Wie sehr Menschen in Europa ihren Institutionen vertrauen (Allgemein)

Gast, Montag, 11.07.2022, 21:30 (vor 848 Tagen)

Wie denken die Menschen in Europa über die Covid-19-Pandemie? Und was halten sie von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Regierungen, die sich damit befassen? Eine EU-unterstützte Umfrage gibt Antworten.

Vertrauen ist der Klebstoff, der Gesellschaften zusammenhält. In einer Gesellschaft kann es ohne Vertrauen weder Fortschritt noch Wohlstand geben. Doch unter welchen Bedingungen sollten Menschen auf Expertenmeinungen, die die öffentliche Politik bestimmen, vertrauen und sich auf diese verlassen? Und welche Rolle spielt die Wissenschaft bei der politischen Entscheidungsfindung? Eine im Rahmen des EU-finanzierten Projekts PEriTiA durchgeführte Online-Umfrage gibt Aufschluss über diese Fragen im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie.

Die Untersuchung wurde vom Policy Institute des PEriTiA-Projektpartners King’s College London ausgeführt. Die Daten wurden von über 12'000 Befragten in sechs europäischen Ländern erhoben: Deutschland, Italien, Irland, Norwegen, Polen und Vereinigtes Königreich. Die Ergebnisse der Umfrage werden in zwei Präsentationen vorgestellt, von denen die eine die Einstellung der Öffentlichkeit gegenüber Institutionen, die sich mit der Pandemie befassen, und die andere Wissen der Öffentlichkeit und falsche Vorstellungen über Covid-19 behandelt.

Haltung der Öffentlichkeit gegenüber Regierungen und Forschenden

Die Umfrage verdeutlichte einen besorgniserregenden Mangel an öffentlichem Vertrauen in die Regierungen der untersuchten Länder. Wenn es um die Bekämpfung der Pandemie geht, glauben die meisten Menschen, dass ihre Regierung motiviert ist, ihr eigenes Ansehen zu erhöhen oder zu schützen (70 %) und viel Geld zu verdienen (60 %).

Nur 49 % der Menschen besitzen das Gefühl, dass ihre Regierung das Leben von Menschen wie ihnen verbessern will. Ermutigend ist jedoch: 59 % sind der Meinung, die Regierung sei durch den Gedanken motiviert, dass die Menschen auf sie zählen. Bei dieser Schlüsselgröße in Bezug auf Vertrauen rangieren Polen und das Vereinigte Königreich am niedrigsten (mit 47 % bzw. 53 %), während Norwegen mit 66 % den höchsten Wert aufweist.

Dagegen werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich mit der Pandemie befassen, in allen sechs Ländern positiver gesehen. So sind 70 % der Bürgerinnen und Bürger der Meinung, dass Forschende durch die Verbesserung des Lebens künftiger Generationen motiviert sind, während nur 53 % dies von der Regierung behaupten. In allen Aspekten, einschließlich Kompetenz, Wissen und Ehrlichkeit, bewerten die Menschen die Regierung durchweg am negativsten, gefolgt von der Europäischen Kommission in der Mitte, und die Angehörigen der Wissenschaft am positivsten.

Wissen und Fehleinschätzungen

Bei der Analyse der Einstellung der Öffentlichkeit zu Covid-19 stellten die Forschenden fest, dass schätzungsweise 7 von 10 Personen glauben, dass fast alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Meinung sind, dass Impfstoffe sicher sind. Allerdings glauben 33 %, dass ihre Regierung die Zahl der durch das Coronavirus verursachten Todesfälle übertreibt, und 12 % würden sich niemals impfen lassen. Menschen, die jünger, weniger gebildet und religiöser sind, scheinen eher zu glauben, dass die Symptome des Coronavirus mit der Strahlung des 5G-Netzes zusammenhängen.

