Tumoren durch Handys: intramuskuläres Schwannom (Forschung)
Eine anonyme unregistrierte Teilnehmerin im Gigaherz-Forum nennt sich "Anna" und ist der Ansicht, die Forumteilnehmer über Tumoren durch Handys aufklären zu müssen. Von den drei geschilderten Fällen sind zwei altbekannt (siehe Hintergrund), einer, es handelt sich nicht um einen Hirntumor, sondern um ein intramuskuläres Schwannom, ist frisch. Was gibt es an dem Neuen zu beanstanden?
Zunächst einmal ist bemerkenswert, auf welche Quellen sich Anna beruft. Zwei haben keinen schlechten Ruf, die Quelle "Zentrum der Gesundheit" aber ist meiner Erfahrung nach ein indiskutables Desinformationsportal, das sich mit Werbung für Pülverchen und Wässerchen über Wasser hält. Möglicherweise ist Anna nur ein Linksetzer, dessen Job es ist, dem dubiosen Portal Besucher zuzuführen, die beiden anderen Links dienen dann lediglich zur Tarnung, damit ein aufgeweckter Forumadmin nicht misstrauisch wird. Im Gigaherz-Forum ist diese Tarnung freilich unnötig gewesen.
Der neue Fall ist unverdächtig verlinkt und der Volltext steht jedem unentgeltlich zur Verfügung. Zugetragen hat sich der Fall wie die beiden anderen auch in Italien, die drei Autoren fassen ihn im Abstract ihrer Studie folgendermaßen zusammen:
◄ MRT-Aufnahme vom Unterleib des 40-jährigen Italieners. Der helle Fleck (rechts im Bild) zeigt das Schwannom im linken Oberschenkel des Mannes (Bild: Studienautoren)
Wir berichten über den Fall eines 40-jährigen Italieners, der sich mit einem intramuskulären Schwannom im linken Oberschenkel vorstellte, das mit dem Bereich zusammenfiel, in dem er üblicherweise sein Smartphone mit sich führt (vordere linke Hosentasche). Eine Ultraschalluntersuchung ergab eine gut abgegrenzte, abgekapselte, hypoechoische Läsion (41 × 15 × 28 mm) im Muskel, die auf dem Farbdoppler mehrere kleine Gefäßherde zeigte. Die elastografische Analyse ergab einen Verformbarkeitswert von 2, mit einigen steifen Bereichen. Die Magnetresonanztomographie bestätigte das Vorhandensein einer spindelförmigen Masse im Musculus tensor fasciae latae, mit unterschiedlicher Anreicherung nach Kontrastmittelgabe. Bemerkenswert ist, dass die Lage der intramuskulären Masse genau mit der Position der SIM-Karte des Telefons übereinstimmte. Wir können zwar keinen definitiven Kausalzusammenhang zwischen der Gewohnheit des Patienten sein Smartphone aufzubewahren und der Entwicklung des intramuskulären Schwannoms herstellen, spekulieren aber, dass der Ort, an dem das Smartphone üblicherweise aufbewahrt wird, möglicherweise ein Risiko- oder Prädispositionsfaktor war. Dieser Fall unterstreicht die Notwendigkeit weiterer Forschung zu den potenziellen Gesundheitsrisiken, die mit der Aufbewahrung von Smartphones verbunden sind, angesichts ihrer weiten Verbreitung in der heutigen Gesellschaft.
Simsalabim
So weit, so gut, fänden die Autoren die Lage des Schwannoms deckungsgleich unter der Sim-Karte des Mobiltelefons nicht so bemerkenswert. Ihre irritierende Feststellung treffen sie im Volltext noch etwas genauer:
[...] Der Patient gab an, dass er in den letzten zehn Jahren sein 3-4G-Smartphone stets in seiner linken vorderen Hosentasche aufbewahrt hat, was interessanterweise mit der Lage der intramuskulären Masse und der Position der SIM-Karte des Telefons übereinstimmt. Der Patient gab an, dass er sein Smartphone in der Regel etwa 8 Stunden pro Tag in seiner Hosentasche aufbewahrt. Während dieser Zeit blieb das WiFi-Modul des Telefons deaktiviert und nur die SIM-Karte war aktiv. Folglich wurde der gesamte Datenverkehr, einschließlich eingehender E-Mails, Nachrichten, Social-Media-Benachrichtigungen und eingehender Anrufe, ausschließlich über die SIM-Karte abgewickelt, während das Telefon in seiner Hosentasche aufbewahrt wurde.
[...]
Es ist interessant zu beobachten, dass der Tumor in einer Region auftrat, die genau der Position der SIM-Karte des Smartphones entsprach - einer Komponente, die Hochfrequenzstrahlung aussenden kann. Eine Hochfrequenz-SIM-Karte umfasst in der Regel eine Antenne und einen kontaktlosen Front-End-Chip, der einen Hochfrequenzkreis enthält [11]. Die Strahlungsleistung von HF-Schaltungen wird in der Regel auf das Maximum eingestellt, um eine optimale drahtlose Kommunikation zu gewährleisten. [...]
