Hirntumore und die Ausbreitung des Mobilfunks (Forschung)

Dr. Ratto, Montag, 10.06.2013, 12:39 (vor 4169 Tagen)
bearbeitet von Dr. Ratto, Montag, 10.06.2013, 13:43

Die britische Forschergruppe um Frank de Vocht findet aufgrund von Daten aus 165 Ländern einen statistischen Zusammenhang zwischen der Inzidenz von Hirntumoren und dem Mobilfunk:
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23343858
Es handelt sich um eine ökologische Studie. Solche Studien sind methodisch nicht besonders belastbar, da sie nur das Auftreten einer Erkrankung (hier Krebs des zentralen Nervensystems) mit der Ausbreitung einer bestimmten Belastung vergleichen. Es werden keine Fälle mit Kontrollen verglichen und auch keine Bestimmung der Exposition vorgenommen. Zur Generierung von Hypothesen können ökologische Studien aber hergenommen werden.

Immerhin wurde hier ein Tumoranstieg (der in erster Linie mit steigendem Alter und besseren Diagnosemethoden zusammenhängt) mit allen möglichen Aspekten des modernen westlichen Lebens korreliert und auch überall Zusammenhänge gefunden. Nachdem die Forscher verschiedene Confounder so gut wie möglich rausgerechnet haben, blieb ein signifikanter Zusammenhang mit der Ausbreitung des Mobilfunks bestehen. Die Latenzzeiten betragen mindesten 11-12 Jahre, wahrscheinlich aber über 20 Jahre. Das deckt sich gut mit den Ergebnissen der Interphone-Studie, die für einen Zeitraum von bis zu 10 Jahren kein erhöhtes Risiko sieht; für längere Zeiträume sind die Daten aus Interphone nicht ausreichend Aussagekräftig.

Wichtig ist die Aussage am Ende des Abstracts: man soll die Ergebnisse nicht überinterpretieren, aber auch nicht ignorieren. Ein Beweis für Kausalität ist es nicht.

Dr. Ratto

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Confounder, Hirntumor, Latenzzeit, Vocht

Hirntumore und die Ausbreitung des Mobilfunks

H. Lamarr @, München, Mittwoch, 12.06.2013, 00:23 (vor 4168 Tagen) @ Dr. Ratto

Die Latenzzeiten betragen mindesten 11-12 Jahre, wahrscheinlich aber über 20 Jahre.

Es sei denn, man wohnt in Oberfranken, genauer in Naila. Dort wirkt ein unheimlicher Krebsbeschleuniger, gefunden von dem Allgemeinarzt Horst E. und Kollegen. In Naila bricht der gefürchtete Mobilfunkkrebs (besser: Sendemastenkrebs) früher als anderswo aus, nämlich schon ab nur fünf Jahren Latenzzeit. So verkündete es Horst E. anno 2004, und scheffelte damit Weltruhm.

Inzwischen sind neun Jahre ins Land gezogen und die Abertausende, die eigentlich Sendemastenkrebstote sein sollten, die laufen quietschvergnügt herum. Auch in Naila. Das Städtchen im ehemaligen Zonenrandgebiet döst nach dem Hype wieder friedlich vor sich hin und der Allgemeinarzt behandelt wieder wie früher seine Patienten, statt als Studienautor in der ausverkauften Frankenhalle nach Ruhm zu streben

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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Krebs, Naila

Hirntumore und die Ausbreitung des Mobilfunks

Doris @, Donnerstag, 20.06.2013, 08:21 (vor 4160 Tagen) @ H. Lamarr

Es sei denn, man wohnt in Oberfranken, genauer in Naila. Dort wirkt ein unheimlicher Krebsbeschleuniger, gefunden von dem Allgemeinarzt Horst E. und Kollegen. In Naila bricht der gefürchtete Mobilfunkkrebs (besser: Sendemastenkrebs) früher als anderswo aus, nämlich schon ab nur fünf Jahren Latenzzeit. So verkündete es Horst E. anno 2004, und scheffelte damit Weltruhm.

Der IARC Monograph Vol. 102 bewertet die Naila und auch die Hennen Studie wie folgt:

[The Working Group considered this study uninformative due to the small and ill-defined
study base and crude statistical methodology
)

Quelle: Cancer in Human Seite 184

Naila: keine Entschuldigung für angstschürende Schrottstudie

H. Lamarr @, München, Donnerstag, 20.06.2013, 10:54 (vor 4160 Tagen) @ Doris

Der IARC Monograph Vol. 102 bewertet die Naila und auch die Hennen Studie wie folgt:

[The Working Group considered this study uninformative due to the small and ill-defined
study base and crude statistical methodology
)

Quelle: Cancer in Human Seite 184

Wenn Sie sich zum Beispiel bei Gigaherz ansehen, was für ein Theater um die Naila-Studie gemacht wurde, dann wird schön deutlich, was die Mobilfunkdebatte zerfrisst wie Rost mein Auto: Es quatschen einfach viel zu viele Möchtegern-Experten mit. Daraus entsteht eine Kaskade des Desinformationsflusses.