Der Direktor des Policy Institute, Prof. Bobby Duffy, stellt in einer Pressemitteilung auf der PEriTiA-Website (Policy, Expertise, and Trust in Action) fest: „Obwohl die Pandemie viel länger dauert als von vielen erwartet, reichte die Zeit nicht aus, um alle von bestimmten Fakten über Covid-19 und die Reaktion auf das Virus zu überzeugen. Sowohl im Vereinigten Königreich als auch in anderen europäischen Ländern, die in diese Studie einbezogen wurden, ist eine hartnäckige Minderheit vorhanden, die nicht nur den wissenschaftlichen Konsens über die Sicherheit von Impfstoffen anzweifelt, sondern auch die staatliche Berichterstattung über Covid-19-Todesfälle, während etwa jeder Sechste immer noch an die entlarvte Verschwörungstheorie eines Zusammenhangs zwischen 5G und dem Coronavirus glaubt. Der Aufbau von Vertrauen in Fachwissen, womit die Menschen in der Lage sind, verlässliche Informationen zu erkennen und zu akzeptieren, ist während einer Krise im Bereich der öffentlichen Gesundheit von entscheidender Bedeutung und sollte eine Priorität für Politik und Wissenschaft darstellen, wenn wir mit den Bedrohungen der Zukunft besser umgehen wollen.“

Hintergrund
PEriTiA-Projektwebsite

Warum haben Menschen kein Vertrauen in Wissenschaft?

H. Lamarr @, München, Sonntag, 24.07.2022, 18:24 (vor 835 Tagen) @ Gast

Forschende, die sich mit Einstellungen und Überzeugungen befassen, haben die Gründe untersucht, warum manche Menschen bei ihrer Meinungsbildung wissenschaftliche Beweise nicht beachten. In der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ haben sie vier grundlegende Prinzipien dargelegt, die erklären, warum Menschen wissenschaftsfeindliche Überzeugungen haben, und wie man sie mithilfe von Strategien überwinden kann.

Was steckt hinter der Ablehnung wissenschaftlicher Beweise?

Erstens mangelt es der Quelle, die die Informationen bereitstellt, wie z. B. einer Wissenschaftlerin oder einem Wissenschaftler, an Glaubwürdigkeit. Zweitens identifiziert sich das Publikum der Botschaft mit Gruppen, die eine wissenschaftsfeindliche Haltung einnehmen. Drittens widerspricht eine wissenschaftliche Botschaft den Überzeugungen und Vorlieben einer Person. Und viertens besteht eine Diskrepanz zwischen der Art und Weise, wie eine Botschaft präsentiert wird, und der Denkweise einer Person.

„Allen vier grundlegenden Prinzipien ist gemein, dass sie aufzeigen, was passiert, wenn wissenschaftliche Informationen im Widerspruch zur Denkweise oder zur bereits festgelegten Sichtweise einer Person stehen“, erklärt Mitautor Richard Petty, Professor für Psychologie an der Ohio State University in den Vereinigten Staaten, in einer Pressemitteilung. „Diese Art von Konflikten ist für die Menschen schwer zu bewältigen, und das macht es ihnen leichter, wissenschaftliche Informationen, die nicht in ihr Weltbild passen, einfach abzulehnen.“

Prof. Petty ergänzt: „Früher stellten Impfungen eine Standardmaßnahme dar, die von allen akzeptiert wurde. Doch einige Entwicklungen in den vergangenen Jahren haben dafür gesorgt, Menschen vom Gegenteil des wissenschaftlichen Konsens bei Impfungen und anderen Themen zu überzeugen.“

Durch den ständigen Kreislauf der Medien und sozialen Medien erhalten die Menschen die Möglichkeit, Fakten so zu interpretieren, wie sie es für richtig halten. Die Politik nimmt eine wichtige Rolle ein und trägt zu allen vier Gründen bei. „Die Politik war immer da, und die Menschen hatten politische Ansichten, aber sie durchdrang nicht alles. Früher waren Wissenschaft und wissenschaftliche Überzeugungen von der Politik getrennt, aber das ist heute nicht mehr der Fall“, so Prof. Petty. weiter ...

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Ueberzeugung, Glaubwürdigkeit, Konsens, Denkweise, Konflikt

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