Holzschutzmittelprozess: Daten für Epidemiologen unbrauchbar (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Dienstag, 19.10.2010, 22:09 (vor 4910 Tagen)

Vom Frankfurter Holzschutzmittelprozess Anfang der 90-er Jahre mit Erich Schöndorf als Staatsanwalt hat wohl ein jeder schon gehört zumal Schöndorf auch mal ein Gastspiel in der Mobilfunkgegnerszene gab. Großen Anteil am Bekanntheitsgrad dieses Prozesses dürfte Schöndorfs Buch haben "Von Menschen und Ratten. Über das Scheitern der Justiz im Holzschutzmittelskandal". Aber: Sind die während des Prozesses zusammengetragenen Daten auch gut genug, um als epidemiologische Datenbasis wissenschaftlichen Ansprüchen zu genügen? Dies untersuchten 2005 Claudia Terschüren u.a. vom Institut für Community Medicine, Ernst-Moritz-Arndt Universität, Greifswald.

Ergebnisse
Die Expositionsverteilung der in den Akten des Holzschutzmittelprozesses erfassten Population weist diese eindeutig als eine selektierte Gruppe aus, die durch eine im vergleich zur Allgemeinbevölkerung weit überdurchschnittlich hohe Exposition gegenüber Holzschutzmitteln in Innenräumen charakterisiert ist. Die als Hauptbelastungszeugen des Prozesses dokumentierten Familien erfüllen die Voraussetzungen einer hoch exponierten und gleichzeitig medizinisch-diagnostisch gut aufgearbeiteten Population (N=50 Haushalte). Insgesamt sind in diesen Fallordnern 171 Personen im Alter zwischen 2 und 58 Jahren (zum Zeitpunkt der prozessrelevanten medizinischen Diagnostik) dokumentiert. In der Stichprobe der weiteren potentiellen Zeugen wurden 278 Personen erhoben, die im juristischen Verfahren jeweils in einem Fragebogen als Familien- bzw. Haushaltsverband befragt wurden. Um eine epidemiologische Auswertung nach verschiedenen Strata (Alter, Geschlecht etc.) zu ermöglichen, wurde in der Datenbank jeweils eine einzelne Person pro Datensatz erfasst. Erste Vollständigkeits- und Plausibilitätsprüfungen haben gezeigt, dass insbesondere die Angaben zu verwendeten Mengen sowie zur Häufigkeit des Auftretens von Symptomen nur mit geringer Qualität und Vollständigkeit in den Selbstausfüller-Fragebögen erfasst wurden. Zusätzlich erschwert wird die Datenerhebung und -auswertung dadurch, dass von der Staatsanwaltschaft zeitlich aufeinander folgend zwei im Design und Umfang der Fragen deutlich verschiedene Versionen des Fragebogens an die möglichen Zeugen verschickt wurden. Für 137 (21,6%) von 634 Akteneinträgen mit ausgefüllten Fragebögen liegt lediglich die erste Version vor. Für 396 (62,5%) Haushalte liegt ein Fragebogen der neueren Version vor. Insgesamt 101 (15,9%) Haushalte potentieller Geschädigter wurden zeitlich aufeinander folgend zweimal angeschrieben, aus diesen Haushalten konnten beide Fragebogenversionen erfasst werden.

Kompletter Abstract ...

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Epidemiologie, Schöndorf, Anwalt, Staatsanwaltschaft, Holzschutzmittel

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