SZ: "Daten schütteln, bis das Ergebnis passt" (Allgemein)

RH, Mittwoch, 09.06.2004, 17:15 (vor 7261 Tagen)
bearbeitet von unbekannt, Dienstag, 15.06.2004, 16:27

Es geht zwar wieder "nur" um Manipulationen in der Pharma-Forschung; im Mobilfunk müssen eben erst diese erforscht und aufgedeckt werden. Wie's aber halt so zugeht! R.H.

Süddeutsche Zeitung vom 08.06.2004, Wissen, S. 13 (print)
© Süddeutsche Zeitung

Daten schütteln, bis das Ergebnis passt
Viele medizinische Veröffentlichungen sind methodisch unsauber oder gezielt geschönt

Von Klaus Koch

Für die deutsche Pharmaindustrie könnte der Zeitpunkt kaum ungünstiger sein. Am gestrigen Montag begann der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (VFA) eine teure Imagekampagne. Doch kurz vorher reichten New Yorker Strafverfolgungsbehörden eine Klage gegen den internationalen Pharmakonzern GlaxoSmithKline ein, die weltweit Auswirkungen haben könnte. Der Vorwurf: Die Firma habe wichtige Informationen verschwiegen, um den Verkauf eines Medikaments gegen Depression nicht zu gefährden (siehe Kasten).
Damit kommt nun erstmals vor Gericht, was viele Forscher bereits seit Jahren anprangern. Denn die Erkenntnis, dass Ärzte getäuscht werden, indem Forschungsergebnisse verschwiegen werden, ist nicht neu (SZ, 2.4.2004). "Das hat in vielen Bereichen der Medizin handfeste Auswirkungen auf die tägliche Behandlung von Patienten", sagt Norbert Viktor von der Universität Heidelberg.
Im Zentrum stehen "klinische Studien" - Versuche an Patienten, die etwa klären sollen, ob ein neues Medikament besser wirkt als ältere Mittel. Solche Studien sind für Mediziner zum Maßstab für ihr ärztliches Tun geworden. Doch erfolgreiche Studien entscheiden auch über Karrieren. Und für Firmen hängen die Zulassung von Medikamenten und damit Milliardenumsätze von positiven Erprobungen ab. Genügend Motive, die Ergebnisse von Studien besser aussehen zu lassen, als sie sind.
Das ist ein Grund, weshalb eine wachsende Allianz aus Ärzten und Wissenschaftlern kritisch auf Studien schaut. … Hinzu kommt: Nur eine Minderheit der Studien ist qualitativ so gut, dass man aus ihnen verlässliche Studien ziehen kann.
Und: Fachzeitschriften sind keine Barriere gegen schlechte Forschung. Zwar lassen viele Journale ihre Beiträge von Gutachtern prüfen, doch das System ist löchrig: Spanische Forscher haben soeben 32 im Jahr 2001 in Nature und zwölf im British Medical Journal(BMJ) erschienene Artikel kontrolliert. In etwa jeder dritten Nature- und jeder vierten BMJ-Arbeit gab es Unstimmigkeiten. Meist hatten die Autoren Zahlen falsch gerundet oder sich um Kommastellen verrechnet. Die Fehler beeinflussten zwar selten die Schlussfolgerungen der Artikel, doch seien sie "Anzeichen für mangelhaften Umgang mit Statistik", schreiben die Autoren. Auch wenn Manipulationen selten sind, fordern sie, dass Forscher Daten öffentlich zur Verfügung stellen.
Nature will nun die Kritik analysieren. "Wir haben unsere Abläufe bereits umgestellt", sagt eine Sprecherin. Gutachter würden bereits beauftragt, die Statistik einer Arbeit gesondert zu überprüfen und bei Bedarf ein Extragutachten anzufordern. Die Zeitschrift bietet Autoren mittlerweile auch die Möglichkeit, zusätzliche Angaben im Internet zu veröffentlichen.
… Um [solchen] Verfälschungen auf die Spur zu kommen, müssten Ärzte und Forscher freien Zugang zu Studienprotokollen haben.
Mehr Öffentlichkeit würde es auch schwerer machen, Studien zu unterschlagen, wie es GlaxoSmithKline nun vorgeworfen wird. Nicht nur Pharmafirmen neigen dazu: Auch unabhängige Forscher verlieren oft das Interesse, Studien zu publizieren, wenn sich ihre Erwartungen nicht bestätigen. Das ist sogar nachvollziehbar: Fachjournale lehnen den Abdruck "negativer" Studien häufig ab. "Die Bevorzugung positiver Studien kann aber dazu führen, dass der Nutzen einer Therapie deutlich überschätzt wird", sagt Victor.
Sie Klage gegen GlaxoSmthKline verschafft deshalb einer Initiative Rückenwind, die fordert, dass alle Studien schon bei Beginn an frei zugängliche Register gemeldet werden müssen. "In Deutschland hat die Regierung gerade die Chance verpasst, mit der Novellierung des Arzneimittelgesetzes die Meldung an ein öffentliches Register zur Pflicht zu machen", sagt Gerd Antes, Leiter des deutschen Cochrane Zentrums in Freiburg. Doch der Druck wächst: Im April hat die Weltgesundheitsorganisation angekündigt, alle Studien an solch ein Register zu melden. Mitte Juni entscheidet auch die Amerikanische Ärzte Gesellschaft über eine Resolution, die Gesetze zur Einführung einer Registrierungspflicht fordert. "Das könnte auch die deutsche Politik in Zugzwang bringen", sagt Antes.