Ein von seiner Entdeckung beseelter Allgemeinarzt verkündet - das muss man sich in der Dramatik mal vergegenwärtigen - vor mehr als 8000 Menschen seinen Krebsverdacht! (Allein dieser Umstand der Verkündung hätte schon die Alarmglocke "Vorsicht Profilneurose" in Gang setzen müssen.) Ein von dem Event begeisterter Baubiologe wittert Geschäft und trägt die Meldung eilends weiter. Unser Elektriker im Ruhestand bei Gigaherz sieht sich bestätigt und publiziert diese Nachricht, ohne Rücksicht darauf, dass der Baubiologe keine seriöse Quelle ist. Sogar das BfS erschrickt und nimmt die Naila-Studie, die zu diesem Zeitpunkt nur als Präsentation existiert, ernst. Politiker sind pflichtschuldig bestürzt, der Stadtrat zu Naila solidarisiert sich angeblich mit den Bedenken der ortsansässigen Bürgerinitiative und irgendwie entsteht der Eindruck, die Welt halte den Atem an, wegen dieser Ärztestudie aus dem bayerischen Hinterland.

So jedenfalls habe ich es damals miterlebt und ich kann mich noch gut erinnern, dass es unglaublich schwierig war, der Ärzteinitiative in Naila irgendwas Schriftliches über Ihre Entdeckung zu entlocken, und wie Dr. Horst E. ins Schwitzen geriet, weil er noch 2004 seine Sensation nicht vor Laien, sondern vor Experten (FGF) erklären sollte. Er hat sich damals nicht getraut, diesen Termin wahrzunehmen, angeblich wurde ihm aus der Anti-Mobilfunk-Szene geraten, fern zu bleiben, er würde dort sowieso nur zerlegt werden. Doch Horst E. hatte längst Gefallen gefunden am Forschen und an der Aufmerksamkeit, die ihm dadurch zuteil wurde. Und so entstand die Hennen-Studie nach dem Muster der Naila-Studie und später die Selbitz-Studie. Gefunden hat er immer was, der Arzt aus Naila.

Erste Einwände gegen die Naila-Studie wurden selbstsicher weggewischt, Zweifel waren nicht erwünscht. So wurde die fehlende Expositionserfassung bei den Krebsopfern in Naila nachträglich dann doch noch gemacht. Nicht von Horst E., sondern von einem herbeigeeilten Professor aus München (Klaus B.), der sich mit einem Breitbandmessgerät aus Langenzenner Produktion bei den Opfern vor der Haustüre postierte und dort die Exposition bestimmte.

Warum hat uns dieser kollektive Dilettantismus damals nicht gestört? Er hätte es müssen, denn die Fakten sprechen eine deutliche Sprache.

Und so bleibt von der einst stolzen Naila-Studie nur noch ein vernichtender Zweizeiler im IARC-Monograph 102 übrig, der die Arbeit zur Schrottstudie herabstuft.

Der Schaden aber, der durch die über Jahre hinweg wirkende Desinformationskaskade entstanden ist, nämlich die rund 30 Prozent latent wegen EMF Besorgten in der Bevölkerung, der ist nicht wieder gut zu machen.

Von einer öffentlichen Entschuldigung des Doktors Horst E. ist mir nichts bekannt geworden, er ist einfach nur wieder in der Versenkung verschwunden, aus der er 2004 mit Donnerhall hervortrat. Und auch der alte Elektriker bei Gigaherz wird sich hüten einzuräumen, die Naila-Studie sei Schrott. Zu oft hat er sie über den grünen Klee gelobt. Um den Schein von Kompetenz zu wahren darf er die Wahrheit nicht zulassen. Ein erbärmliches Verhalten von Jakob.

Den Baubiologen, der 2004 Gigaherz fütterte, wird die Feigheit freuen, ihm ist das traurige Schicksal der Naila-Studie mMn ziemlich egal, denn für ihm und seine Mitstreiter gilt: Der Weg ist das Ziel. Und der Weg ist Ängste gegenüber EMF in allen nur denkbaren Schattierungen zu verbreiten, stets zu warnen und nie zu entwarnen. Das mobilisiert die Kundschaft zum Geldausgeben. Und die nächste Naila-Studie wartet schon. Wenn nicht in Naila dann eben in Mumbai oder anderswo, denn der Weg ist das Ziel und alle diese Wege haben das eine Ziel: Profit aus der Angst der Leute ziehen.

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– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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Naila-Studie, Alarmschläger, Hypothese, Monograph, Aerzteinitiative, Kargo-Kult-Wissenschaft, Methodische Schwächen, Oberfranken

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