21 machte nun am 8. Oktober 2009 aktenkundig von sich reden, indem er gegenüber der Stadt Investitionsmittel beantragte:

Erstellung eines Gutachtens zur Ermittlung von Standorten für
Mobilfunksendeanlagen (entsprechend dem sogenannten Gräfelfinger Modells)

Doch die Stadt wehrte sich erfolgreich gegen die geplante Infektion:

Mit Beschluss des Umweltschutzausschusses vom 16.05.2006 hat der Stadtrat dem Vorschlag des Referates für Gesundheit und Umwelt zugestimmt und auf ein Standortskonzept eines externen Sachverständigen für Mobilfunksendeanlagen verzichtet. Dafür waren finanzielle Gründe und Umsetzungsprobleme im Rahmen der Bauleitplanung ausschlaggebend. Damit kann dem erneuten Antrag des Bezirksausschusses 21 auch für das Mehrjahresinvestitionsprogramm 2010-2014 nicht entsprochen werden.

Damit war der Angriff erst einmal abgewehrt. So leicht lassen sich Strippenzieher in der Anti-Mobilfunk-Szene jedoch nicht die Butter vom Brot nehmen. Sie warteten das Ende des Investitionszeitraums ab und versuchten es 2015 frech aufs Neue:

Der Bezirksausschuss 21 Pasing-Obermenzing (BA 21) beantragt mit Schreiben vom 08.05.2015, eingegangen bei der Stadtkämmerei am 12.05.2015, folgende Maßnahme in die Investitionsliste 1 aufzunehmen: “Erstellung eines Gutachtens zur Ermittlung von Standorten für Mobilfunksendeanlagen (entsprechend dem sogenannten Gräfelfinger Modell)“.

Das grenzt schon fast an Nötigung. Doch wieder wehrte sich die Stadt erfolgreich. Das zuständige Referat für Gesundheit und Umwelt machte diesmal erfreulich klar deutlich, was es von "Standortkonzepten externer Sachverständiger" hält:

Mit Beschlüssen des Umweltausschusses vom 27.04.2004, 26.04.2005 und 16.05.2006 hat der Stadtrat dem Vorschlag des Referates für Gesundheit und Umwelt zugestimmt und ein Standortkonzept eines externen Sachverständigen für Mobilfunksendeanlagen als nicht zielführend erachtet. Die Mobilfunkbetreiber lehnen nach wie vor Immissionsvorgaben unter den Grenzwerten der 26. BImSchV sowie eine Standortplanung durch Dritte ab. Sie können hierzu auch rechtlich nicht verpflichtet werden. Aktuelle Gespräche mit den Mobilfunkbetreibern zeigen, dass an freiwilligen Selbstverpflichtungen auf kommunaler Ebene kein Interesse besteht. Damit kann dem erneuten Antrag des BA 21 auch im Rahmen des Mehrjahresinvestitonsprogrammes 2015-2019 nicht entsprochen werden.

Bis 2020 hat die Stadt jetzt Ruhe vor der alles andere als segensreichen, sondern streng nach kommerziellen Interessen riechenden EMF-Schnapsidee des BA 21. Wer für diese BA-Vorstöße zugunsten eines sinnfreien Standortkonzepts verantwortlich ist, geht aus den öffentlich einsehbaren Unterlagen nicht hervor. Allzu viele Möglichkeiten gibt es freilich nicht: Entweder drückt hier ein Mitglied des BA 21 oder es wird ein Antrag weitergegeben, der von dritter Seite beim BA 21 eingereicht und abgenickt wurde.

Hintergrund
Gräfelfinger Modell

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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