Wir üben Desinformieren (14): Trojaner unterjubeln (Allgemein)
Hanebüchenen Blödsinn erkennen die meisten mühelos. Schwieriger wird es, wird Desinformation im Mix mit augenscheinlich seriöser Information serviert. Wer diesen Trick beherrscht, kann z.B. einen Hochstapler als Wissenschaftler erscheinen lassen. Hört sich kompliziert an, ist es aber gar nicht. Wir schauen uns das am besten an einem konkreten Beispiel einmal an.
In Ausgabe 12/1999 des Esoterikblattes Esotera erschien der Artikel "Bei Anruf Smog!" von Ulrich Arndt. Anlässlich des Untergangs von Esotera rettete der Autor, eigenen Angaben zufolge war er Redakteur des Blattes, den Artikel auf seine Website Horusmedia, wo der Text bis heute unentgeltlich zu lesen ist.
Wenn ein Esoterikmagazin sich mit Elektrosmog beschäftigt, darf angenommen werden, dass es nicht um Entwarnung geht, sondern um Alarm. Tatsächlich schildert der Artikel eine ganze Reihe von Bedenken, die zum damaligen Zeitpunkt in der Diskussion waren. Ob diese Bedenken vom Autor mit der bei Gesundheitsthemen gebotenen Zurückhaltung geschildert werden oder populistisch überhöht, das ist nicht Gegenstand dieser Betrachtung. Hier und jetzt geht es allein um die Wissenschaftler, auf deren Wirken der Autor in seinem Beitrag eingeht.
► Da ist z.B. von fünf Münchener Wissenschaftlern der Neurologischen Klinik der Ludwig-Maximilian-Universität am Klinikum Großhadern die Rede, was allein schon wegen der Universität nach profunder Expertise riecht.
► Dr. Gabriele Freude von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in Berlin ist keine Kopfgeburt, es gibt sie wirklich.
► Auch den britischen Physiologen Colin Blackmore von der Universität Oxford gibt es wirklich, allerdings unter dem richtigen Namen Colin Blakemore.
► Mit Dr. Michael Repacholi wird den Lesern kein Geringerer als der damalige Koordinator des "EMF-Projekts" der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Zeuge der Anklage präsentiert.
► Prof. Andràs Varga wird als pensionierter wissenschaftlicher Leiter des Hygiene-Instituts der Universität Heidelberg vorgestellt.
► Nächster Belastungszeuge ist Prof. W. Ross Adey vom Hirnforschungszentrum der University of California.
► Dr. Lebrecht von Klitzing, Medizinphysiker an der Universität Lübeck, galt zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung als populärster Mobilfunkkritiker in Deutschland.
► Und dann kommen noch die Schlafwissenschaftler Mann und Röschke von der Universitätsklinik in Mainz mit ihren Bedenken zu Wort.
Autor Arndt untermauert seine kritische Betrachtung zu Elektrosmog mit den Bedenken oder Studien von nicht weniger als neun Wissenschaftlern in angesehenen beruflichen Positionen. Auf Autoritätsgläubige dürfte diese massive Anhäufung von Fachkompetenz die gewünschte Wirkung nicht verfehlen. Das sollte unstreitig sein.
Doch Artikelautor Arndt hat neben den genannten neun Koryphäen noch drei weitere Personen im Ärmel, die er seinen Lesern auf die gleiche Art und Weise präsentiert wie die Wissenschaftler:
► Gerhard Eggetsberger, Leiter des Wiener "Instituts für Biokybernetik und Feedbackforschung".
► Wolfgang Maes (†) vom Sachverständigenbüro für Baubiologie und Umweltanalytik in Neuss.
► Prof. Dipl.-Ing. Konstantin Meyl, Leiter des Technologie-Transferzentrums der Steinbeis-Stiftung.
Maes und Meyel brauche ich nicht weiter vorstellen, sie haben hier im Forum tiefe Spuren hinterlassen und um Eggetsberger hat sich Psiram gekümmert. Keinem der drei ließe ich das Prädikat Wissenschaftler zuteilwerden. Allein dadurch, dass sie quasi im selben Atemzug mit den neun (größtenteils) anerkannten Wissenschaftlern genannt werden, stellt Artikelautor Arndt alle auf dieselbe Stufe und wertet damit die drei Außenseiter in den Rang von Wissenschaftlern auf.
Keine Wirkung hat der kleine Trick bei Wissenschaftlern, weil diese ihre Kollegen in aller Regel gut kennen. Bei der Mehrzahl der Laien aber sollte die Falle zuschnappen. Der Nutzen für die Aufgewerteten liegt auf der Hand: Sie werden von Laien, wenn auch wahrscheinlich nur befristet, für Wissenschaftler gehalten, wodurch ihre vorgetragenen Bedenken merklich mehr Gewicht bekommen. Erstrebenswert ist dies besonders dann, wenn kommerzielle Interessen von der Aufwertung profitieren.
So ein kommerzielles Interesse unterstelle ich "Baubiologen", die gratis irrationale Ängste gegenüber Elektrosmog wecken und schüren, nur um diese später, dann gegen Honorar, wieder zu nehmen. In diesem Zusammenhang sehe ich diese Webseite eines "Wohnbiologen". Vordergründig geht es dort um "Wissenschaftliche Grundlagen, hauptsächlich zur Hochfrequenz", hintergründig hat der Betreiber der Site ausgiebig von Ulrich Arndts Artikel Nektar genascht.
Hintergrund
Alle Folgen der Reihe "Wir üben Desinformieren" ...
--
Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –