Wir üben Desinformieren (11): Botschaften verfälschen (Allgemein)
Manchmal genügt es schon, nur das Komma in einem Satz zu verschieben, um eine Botschaft gründlich zu verfälschen. Aus wartet, nicht hängen!, wird auf diese Weise schnell das Gegenteil: Wartet nicht, hängen! Ganz so elegant ist eine Desinformation im Gigaherz-Forum nicht, Teilnehmer "Sonntagsgast" verfälscht dort in seiner Titelzeile eine Originalbotschaft der Zeitung NZZ, indem er aus einem Smartphonverbot ein Handyverbot macht:
Handyverbot an amerikanischer Schule tut gut
Beitrag von Sonntagsgast » 4. Dezember 2022 20:24
https://www.nzz.ch/feuilleton/auf-handy ... obal-de-DE
Ein amerikanisches Internat verbietet Smartphones. Die Wirkung auf Jugendliche ist positiv
Handys machen nicht nur glücklich, das zeigt sich gerade bei Jugendlichen. In der Buxton School in Massachusetts dürfen Schüler ihre Telefone nicht mehr benutzen. Ein Beispiel, das Nachahmung verdient.
Der Clou: Die Kinder können weiterhin mit ihren Eltern plaudern – nur eben nicht per Smartphone, sondern mit dem «Light Phone»
Auf den ersten Blick ist die Desinformation in diesem Posting nicht zu erkennen. Und zur Ehrenrettung von "Sonntagsgast" darf ich feststellen, die NZZ ist am Vorwurf der Desinformation nicht ganz schuldlos.
Wer das Posting unvoreingenommen liest, muss zu der Einschätzung kommen, ein amerikanisches Internat habe auf seinem Gelände den Gebrauch von Mobiltelefonen verboten, weil diese nicht nur glücklich machen (Strahlung?). Die Wirkung der Maßnahme auf Schülerinnen und Schüler sei positiv. Leuchtet diese Aussagen noch ein, ist der "Clou" der Geschichte ziemlich vage, sofern jemand mit dem Begriff "Light-Phone" nichts anzufangen weiß oder gar an ein Licht-Telefon denkt (Stichwort VLC: Visible Light Communication).
Desinformation sichtbar gemacht
Aus dem Originalartikel in der NZZ geht hervor, "Sonntagsgast" gibt den tatsächlichen Sachverhalt verzerrt wieder. Die Buxton School in Massachusetts hat kein Handyverbot ausgesprochen, sondern ein Smartphoneverbot. Wer nicht weiß, was ein Smartphone von einem Handy unterscheidet, der kann hier nachtanken. Damit ist auch das Motiv des Verbots klar, es geht der Schulleitung überhaupt nicht um Funkstrahlung, sondern allein um die Ablenkung der Internatsschüler durch typische Smartphonefunktionen wie Internetzugang und Apps. Das "Light-Phone" hat ergo nichts mit Licht zu tun, dahinter verbirgt sich vielmehr ein spartanisch ausgestattetes modernes Mobiltelefon ohne jede Smartphonefunktionalität. Anstelle eines Light-Phones wäre auch jedes alte Handy an der Buxton School zulässig, vorausgesetzt es funkt mit einem noch nicht zu den Akten gelegten Mobilfunkstandard. Das ist der Vorteil eines Light-Phones gegenüber der alten GSM/CDMA-Technik, es funktioniert zeitgemäß mit allen 4G-Basisstationen via VoLTE.
Die Desinformation durch "Sonntagsgast" beruht darauf, dass die im gegebenen Zusammenhang wichtige Differenzierung zwischen Handy und Smartphone nicht stattfindet, sondern beide Begriffe synonym gebraucht werden. Dieser Mangel steckt allerdings schon im Originaltext der NZZ. Der Gigaherz-Forumteilnehmer verstärkt die Desinformation durch selektives Zitieren und seine irreführende Titelzeile "Handyverbot an amerikanischer Schule tut gut", die sich in dieser Form im Originaltext nicht wiederfindet ("Ein amerikanisches Internat verbietet Smartphones. Die Wirkung auf Jugendliche ist positiv"). Wegen der Schwächen des Originals ist nicht auszuschließen, dass "Sonntagsgast" den NZZ-Artikel missverstanden hat und irrtümlich glaubt, ein Light-Phone funktioniere mit Licht. In diesem Fall wäre seine Desinformation unabsichtlich und das Resultat einer technischen Überforderung.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –
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