Wer tankt bevorzugt Desinformation über Windkraftanlagen? (Forschung)

H. Lamarr @, München, Samstag, 02.11.2024, 12:42 (vor 7 Tagen)

Über Mobilfunkmasten und Windkraftanlagen kursiert viel Information und noch mehr Desinformation. Das wirft die Frage auf: Was sind das für Leute, die stellenweise schmerzhaft offensichtlicher Desinformation Glauben schenken? Eine soziologische Studie ist dieser Frage in Bezug auf Windkraftanlagen nachgegangen. Die Resultate dürften auch für Mobilfunkmasten Gültigkeit haben.

Windenergie gilt weiterhin als ein wichtiger Baustein der Energiewende. Um ihre Klimaziele zu erreichen und ihren CO₂-Ausstoß zu reduzieren, setzen viele Nationen auf Windenergie. Allerdings sind neben sachlichen Argumenten für oder gegen die Windkraft auch komplett falsche oder irreführende Behauptungen in der Gesellschaft verbreitet und stoßen auf Zustimmung. Das zeigen neue repräsentative Studien unter Beteiligung der Universität Hohenheim in Stuttgart. „Bisher war wenig darüber bekannt, in welchem Ausmaß Menschen Falschinformationen über Windräder zustimmen“, sagt Projektleiter Dr. Kevin Winter, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Fachgebiets Nachhaltiges Handeln und Wirtschaften an der Uni Hohenheim. Diese Zustimmung untersuchte Dr. Winter gemeinsam mit Prof. Dr. Kai Sassenberg vom Leibniz-Institut für Psychologie (ZPID) in Trier sowie Forschenden der University of Queensland (Australien) und der Universität Bremen in mehreren Studien mit insgesamt über 6.000 Teilnehmenden. Die Studienergebnisse sind nun in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift „Nature Communications“ veröffentlicht.

Fake-News über Windräder

[image]In den repräsentativen Umfragen zum Thema Windkraft, die in Australien, Großbritannien und den USA durchgeführt wurden, stimmt über ein Viertel der Befragten einer Vielzahl von falschen oder irreführenden Behauptungen über Windkraft zu (Bild). Etwa 20 Prozent der Befragten glauben an vermeintliche Gesundheitsrisiken durch Windräder. Etwa 40 Prozent gehen von geheimen Machenschaften und manipulierten Informationen beim Ausbau der Windenergie aus. Eine repräsentative Umfrage, die in Deutschland durchgeführt wurde, zeigt dabei etwas niedrigere Werte. „Überrascht hat uns, dass die Zustimmung zu thematisch sehr unterschiedlichen falschen Aussagen von den gleichen Personen kam“, erklärt Prof. Dr. Sassenberg. So stimmen die Befragten, die beispielsweise glauben, dass Windräder einen schädlichen Einfluss auf die Gesundheit haben, auch eher der Behauptung zu, dass Windräder ökonomisch ineffizient seien. Die Personen, die solchen Ansichten zustimmen, wollen auch eher keine politischen Maßnahmen zum Ausbau der Windkraft unterstützen und haben eine höhere Bereitschaft, gegen den Bau von Windrädern zu protestieren.

Eine Frage der Weltanschauung

Die Studienergebnisse zeigen darüber hinaus, dass die Zustimmung zu solchen Falschinformationen über Windräder vor allem von der Weltanschauung der Befragten abhängt und weniger von fehlendem Wissen – der Bildungsgrad der Personen oder wissenschaftliche Kenntnisse spielen dabei keine Rolle. Wer aber generell dazu neigt, Verschwörungen hinter gesellschaftlichen Ereignissen zu vermuten, stimmt den Fake News auch eher zu. „Es dürfte schwierig sein, Falschinformationen allein durch das Bereitstellen von Fakten zu begegnen, solange diese nicht ins Weltbild der Menschen passen“, sagt Dr. Winter dazu. Vielversprechender könnte es sein, in Kampagnen die persönlichen Vorteile – zum Beispiel finanzielle Beteiligungsmöglichkeiten – aufzuzeigen, um Menschen mit einer ablehnenden Haltung zu überzeugen.

Quelle: Studie der Uni Hohenheim: Fake News zu Windrädern sind weit verbreitet

Hintergrund
Publiziert wurde die Studie am 15. Oktober 2024 unter dem Titel "Public agreement with misinformation about wind farms" (Volltext). Die Zustimmung zu Desinformation reichte von 15 % bei offenkundig falschen Aussagen (z.B. dass Stromkabel von Windparks Krebs verursachen) bis zu mehr als 40 % bei Aussagen, die von geheimen Absprachen zwischen Politikern und anderen Akteuren im Zusammenhang mit Windparks ausgehen. Im Durchschnitt stimmten rd. 28 % der Befragten in den Vereinigten Staaten, 21 % der Befragten im Vereinigten Königreich und 30 % der Befragten in Australien mindestens jeder zweiten von den Forschern angebotenen Falschinformation zu.

Für diejenigen, die in Windenergie als Schlüsselelement für eine schnelle Dekarbonisierung investieren, muss die offensichtliche Verankerung von Desinformation über Windparks in der Bevölkerung besorgniserregend sein. Dagegen eingeleitete Informations- oder Bildungsmaßnahmen konkurrieren aus Sicht der Studienautoren mit zwei ideologischen Widerständen. Erstens ist die Zustimmung zu Fehlinformationen über Windparks stark mit einer Verschwörungsmentalität verbunden, was eine erhebliche Herausforderung für die Kommunikation darstellt. Denn noch gibt es keine soliden, dokumentierten Wege, um die Überzeugungsstrukturen derjenigen zu ändern, die von der Weltanschauung ausgehen, dass Entscheidungsträgern nicht vertraut werden kann. Zweitens korreliert die Zustimmung zu Fehlinformationen über Windparks stark mit der Ablehnung einer pro-ökologischen Weltanschauung. Daher ist es möglich, dass die Zustimmung der Menschen zu Fehlinformationen nicht das Ergebnis einer fehlerhaften Analyse von Beweisen ist, sondern vielmehr eine nachträgliche Rationalisierung einer intuitiven Abneigung darstellt, die auf Ideologie und/oder Identität beruht.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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