Hinweis: Quelle 11 ist ein Paper, das 2007 in Neuroscience Letters publiziert wurde. Dort geht es um ein GSM900-Mobiltelefon, das aus Sicht der Autoren das EEG von Probanden dergestalt beeinflusste, dass sie nach 30-minütiger HF-Exposition (Sprechmodus) später in den Schlaf fanden als ohne Exposition. Dieser Beitrag ist kostenpflichtig, über HF-Funktionen der Sim-Karte ist im Abstract nichts zu lesen.
Da ist der Wurm drin ...
Was auch immer die Autoren des Schwannom-Falls im Oberschenkel ihres Patienten dazu brachte, die Lage des gutartigen Tumors mit der Sim-Karte des Smartphones in Zusammenhang zu sehen, aus meiner Sicht ist es vollendeter Blödsinn. Denn die Sim (subscriber identity module; Teilnehmerkennung) hat mit der Hochfrequenzstufe eines Mobiltelefons überhaupt nichts zu tun, sie dient allein der Teilnehmerkennung in den Mobilfunknetzen und zur Gebührenabrechnung. Den Beweis für meine Behauptung konnte bis 2009 jeder Besitzer eines Mobiltelefons theoretisch sofort erbringen, indem er die Sim-Karte des Geräts entfernte, dann einen Notruf unter der Notrufnummer 112 absetzte und dem verärgerten Gesprächspartner wortreich erklärte, dass sein vermeintlicher Notruf nur eine Beweismittelfeststellung war. Wegen allzu häufigem Missbrauch ist dies heute nicht mehr möglich, auch Notrufe erfordern seit 2009 eine Sim-Karte, die auch nicht gesperrt sein darf. Für Zweifler muss als Beweis also ausreichen, dass bis 2009 Mobiltelefonate auch ohne Sim möglich waren und nichts und niemand darauf hinweist, dass Sims seither gezielt zu einer Quelle elektromagnetischer Strahlung geworden sind.
Mobiltelefone speisen ihre Sendeleistung nicht in die Sim-Karte ein, sondern in die internen Antennen des Geräts. Die waren zu Beginn des Digitalfunks (sichtbar) oben am Gerät platziert, mit dem Aufkommen der Smartphones 2007 wanderten sie bevorzugt ans untere Ende der Geräte. Bei höheren Trägerfrequenzen (2 GHz und mehr) schwingen die Antennen oder Teile davon, bei niedrigen Trägerfrequenzen 900 MHz und weniger kann hingegen auch das gesamte Gerätechassis schwingen (Quelle). Eine allein vor sich hin schwingende Sim-Karte gibt es jedoch nicht. Für die Exposition ist es stattdessen von Bedeutung, ob ein Smartphone in der Hosentasche mit der Rückseite zum Körper getragen wird (höhere Exposition) oder mit der gläsernen Bedienseite (schwächere Exposition).
Falsch ist auch die Behauptung, die Strahlungsleistung von HF-Schaltungen in Mobiltelefonen werde in der Regel auf das Maximum eingestellt, um eine optimale drahtlose Kommunikation zu gewährleisten. Das war nie der Fall, auch nicht beim guten alten GSM (2G), das bereits über eine Leistungsregelung verfügte und die Sendeleistung unmittelbar nach dem Verbindungsaufbau mit einer Basisstation vom Maximalwert auf situationsabhängig mehr oder weniger niedrigere Werte herabregelte. Ab UMTS (3G) war es dann beim Verbindungsaufbau auch um die kurzzeitige Exposition mit maximaler Sendeleistung geschehen, denn die Mobiltelefone starten mit minimaler Sendeleistung und regeln diese so lange hoch, bis eine akzeptable Verbindungsqualität gewährleistet ist.
Das technische Unverständnis der drei Autoren ist aus meiner Sicht erschreckend, denn es entwertet ihre Studie restlos. Auffällig ist: Zwei der Autoren (Mediziner) betreiben in Italien gewinnorientierte Unternehmungen, einer gehört zur Belegschaft einer Universität in Marokko. Für sie spricht, dass sie ihren Verdacht nicht als Tatsache ausgeben, sondern als Spekulation kennzeichnen. Die Notwendigkeit weiterer Forschung begründet ihr Paper indes nicht, zumindest nicht an weiterer Forschung, die sich auf völlig verkorkste technische Annahmen stützt.
Hintergrund
Der Fall Innocente Marcolini im IZgMF-Forum
Der Fall Roberto Romeo im IZgMF-Forum
Ärzte und Mobilfunk: schlechte Noten für Mediziner
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –