EMF & Neurologie: Chinesen wollen demente Mäuse gefunden haben (Forschung)
Aufklärung ist nicht nur für Jugendliche eine spannende Angelegenheit, auch Generäle wissen sie zu schätzen. Doch was, wenn der Aufklärer orientierungslos umherirrt und selbst keine Ahnung hat worüber er redet? Dann befinden wir uns statistisch signifikant in einer der Echokammern der Anti-Mobilfunk-Szene, wo selbsternannte Experten gerne mal mit einer wissenschaftlichen Studie laut aufs Blech hauen, um sich gegenüber Mitstreitern zu profilieren. So geschehen im Gigaherz-Forum mit einer Alarmstudie aus China.
Heute um 10:37 Uhr überraschte Eva W. aus O. in M. die zahllosen Besucher des Gigaherz-Forums nicht wie gewohnt mit einer Anekdote aus ihrem beschwerlichen Leben als "Elektrosensible", sondern mit einem wissenschaftlich äußerst anspruchsvollen Posting:
Auswirkungen der nichtthermischen Radiofrequenzstimulation auf neuronale Aktivität und neuronale Schaltkreise bei Mäusen
".....These findings indicate that nonthermal radiofrequency stimulation modulates ongoing neuronal activity and affects nervous system function at the neural circuit level."
https://www.emf-portal.org/de/article/49891
Wer den Köder schluckt, trifft beim EMF-Portal auf einen Link, der zum englischen Volltext einer Studie führt, die sich damit beschäftigte, welche Auswirkungen HF-EMF-Exposition auf das Nervensystem von Mäusen hat. Doch was das fachliche Anspruchsniveau den Lesern der Studie abverlangt, so behaupte ich: Jeder mir bekannte Mobilfunkgegner fliegt schon beim Studieren des Abstracts aus der Kurve. Mir erging es nicht besser, denn ich habe von Neurologie keinen blassen Schimmer.
Eva aber muss sich auskennen, schließlich ist sie es, die arglose Besucher des Gigaherz-Forums ohne Vorwarnung zu der anspruchsvollen Studiendokumentation schickt. Doch wie kann das sein? Eigenen Bekundungen zufolge war Eva 33 Jahre im Area Control Centre des Münchener Flughafens beschäftigt. Ob freilich als Centerlotsin, als Kantinenchefin oder als Toilettenfrau, darüber gibt sie keine Auskunft, was aber nicht weiter wichtig ist, denn mit Neurologie hat keiner der Jobs etwas zu tun.
Radiofrequenzstimulation
Zu diesem Posting inspiriert haben mich die Begriffe "Radiofrequenzstimulation" und "neuronale Schaltkreise bei Mäusen", mit denen Eva in ihrem Post so selbstbewusst hantiert, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes gemacht. Doch jedem dürfte klar sein, dies sind nicht die Worte von Eva, sondern von einem Übersetzungsautomaten, was wiederum verwundert, denn Centerlotsen, dachte ich bislang, würden die Dienste solcher Automaten nicht benötigen. Wie dem auch sei, der von Eva gefütterte Automat war kein guter, denn nur die dümmsten Automaten übersetzen "Radiofrequency Stimulation" mit "Radiofrequenzstimulation". Der Automat Deepl kann's besser und liefert "Hochfrequenzstimulation", ich neige in Anlehnung an die gängige Terminologie zu "HF-EMF-Exposition". Da weiß man wenigsten gleich, worum es geht.
Neuronale Schaltkreise bei Mäusen
Was aber mögen "neuronale Schaltkreise bei Mäusen" sein? Wikipedia zufolge sind neuronale Schaltkreise in ihrer Arbeitsweise dem biologischen Nervensystem nachempfunden. Sie beruhen auf der Technik künstlicher neuronaler Netze. Ja, so hatte auch ich das in Erinnerung, neuronale Schaltkreise sind Elektronik-Produkte der Halbleiterindustrie, in leibhaftigen Mäusen sind sie nicht zu finden. Evas Automat griff auch hier weit daneben bei seinem Versuch, "neural Circuit" zu übersetzen. Auch Deepl gerät ins Schleudern und bietet "neuronalen Kreislauf" an, was aus meiner unmaßgeblichen Sicht irreführend ist. Google bestärkt mich mit bescheiden 32 echten Fundstellen für die "Kreislauf"-Eindeutschung in meiner Einschätzung. Allerdings, das EMF-Portal hat sich für diese Übersetzung entschieden. Für treffender halte ich dennoch die Übersetzung "neuronales Netz", die Wikipedia anbietet.
Das alles hätte auch Eva recherchieren können, um ihr Posting von blödsinnigen Übersetzungsfehlern zu befreien. Es wäre ein Zeichen von Respekt gegenüber ihren Mitstreitern gewesen.
Rambo-Eva
Eine für Laien kryptische Studie wahllos aus dem rd. 38'000 Einträge umfassenden Datenbestand des EMF-Portals herauszugreifen und mit hanebüchener Übersetzung den Besuchern des Gigaherz-Forums anzudienen, das halte ich von Eva für ausgesprochen rücksichtslos und unkollegial. Denn wer als Laie auf ihr Posting hereinfällt, muss sich am Ziel wie ein Depp vorkommen. Auf "Beobachter", das Faktotum des Gigaherz-Forums, trifft dies selbstverständlich nicht zu. Dieser Teilnehmer, er befriedigt dort seit Jahren mit wechselnden Pseudonymen seinen starken Mitteilungsdrang, pirschte sich bis zur Studie vor, erbeutete getrieben von neuronaler Stimulation die beiden erschütternden Worte "Memory Damage" (Bild 7, neben der dementen Maus) und trug diese Trophäe zurück in seine Echokammer, um sie Eva zu zeigen. Belangloser geht es mMn nicht mehr ...
Zweifel an nichtthermischer Befeldung
Die Dosimetrie der Studie steht aus meiner Sicht im Widerspruch zu der Behauptung einer nichtthermischen HF-EMF-Exposition. Denn die Versuchstiere wurden mit einem starken HF-EMF-Pulssignal 80-mal pro Sekunde für 0,5 ms befeldet. Die maximale Leistungsflussdichte erreichte 2000 W/m², die mittlere 80 W/m². Die Mäuse entzogen gemittelt über den gesamten Körper diesem Feld abhängig von ihrer Ausrichtung zu den beiden Feldvektoren E und H zwischen 4 W/kg und 8,9 W/kg, gemittelt nur über dem Kopf der Nager waren es zwischen 5,9 W/kg und 6,6 W/kg. Ermittelt wurden diese Werte nicht durch Messung, sondern mit dem SAR-Berechnungsprogramm Sim4Life aus der Schweiz.
Alle diese Werte sind weit über den für Menschen zulässigen Grenzwerten. Die Einschätzung der Autoren, die Mäuse seien dennoch nichtthermisch befeldet worden, was Eva und "Beobachter" neuronal beträchtlich stimulierte, beruhen allein auf der rektal gemessen Temperaturerhöhung von +0,74 °C, welche die Mäuse infolge der Befeldung zeigten.
Ich bin kein Experte in Dosimetrie, kann mir jedoch vorstellen, die extrem starken Immissionsspitzen verursachten lokale Hotspots, die mit der trägen rektalen Messung der Kerntemperatur nicht erfasst wurden, die beobachteten Effekte jedoch verursachten. Zur Dauer der Befeldung machen die Autoren im Text keine eindeutigen Angaben, es sieht so aus, als ob die Exposition 15 Minuten dauerte und die Mäuse danach diverse Verhaltenstests absolvieren mussten.
Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal Fr...e halten
Ob die Studie gut oder schlecht gemacht wurde, müssen Wissenschaftler vom Fach beurteilen, die Dosimetrie ist mMn ordentlich dokumentiert. Den Denkansatz von Eva und "Beobachter", Laien auf das Paper loszulassen, in der Hoffung, diese würden vielleicht mehr kapieren als die beiden, halte ich für absurd und für die Szene der Mobilfunkgegner kontraproduktiv. Denn Laien zerschellen unter Garantie an der Studie der Chinesen und kommen möglicherweise zu der für sie heilsamen Einschätzung, von wissenschaftlich komplexen Studien besser Abstand zu nehmen und die Bewertung der Ergebnisse Leuten zu überlassen, die etwas davon verstehen.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –