Biologische Effekte im Frequenzbereich 5,8 GHz bis 200 GHz (Forschung)

H. Lamarr @, München, Donnerstag, 15.05.2025, 23:13 (vor 16 Tagen)

Im Auftrag des Schweizer Bundesamtes für Umwelt (Bafu) wagten die Wissenschaftler Meike Mevissen, Jürg Fröhlich und David Schürmann einen sehr weiten Blick über den derzeitigen Frequenzhorizont hinaus. Sie recherchierten im Frequenzbereich 5,8 GHz bis 200 GHz biologische Effekte infolge HF-EMF-Exposition und deren Konsequenzen für die Gesundheit. Den 57-seitigen Bericht des Trios hat das Bafu jetzt freigegeben. Entscheidende Erkenntnisfortschritte sollte man von dem Paper jedoch nicht erwarten.

Ziel der Übersichtsarbeit ist es, die publizierten Auswirkungen von elektromagnetischen Feldern (EMF) im Frequenzbereich von 5,8 GHz bis 200 GHz bei Labortieren, Menschen und Zellkulturen systematisch zu erfassen und zu bewerten und die Folgen für die Gesundheit zu diskutieren. Die relevanten biologischen Effekte aus vielen verschiedenen experimentellen Endpunkten beziehen sich in erster Linie auf Krebs, neurologische Erkrankungen sowie Hautkrankheiten, umfassen aber auch andere biologische Funktionen, wie Reproduktion und Fertilität, entwicklungsbezogene, kognitive und physiologische Aspekte, sowie Mechanismen, die bei verschiedenen Prozessen eine Rolle spielen, wie oxidativer Stress und Zelltod.

Zusammenfassende Bewertung durch die Autoren

Die Studien zu thermischen Wirkungen von Millimeterwellen (MMW) zeigen einen Anstieg der Temperatur bei den Labortieren in Abhängigkeit von der Frequenz sowie der Intensität der Befeldung. Allerdings erlaubt die Datenlage keine Aussagen zu möglichen Schwellenwerten, es gibt jedoch Hinweise, dass ein lokaler Temperaturanstieg von 1 °C von Probanden (Menschen) detektiert werden kann. Die Daten einiger Studien zeigen auch, dass insbesondere gepulste HF-EMF-Exposition ein interessantes Instrument für die Krebstherapie oberflächlicher Hauttumoren sein könnten.

Einige der in vivo-Studien geben Hinweise auf Beeinträchtigung des Lernverhaltens sowie strukturelle Veränderungen im Gehirn, die teilweise auch mit oxidativem Stress einhergehen, wie dies bereits bei niedrigeren Frequenzen (<5,8 GHz) beobachtet wurde. Bei höheren Frequenzen im MMW-Bereich (<60 GHz) gibt es Hinweise für eine veränderte Aktivität von Neuronen, welche allerdings in beide Richtungen ging. Hinweise aus In-vitro-Studien zeigen eine erhöhte Permeabilität von Zellmembranen nach Exposition bei >60 GHz, welche durch oxidativen Stress bedingt sein könnte. Genanalysen stützen teilweise die beobachteten Veränderungen von neuronaler sowie metabolischer Funktionen von Zellen.

Effekte von MMW auf die Krebsentstehung sind aufgrund der Daten aus in vitro-Studien zur Gentoxizität unwahrscheinlich, wobei dahingehend nur eine Tierstudie zu Tumoren der Unterhaut publiziert wurde, die aber erhebliche Mängel in der Studienqualität aufweist (in drei RoB-Domänen). Es gibt erste Hinweise auf eine Beeinträchtigung der Reproduktion aus einer Mehrgenerationen-Studie mit Fadenwürmern, die wahrscheinlich auf oxidativen Stress zurückzuführen sind. Allerdings fehlen dazu Studien mit Säugetieren.

Eine Aussage zur Dosisabhängigkeit kann nicht getroffen werden, da einerseits Studien dazu fehlen sowie selten vergleichbare experimentelle Endpunkte evaluiert wurden und andererseits die Dosimetrie und Expositionscharakterisierung vieler Studien zu mangelhaft ist, um daraus verlässliche Dosis-Wirkung-Korrelationen abzuleiten. Insgesamt sind sehr viele der publizierten Studien mit erheblichen Mängeln behaftet, insbesondere der Exposition sowie der Dosimetrie, sodass deren Ergebnisse keine kausalen Schlussfolgerungen zulassen.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Millimeterwellen, Schürmann, Mevissen, Fröhlich, biologische Effekte

Sonderausgabe Berenis-Newsletter vom Mai 2025

H. Lamarr @, München, Samstag, 24.05.2025, 22:30 (vor 7 Tagen) @ H. Lamarr

Sonderausgabe Berenis-Newsletter vom Mai 2025

Die 10-seitige Sonderausgabe des Berenis-Newsletters dokumentiert den gegenwärtigen Wissensstand zu biologischen Auswirkungen von Millimeterwellen (MMW) im Frequenzbereich von 5.8 bis 200 GHz und gibt eine aktuelle Einschätzung über den möglichen Zusammenhang von Exposition und deren Wirkungen auf die Gesundheit. Dafür wurden im Zeitfenster von Anfang 2019 bis August 2024 erschienene relevante Tier-, Human- und Zellstudien identifiziert und zusammenfassend beurteilt. Ein ausführlicher Bericht, in dem diese Studien detailliert vorgestellt werden, wurde im Mai 2025 vom Bafu veröffentlicht. Die Sonderausgabe des Newsletters enthält eine stellenweise kommentierte Kurzfassung des Berichts. Dazu ein Beispiel. Textauszug aus dem Bericht: [...] es gibt jedoch Hinweise, dass ein lokaler Temperaturanstieg von 1°C von Probanden (Menschen) detektiert werden kann. [...] Gleicher, jedoch kommentierter Textauszug im Sondernewsletter: [...] es gibt jedoch Hinweise, dass ein lokaler Temperaturanstieg von 1°C von Probanden (Menschen) detektiert werden kann (im Bereich 1260-3990 W/m²). [...]

Stellungnahme Berenis zum Stand des Wissens, ICNIRP-Guidelines und Vorsorge

• Auch nach Sichtung und Einbezug der Studien der letzten fünf Jahre bleibt es schwierig, Schlussfolgerungen zu möglichen gesundheitlichen Auswirkungen einer HF-EMF-Exposition im MMW-Bereich zu machen. Der aktuelle Wissensstand ist nach wie vor ambivalent, und die Konfidenz in die vorhandene Beweislage ist beschränkt. Viele Studien sind mit Unsicherheiten behaftet und oft, insbesondere wenn die Expositionen im Bereich oberhalb der gesetzlichen Grenzwerte durchgeführt wurden, kann bei den Befunden ein Beitrag thermischer Effekte nicht ausgeschlossen werden.

• Auch wenn unterhalb der ICNIRP-Referenzgrenzwerte keine gesundheitlichen Wirkungen nachgewiesen werden konnten, gibt es diesbezüglich noch diverse Unsicherheiten. Es gibt moderate Evidenz, dass HF-EMF-Exposition oberhalb 5.8 GHz zu einer verminderten Lernleistung führt, wobei dabei oxidativer sowie zellulärer Stress beteiligt sein könnte. Allerdings liegen diesbezüglich keine epidemiologischen Studien (>5.8 GHz) vor, sodass die Relevanz für die menschliche Gesundheit kaum abschliessend beurteilt werden kann. Wie schon im Sondernewsletter vom Juli 2020 dargelegt, unterstützt Berenis eine Berücksichtigung der präziseren Richtlinien bei kurzzeitigen und kleinflächigen Expositionen oberhalb von 6 GHz in der Schweizer Gesetzgebung, bevor die höheren Frequenzen in Zukunft für die mobile Kommunikation genutzt werden.

• Aufgrund dieser Unsicherheiten empfiehlt Berenis weiterhin die konsequente Anwendung des Vorsorgeprinzips. In der Schweiz ist das Vorsorgeprinzip für Immissionen von fest installierten Sendeanlagen (z.B. Mobilfunkbasisstationen und Rundfunksender) mit dem Anlagegrenzwert der Verordnung über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (NISV) konkretisiert.

• Im Hinblick auf die geplante Nutzung des Frequenzbereichs oberhalb 5.8 GHz in neuen Kommunikations-Technologien bemerken wir, dass es zum jetzigen Zeitpunkt nur wenige wissenschaftliche Studien ohne Einschränkungen in der Studienqualität gibt. Insbesondere fehlen aussagekräftige Studien an Säugetieren. Daher ist es schwierig, Aussagen über mögliche Gesundheitseffekte, insbesondere für die am stärksten exponierten Gewebe Haut und Augen, zu machen. Auch lässt sich keine Aussage zu ökologischen Auswirkungen von MMW machen, da Studien mit kleinen Tieren, wie Bienen und anderen Insekten, derzeit weitgehend fehlen. Qualitativ hochstehende Forschung zur Reduktion dieser Wissenslücken sollte angestossen und gefördert werden, um etwaige Auswirkungen auf die Gesundheit und die Umwelt in Zukunft besser beurteilen zu können.

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– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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