F.A.Z.: Sie lügen, betrügen und stehlen: die Wissenschaftler (Allgemein)
F.A.Z. vom 10. März 2004, Nr. 59/Seite N 1 (print), Natur und Wissenschaft
Allzu menschlich
Sie lügen, betrügen und stehlen. Kein Wunder, denn sie sind auch nur Menschen. Ernüchternd ist ihr Verhalten trotzdem. Schließlich gehören sie einer Zunft an, deren Mitglieder gern den Anspruch besonderer Seriosität hervorkehren - der Wissenschaft. Immer wieder erliegen einige der Verlockung, den steinigen Pfad zu Erkenntnis und Ruhm abzukürzen. Das muß nicht gleich in krassen Betrug münden. Viel symptomatischer sind die ungezählten kleineren Abweichungen vom rechten Weg. Ständig konfrontiert mit solchen Schummeleien sind die Herausgeber wissenschaftlicher Zeitschriften. Das spiegelt der kürzlich herausgegebene Bericht der britischen Committee on Publishing Ethics. Die Beispiele für unethisches Handeln reichem vom unverfrorenen Bestechungsversuch bis zu fragwürdigen, schmerzhaften Manipulationen an Säuglingen zum Abrunden einer Studie. Auch geradezu rührende Einfalt ist anzutreffen, etwa wenn es darum geht, ähnlich wie bei Schularbeiten voneinander abzuschreiben. Ebenfalls beliebt ist das Verschweigen von Interessenskonflikten. Beispielweise wurde eine Arbeit über Passivrauchen eingereicht, bei der "vergessen" worden war, auf die finanzielle Unterstützung durch die Tabakindustrie hinzuweisen. Zu den weiteren Übeln gehört die Mehrfachverwertung von Forschungsergebnissen. Wissenschaftler aus St. Gallen und Berlin haben unlängst in siebzig Fachzeitschriften für Augenheilkunde mit einem elektronischen Suchprogramm nach Duplikaten gefahndet. Unter mehr als zwanzigtausend Artikeln gab es zwar "nur" sechzig Treffer. Die Wissenschaftler haben aber Hinweise darauf, dass dies lediglich die Spitze des Eisbergs ist. Duplikate lassen die ohnehin schon erdrückende Flut von Publikationen weiter anschwellen und führen unter anderem zur Überschätzung der Ergebnisse. Fehlverhalten in der Wissenschaft schadet vor allem der Wissenschaft selbst. Erstaunlich also, dass von ihrer Seite nicht noch mehr dagegen unternommen wird. R.W.
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