Mevissen-Review für WHO: kritische Bewertung durch das BfS (Forschung)

KI, Samstag, 02.08.2025, 19:34 (vor 14 Tagen) @ H. Lamarr

Hochfrequente elektromagnetische Felder (HF-EMF), wie sie beispielsweise bei Mobiltelefonen auftreten, stehen seit Langem im Verdacht, Krebs auslösen zu können. Eine von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) beauftragte systematische Übersichtsarbeit untersucht die wissenschaftlichen Studien zu diesem Thema. Obwohl viele der ausgewerteten Studien keine Effekte fanden, schließen die Autor*innen, dass HF-EMF Krebs verursachen kann. Wie die Autor*innen zu dieser Aussage kommen und wie belastbar sie ist, erläutert das BfS in diesem Spotlight. Hier eine Zusammenfassung der acht Seiten.

Im Mai 2025 stellte Meike Mevissen (Universität Bern) im Rahmen eines WHO-Projekts eine umfassende systematische Übersichtsarbeit zu Tiermodellen unter HF-EMF-Exposition vor. Sie wertete 67 Studien an Mäusen und Ratten aus, die zwischen 1999 und 2022 im Frequenzbereich von 100 kHz bis 300 GHz durchgeführt wurden. Darunter waren sowohl Langzeitversuche mit Expositionsdauer bis zu 24 Monaten als auch Co-Promotions-Studien, in denen HF-EMF gemeinsam mit bekannten Karzinogenen getestet wurden. Die Autor:innen betrachteten verschiedene Modulationsformen und Leistungspegel (SAR-Werte von 0,1 W/kg bis 10 W/kg) und bewerteten jede Studie nach WHO-Leitlinien hinsichtlich Randomisierung, Verblindung, Fallzahl und Dosimetrie.

In ihrem Ergebnisbericht fassten Mevissen et al. die Evidenz insgesamt als eingeschränkt (limited) zusammen. Zwar wurden in Einzelstudien gelegentlich erhöhte Tumorraten – etwa bei Lymphomen, Mammatumoren oder Lebertumoren – beobachtet, doch fehlte es an konsistenten Dosis-Wirkung-Beziehungen und an der Reproduzierbarkeit dieser Befunde. Viele Studien erfüllten nicht alle Qualitätskriterien, sodass sich Effekte häufig nicht in unabhängigen Versuchsreihen bestätigten. Ein kausaler Zusammenhang zwischen HF-EMF und Tumorbildung lässt sich daher nicht stützen.

Wesentliche Kritikpunkte des BfS

Das Bundesamt für Strahlenschutz würdigt zunächst den Aufwand einer systematischen Literatursichtung und die transparente Methodik der Review. Gleichzeitig rücken die Gutachter des BfS Defizite der Review deutlich in den Vordergrund.

Konsistenz statt Einzeleffekte: Die Autor*innen von Mevissen et al. werten bereits dann einen Tumoreffekt als belegt, wenn eine einzige Studie ein statistisch signifikant erhöhtes Tumor­aufkommen zeigt. Gleichartige Untersuchungen, in denen keine Effekte gefunden wurden, bleiben dabei unberücksichtigt. So entsteht der Eindruck, dass schon einzelne positive Ergebnisse ausreichen, obwohl zahlreiche andere qualitativ hochwertige Tierstudien keine Tumorzunahme erkennen konnten. Beispiel Leber: Nur 1 von 5 chronischen Bioassays und keine der übrigen elf gut bewerteten Studien zeigte eine Zunahme von Hepatoblastomen, trotzdem stuften die Autor:innen die Evidenz dort als "mäßig" ein.

Multiples Testen: Durch das schier unüberschaubare Heranziehen vieler Endpunkte und Experimente steigt die Wahrscheinlichkeit falsch positiver Befunde ("multiple comparisons"), die dann unkritisch in die Schlussfolgerung einfließen.

Inkonsistente Bewertung des Verzerrungsrisikos: Obwohl in 23 Studien das Fehlen einer Verblindungsangabe während der Exposition als hohes Verzerrungsrisiko gewertet wird, gelten dieselben Defizite in den NTP-Studien und in der Falcioni-Studie plötzlich nicht als Risiko. Diese inkonsistente Anwendung der RoB-Kriterien schmälert das Vertrauen in die Review.

Unklare Expositionsbedingungen & fehlende Dosimetrie-Details: Weder die tatsächliche SAR-Verteilung im Tierkörper noch mögliche Temperatur- bzw. thermische Effekte werden durchgängig dokumentiert. Damit lässt sich nicht sauber trennen, ob beobachtete Effekte wirklich auf HF-EMF oder auf ungewollte Wärme­einträge zurückgehen.

Reproduzierbarkeit & Fehlende Multizenter-Studien: Positive Befunde zu Herzschwannomen und Gliomen basieren im Wesentlichen auf den NTP-Studien und einer einzigen Reanalyse der Anderson-Studie mit historischen Kontrollen. Andere Labore konnten diese Effekte nicht bestätigen. Das BfS betont deshalb ausdrücklich den Bedarf an Multizenter-Replikationsstudien, etwa den laufenden Projekten in Japan und Korea.

Fazit des BfS

Die aktuelle Datenlage rechtfertigt nach Auffassung des Bundesamts keine hohe oder auch nur mäßige Evidenz für ein tierexperimentell nachweisbares Krebsrisiko durch HF-EMF. Vielmehr sei die Evidenz so brüchig, dass man gerade nicht von einer "eingeschränkten Evidenz" sprechen könne, sondern zunächst Methodik- und Dosimetrie-Standards sowie Replikationsstudien benötige.


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