EU-Richtlinie zur Sammelklage: Was auf Deutschland zukommt (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Samstag, 19.11.2022, 13:16 (vor 756 Tagen)

In den USA sind Sammelklage ein verbreitetes juristisches Instrument. Mit der Umsetzung einer EU-Richtlinie kommen Sammelklagen auch nach Deutschland. Zwei Rechtsanwälte erklären in der Zeitschrift Capital, was das für Verbände und Unternehmen bedeutet. Organisierte Mobilfunkgegner bringen sich hierzulande bereits in Stellung, um das neue Rechtsmittel für ihre verschrobenen Forderungen auszunutzen.

Sammelklagen kennt man aus den USA. Doch auch in Europa müssen Gerichte heutzutage Massen gleichgelagerter Fälle bewältigen. Anders als in den USA, wo man sich schon seit über 100 Jahren mit dem Phänomen beschäftigt, waren die EU-Staaten insgesamt eher zögerlich mit der Einführung von Instrumenten des kollektiven Rechtsschutzes. Auch weil man die amerikanische Sammelklage eher kritisch sah. Jetzt zwingt die EU die Mitgliedsstaaten zum Handeln. Bis Ende des Jahres ist die europäische Richtlinie zu Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher umzusetzen – auch hierzulande.

In Deutschland beschäftigt sich der Gesetzgeber seit 2005 mit dem Phänomen der Massenklagen. Erinnert sei an die mehr als 16.000 Klagen gegen die Deutsche Telekom nach dem Absturz ihrer Aktie im Jahr 2000. Damit war das Zeitalter der Massenverfahren auch in Deutschland eingeläutet. Der deutsche Zivilprozess war damals noch auf wenig komplexe Streitigkeiten zwischen zwei Parteien zugeschnitten. Der Gesetzgeber erhörte das überlastete Gericht und schuf das Kapitalanlegermusterverfahrensgesetz, kurz: KapMuG. Ziel war die effizientere Bewältigung der 16.000 Klagen unter Vermeidung amerikanischer Zustände.

US-amerikanische Sammelklagen besitzen aus verschiedenen Gründen erhebliches Erpressungspotential gegenüber beklagten Unternehmen. Das KapMuG vermied diese Nachteile. Leider vermied es auch deren Vorteile. weiter ...

Hintergrund
Kommt jetzt die Musterfeststellungsklage gegen Mobilfunker? (2018)
"Kompetenzinitiative" will Mobilfunk juristisch zu Fall bringen (2021)
Die Sammelklage nach US-amerikanischem Vorbild – Ein Modell für Europa? (2008)
Thank you for Calling: Scheidsteger/Carlo-Connection (2015)

--
Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Recht, RA, Sammelklage, KapMuG

Gerichtliche Verfahrenskosten: hier Deutschland, dort USA

H. Lamarr @, München, Sonntag, 20.11.2022, 21:35 (vor 755 Tagen) @ H. Lamarr

Was Verfahrenskosten für zivilrechtliche Auseinandersetzungen angeht, gibt es zwischen Deutschland und den USA beträchtliche Unterschiede.

Der folgende Rechtsbericht beruht auf den Angaben eines Rechtsexperten der Außenwirtschaftsagentur Deutschlands. Der Bericht befasst sich mit den Gerichts- und Anwaltskosten sowie mit dem Ablauf eines Prozesses, der den "Federal Rules of Civil Procedure" (FRCP) unterliegt. Die Zivilverfahren vor den einzelstaatlichen Gerichten sind diesem sehr ähnlich. Jeder US-Bundestaat hat allerdings seine eigene Prozessordnung:

Gerichtskosten

Um jedem Bürger den Zugang zu den Gerichten zu ermöglichen, sind die Gerichtskosten in den Vereinigten Staaten traditionell niedrig. Mit Einreichen einer Klage beim erstinstanzlichen Bundesgericht wird eine Gerichtsgebühr in Höhe 350 US-Dollar fällig.

Einleitung des Verfahrens

Ein Verfahren, das den FRCP unterliegt, beginnt mit dem Einreichen der Klage bei Gericht (complaint). Im Gegensatz zu Deutschland enthält eine Klageschrift in den USA nur kurze Angaben zum Sachverhalt und zu dem Klageantrag (short and plain statement of claim). Eine entsprechende Ladung (summons) wird vom Gerichtsbeamten angefertigt und dem Kläger oder gegebenenfalls dem Anwalt des Klägers zusammen mit einer Kopie der Klageschrift übergeben. [...]

Der Beklagte muss innerhalb der Einlassungsfrist auf die Klage antworten. Grundsätzlich reicht hierfür ein Bestreiten der Klage im Rahmen der Klageerwiderung aus. Ferner kann er aber auch Einreden vorbringen.

Anwaltskosten

Im Gegensatz zu den Gerichtskosten fallen die Anwaltskosten in den USA relativ hoch aus. In den USA existiert keine allgemeine gesetzliche Regelung und es gibt keine feste Gebührentabelle. Üblicherweise rechnen Anwälte ihr Honorar in Zeitsätzen ab. Die Stundensätze sind hierbei sehr weit gefasst von 300 bis 1'000 US$. Hinzukommen etwaige Auslagen zum Beispiel für Reisen oder Telefonate. 

Für einen Kläger besteht die Möglichkeit das Kostenrisiko durch die Vereinbarung eines Erfolgshonorars (contigent fee) zu verringern. Ein Erfolgshonorar ersetzt oder ergänzt den Honoraranspruch des Anwalts, in dem der Anwalt an der möglichen zugesprochenen Summe beteiligt wird. Üblicherweise wird ein Erfolgshonorar bei Produkthaftungsklagen oder Verkehrsunfällen vereinbart. Die Sätze liegen in der Regel zwischen 25 Prozent und 50 Prozent. Die Vereinbarung eines Erfolgshonorars soll es finanziell schwach aufgestellten Klägern ermöglichen einen Anwalt zu finden. Oft steigern contigent fees aber auch die Prozessfreudigkeit der Anwälte.

Für den Beklagten stellt sich die Situation schlechter dar. Er muss die Stundensätze gewöhnlich bezahlen.

Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht

Anders als nach der deutschen Zivilprozessordnung kann die siegreiche Partei (abgesehen von spezialgesetzlichen Ausnahmen) von der unterlegenen Partei keine Kostenerstattung (cost shifting) verlangen. Im Rahmen des US-amerikanischen Verfahrensrechts gilt grundsätzlich die sogenannte American Rule, nach der jede Partei ihre eigenen Prozess- und Anwaltskosten zu tragen hat. Zu den ungeschriebenen Ausnahmen gehören z.B. Klagen, die "in bad faith" erhoben worden sind.

Soweit im konkreten Einzelfall die Kosten von der anderen Partei übernommen werden müssen, gehören hierzu unter anderem die Gebühren für Zeugen, Zustellungen, Sachverständiger und Dolmetscher.

Prozesskostenhilfe

Regelungen zur Prozesskostenhilfe vor den Bundesgerichten finden sich in 28 USC § 1915. Die Kostenbefreiung bezieht sich allerdings nur auf die Gerichtskosten. Nach 28 USC 8 (e) kann ein Gericht einen Rechtsanwalt mit der Vertretung von Personen beauftragen, die sich keinen Rechtsbeistand leisten können [...]. Der Anwalt erhält dabei weder von der Person noch von dem Staat ein Honorar. Die Übernahme einer unentgeltlichen Tätigkeit gehört zu den Pflichten eines US-Anwalts.

--
Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

RSS-Feed dieser Diskussion

powered by my little forum