Etain-Projekt will Handynutzer zu Bürgerwissenschaftlern machen (Forschung)
Als die E-Mail des Absenders Etain mit bonbonfarbenen Hintergrund und der Botschaft "Get ready to track your exposure" bei mir eintraf, dachte ich im ersten Moment, der Anbieter einer HF-EMF-Expositions-App für Smartphones wolle mir mit baubiologisch bewerteten Messwerten Furcht vor Elektrosmog einreden und dann irgendwelche "Schutzprodukte" verkaufen. Doch weit gefehlt. Die App wird von Wissenschaftlern entwickelt, sie will nicht weniger als den Planeten vor übermäßiger HF-EMF-Verseuchung retten und soll für jeden Nutzer erstmals auch eine individuelle Dosisabschätzung zulassen.
Schon bald werden Sie in der Lage sein, Ihre Exposition gegenüber hochfrequenten elektromagnetischen Feldern (HF-EMF) besser zu verstehen, Sie können ein aktiver Bürgerwissenschaftler werden und zu öffentlich einsehbaren Expositionskarten beitragen, welche die Wissenschaft voranbringen werden. Sind Sie bereit?
So heißt es auf Englisch in der E-Mail weiter. Und nein, ich war nicht bereit, denn ich verstand nur Bahnhof. Also machte ich mich auf die Socken und durchstöberte die Website des Projekts. Weil dort ein Übermaß an Informationen auf einen einstürmt und mich erstrangig die App und die Dosisabschätzung interessiert, skizzieren die folgenden Auszüge von der Website das Projekt, insbesondere dessen Ziele, nur bruchstückhaft.
Das Projekt
Etain ist ein von der EU finanziertes ziemlich großes Projekt, das darauf abzielt, Ansätze zur Bewertung der Auswirkungen von hochfrequenten elektromagnetischen Feldern (HF-EMF) aus menschlicher und planetarischer Sicht zu entwickeln, zu validieren und gleichzeitig Möglichkeiten zur Verringerung der Exposition zu erkunden. Der gesamte Prozess fördert die Interaktion mit Bürgern und Interessenvertretern, um die Expositionswerte und mögliche damit verbundene Risiken besser zu verstehen. Etain entwickelt eine App und ein Portal, die es ermöglichen, die persönliche Exposition gegenüber HF-EMF zu ermitteln und die Expositionswerte in europäischen Städten zu kartieren.
Die App
Fast jeder trägt ein Mobiltelefon bei sich und es können Daten mit hoher zeitlicher und räumlicher Auflösung erfasst werden. Gleichzeitig trägt die Nutzung eigener mobiler Funktechnik am meisten zur individuellen Exposition bei. Genau das macht sich die Smartphone-App zunutze. Ein weiterer Mehrwert der App ist die große Menge an Daten, die von vielen Nutzern gesammelt werden können. Einzelmessungen sind unpräzise, sie weisen einen hohen Grad an Unsicherheit auf. Diese Messfehler lassen sich durch Auswertung großer Datenmengen jedoch gut kompensieren.
Die App für Android-Smartphones ist eine im Hintergrund arbeitende Anwendung zur Ermittlung und Bewertung der HF-EMF-Exposition. Sie erfüllt zwei Zwecke:
► Auf Grundlage der vom Smartphone erkannten situationsabhängigen Signalqualität des Mobilfunknetzes wird eine Abschätzung der HF-EMF-Exposition am Messort vorgenommen. Der Messort wird mit den Navigationsdaten (z.B. GPS) des Smartphones bestimmt. Mit kollektiven Messungen vieler Menschen entstehen aus diesen Messwerten die Expositionskarten des Projekts.
► Das Smartphone "weiß Bescheid", mit welcher momentanen Sendeleistung es die Verbindung zur Basisstation aufrechterhält. Anhand dieser Informationen lässt sich die persönliche HF-EMF-Dosis der App-Nutzer abschätzen. Um Zugang zu den eigenen individuellen Daten zu erhalten, ist eine Anmeldung (Login) an der Etain-Website erforderlich.
Die HF-EMF-Messungen der App werden mit Hilfe von Kalibrierfunktionen in elektrische Feldstärken umgerechnet. Jede einzelne Messung ist mit einer hohen Unsicherheit behaftet, da es sich um eine Einzelmessung zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort handelt. Je mehr Menschen die App auf ihren Smartphones installieren und zu verschiedenen Zeiten Messungen im selben Gebiet vornehmen, desto genauer kann Etain Karten erstellen, welche die räumliche und zeitliche Verteilung der HF-EMF-Exposition zeigen.
Die App erfasst neben Mobilfunk auch die Feldstärke von W-Lan. Die ohnehin schwache Exposition durch Bluetooth wird mit Auswertung von Dienstmerkmalen nur grob abgeschätzt.
Folgende Daten über die Nutzung von Smartphones werden gesammelt:
► Nutzungsart (z.B. Telefonieren, Surfen)
► Standortinformationen (GPS, Netzwerkstandort)
► Signalstärke (Mobilfunknetz, W-Lan), mit anderen Worten: Welche Technik wird momentan genutzt und wie stark ist diese Verbindung?
► aktuell genutztes Frequenzband (falls Daten dazu verfügbar)
► Dauer der Nutzung
Diese Daten werden benötigt, um die persönliche Exposition eines Smartphone-Nutzers zu ermitteln, aber auch um Daten der Umweltexposition für die Expositionskarten zu sammeln.
Die App registriert nicht:
► welche Rufnummern Sie anrufen
► den Inhalt Ihrer Anrufe oder Nachrichten
► den Inhalt Ihrer App- oder Browser-Nutzung
Details zum Datenschutz gibt es hier.
Gegenwärtig ist die Gratis-App, die anscheinend nur für Android-Smartphones bereitgestellt wird, noch nicht zu haben. Informationen zum Datum der geplanten Einführung konnte ich auf der Website des Projekts heute nicht finden.
Der Dosisrechner
Die HF-EMF-Dosis ist die Menge an HF-EMF-Energie, die pro Kilogramm Gewebe absorbiert wird. Ihre Maßeinheit ist wahlweise J/kg oder J/kg/Tag (J=Joule). Die Dosis beschreibt was innerhalb des Körpers absorbiert wird. Im Gegensatz dazu bezieht sich die Exposition üblicherweise auf HF-EMF-Werte außerhalb des Körpers. Die Berechnung der Dosis ist von Bedeutung, da sie Aufschluss darüber gibt, wie viel Exposition zu wie viel Dosis im Körper führt. Die Kenntnis darüber ist für die Analyse möglicher Auswirkungen auf die Gesundheit relevant.
Der Dosisrechner ist ein Online-Tool, das unterstützt durch persönliche und technische Eingaben statistische Berechnungen durchführt, um die HF-EMF-Dosis zu ermitteln. Mit dem Dosisrechner können Benutzer ihre durchschnittliche HF-EMF-Dosis berechnen. Das Tool informiert über den Dosisanteil körpernah betriebener Geräte (Smartphone) und über den Dosisanteil von HF-EMF-Quellen der Umgebung. Mit dem Dosisrechner können Benutzer feststellen, welche Quellen am meisten zu ihrer eigenen Exposition beitragen.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –
EU finanziert "Etain" bis 2027 mit mehr als 6,6 Mio. Euro
Die EU-Forschungsdatenbank Cordis gibt weitere Auskünfte über das im Juni 2022 gestartete Etain-Projekt. So erfährt man dort, dass die EU es mit 6,63 Mio. Euro finanziert. Zum Vergleich: Das berühmt-berüchtigte "Reflex"-Projekt der Stiftung Verum wurde von der EU mit rd. 2 Mio. Euro gefördert. Koordiniert wird das Etain-Projekt, das eine Laufzeit bis Anfang Juni 2027 hat, von der Universität Uetrecht. Dafür fließen rd. 1,64 Mio. Euro von Brüssel in die Niederlande. Der Rest des Budgets verteilt sich auf zehn beteiligte Institutionen in sechs europäischen Ländern, Deutschland ist nicht mit dabei. Das Schweizerische Tropen- und Public-Health-Institut, Basel, und die Fields at Work GmbH, Zürich, sind Partner des Projekts.
[Admin: In einer früheren Fassung des Postings erhielt die Uni Uetrecht 1,64 Euro, richtig sind 1,64 Mio. Euro. Der Fehler wurde am 15.05.24 um 01:50 Uhr berichtigt.]
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Etain-Projekt: 3D-Modellierung der Exposition von Insekten
Etain hat u.a. dreidimensionalen Insektenmodelle für die elektromagnetische Dosissimulationen entwickelt – eine neuartige Methode zur Erforschung möglicher Auswirkungen hochfrequenter elektromagnetischer Felder (HF-EMF) auf Insekten. Durch die Nachbildung der Anatomie verschiedener Bestäuberarten helfen diese Modelle den Forschern, die Leistungsabsorption und die dielektrische Erwärmung von Insekten zu untersuchen und dadurch ein besseres Verständnis der biologischen Auswirkungen der Telekommunikation, wie 5G, zu gewinnen. mehr ...
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