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Tags:
Pharmaindustrie

SZ: "Anhaltender Betrug"

RH, Mittwoch, 09.06.2004, 17:17 (vor 7261 Tagen) @ RH
bearbeitet von unbekannt, Dienstag, 15.06.2004, 21:24

Fortsetzung: [siehe: Kasten]

"Anhaltender Betrug"

Die Vorwürfe sind massiv: "Wiederholter und anhaltender Betrug" lautet der wichtigste Anklagepunkt, die Eliot Spitzer, Generalstaatsanwalt von New York, gegen das Pharmaunternehmen GlaxoSmithKline (GSK) gesammelt hat.
Im Zentrum steht das zur Therapie von Depressionen bei Erwachsenen zugelassene Medikament Paroxetin. In den USA hat Smth-Kline-Beecham, eine der Firmen, aus denen GSK hervorgegangen ist, Mitte der 90er-Jahre fünf Studien initiiert, in denen das Mittel an depressiven Kindern erprobt wurde. Den Umgang mit diesen Studien zeichnet die 18-seitige Anklageschrift detailliert nach (http://www.oag.state.ny.us/press/2004/jun/jun2b_04.html).
Obwohl die Studien zeigten, dass das Medikament bei Kindern nicht besser half als Zuckerpillen, warb das Unternehmen mit "einer bemerkenswerten Wirksamkeit und Sicherheit". Dabei wurden, so der Vorwurf, massive Nebenwirkungen heruntergespielt: Nach den Daten traten Selbstmord-Neigungen bei den behandelten Jugendlichen zwei- bis dreimal häufiger auf, allerdings gab es keinen Todesfall. Die GSK hatte aber nur eine einzige der fünf Studien im Juli 2001 ausführlich veröffentlicht, die das Mittel in günstigerem Licht erscheinen ließ. Die übrigen vier hat der Konzern erst ein Jahr später Arzneimittelbehörden zur Kenntnis gegeben, die daraufhin seit Sommer 2003 vor der Anwendung des Mittels warnten (SZ 21.11.2003). Konzernintern gab es die Anweisung, "die Verbreitung der Daten effektiv zu handhaben, um negative kommerzielle Auswirkungen zu minimieren".
GlaxoSmithKline hat auf die Anklage bislang nur mit einer kurzen Stellungnahme reagiert, wonach alle Studien den Arzneimittelbehörden zur Verfügung gestellt und "öffentlich kommuniziert" worden seien. [kch]

Verantwortlicher Ressortleiter Wissen: Dr. Patrick Illinger
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