Neue SSK-Stellungnahme: Auswirkungen von 5G-Mobilfunknetzen (Allgemein)
Nach langen Vorarbeiten wurde heute die Stellungnahme der deutschen Strahlenschutzkommission zu "Elektromagnetischen Feldern des Mobilfunks im Zuge des aktuellen 5G-Netzausbaus" veröffentlicht. Eine Arbeitsgruppe der SSK hat rund zwei Jahre daran gearbeitet, dann durchlief das Papier die Prozedur der Verabschiedung durch die SSK. Die jetzt publizierte Stellungnahme deckt den Frequenzbereich FR1 ab (bis etwa 7 GHz), sie knüpft an die SSK-Stellungnahme von 2011 an und beurteilt den Stand der Forschung mit Blick auf biologische/gesundheitliche Auswirkungen einer 5G-Exposition. Eine weitere Stellungnahme für den Frequenzbereich FR2 (20 GHz und darüber) ist in Vorbereitung und wird mutmaßlich in rd. zwei Jahren folgen.
Die vollständige SSK-Stellungnahme (PDF) umfasst 147 Seiten. Dies erklärt, warum selbst die folgende Zusammenfassung noch beträchtliche Ausmaße hat. Sie enthält einige neue Aspekte, die in der öffentlichen Mobilfunkdebatte bislang nicht zur Sprache gekommen sind und Appetit auf die Lektüre der kompletten Stellungnahme machen. Dies gilt für alle ergebnisoffenen und technisch interessierten Teilnehmer der Debatte. Organisierte Mobilfunkgegner werden hingegen an den Beratungsergebnissen der SSK wenig Freude haben.
Hier nun die Zusammenfassung der SSK-Stellungnahme:
Im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit sollte die Strahlenschutzkommission (SSK) beurteilen, ob aus aktueller Sicht der Forschung die Grundlagen, auf denen die in Deutschland geltenden Grenzwerte für Hochfrequenzimmissionen (Sendeanlagen und Endgeräte) basieren, weiterhin uneingeschränkt Gültigkeit besitzen. Auslöser für diesen Auftrag war der Start des 5G-Mobilfunknetzausbaus in Deutschland im Jahr 2019.
Das vorliegende Dokument befasst sich nur mit den biologischen und gesundheitlichen Aspekten von Hochfrequenzfeldern im bisher bereits intensiv für die Mobilkommunikation genutzten Frequenzbereich bis etwa 7 GHz (FR1). Diesen nutzen auch die Anlagen der aktuell deutschlandweit im Aufbau befindlichen 5G-Netze. Zusätzlich werden besondere technische Aspekte der neuen 5G-Technologie betrachtet und ihre Auswirkungen auf die zu erwartende Hochfrequenzimmission und die Exposition der Bevölkerung beurteilt. Eine Bewertung von 5G-Anwendungen im zukünftig erstmals im Bereich der Mobilkommunikation intensiver genutzten Millimeterwellenbereich oberhalb 20 GHz (FR2) wird in einer separaten Stellungnahme der SSK vorgenommen werden.
Im ersten Teil der Stellungnahme (Teil I, Kapitel 1 bis 5) werden wichtige immissionsrelevante technische Aspekte von 5G-Mobilfunksystemen vorgestellt sowie einige Fragestellungen zu Immissionsminimierung, Standardisierung und den aktuellen rechtlichen Regelungen des Immissionsschutzes bei hochfrequenten elektromagnetischen Feldern behandelt. Im zweiten Teil (Teil II, Kapitel 1 bis 6) erfolgt eine Aktualisierung des Standes der Forschung zu biologischen und gesundheitlichen Auswirkungen hochfrequenter Felder im Frequenzbereich FR1.
Bezüglich der technischen Aspekte der 5G-Technologie (Teil I, Kapitel 1 bis 5 dieses Dokuments) nimmt die SSK zusammenfassend wie folgt Stellung:
► Bezüglich Frequenzbereich und Signalstruktur besteht bei den Anlagen der aktuell in Deutschland im Aufbau befindlichen 5G-Netze (Frequenzbereich FR1) kein grundsätzlicher Unterschied zu Sendeanlagen des LTE-Mobilfunkstandards (4G). Auch bezüglich der von Endgeräten erzeugten Hochfrequenzimmission sind keine nennenswerten Unterschiede im Vergleich zum 4G-Standard zu erkennen.
► Eine Zunahme der von Basisstationen verursachten Mobilfunkimmissionen ist überall dort zu erwarten, wo gegenwärtig die Versorgungssituation als nicht zufriedenstellend angesehen wird bzw. Kapazitätsengpässe auftreten. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass aufgrund der technologieneutralen Vergabe der Funkfrequenzen eine daraus resultierende Immissionserhöhung generell auch mit einem Netzausbau durch eine andere Technologie als 5G zu erwarten wäre.
► Bislang nur im Frequenzbereich um 3,6 GHz verwendete elektronische Strahlsteuerungs-Techniken (Beamforming) bei 5G-Basisstationsantennen können zwar zu einer lokalen Zunahme der maximal möglichen Immission an denjenigen Orten führen, die sich im Abdeckungsbereich eines aktuell ausgebildeten Antennenbeams befinden. Gleichermaßen wird dafür die Immission an den von der Antennenabstrahlung „ausgesparten“ Orten sinken. Die Beamforming-Technik sorgt erstmalig dafür, dass die von der Basisstation erzeugten Hochfrequenzfelder und damit auch die Immissionen hauptsächlich dort in der Funkzelle auftreten, wo sie auch für die Kommunikation gebraucht werden.
► Die persönliche Gesamtexposition wird auch beim 5G-Mobilfunk nicht durch die Basisstationen, sondern in der Regel durch das eigene Endgerät dominiert. Eine Verbesserung der Funkversorgung führt zu einer verringerten Sendeleistung der Endgeräte und damit zu einer effektiven Reduzierung der persönlichen Gesamtexposition.
► Die in Deutschland geltenden Rechtsvorschriften zum Schutz der Allgemeinbevölkerung vor Hochfrequenzimmissionen der 26. BImSchV in Verbindung mit der Verordnung über das Nachweisverfahren zur Begrenzung elektromagnetischer Felder (BEMFV) sind grundsätzlich geeignet, die Sicherheit in der Umgebung der aktuell im Aufbau befindlichen 5G-Mobilfunkbasisstationen zu gewährleisten. Vergleichbares gilt durch die Vorschriften der Produktsicherheit auch für die Endgeräte.
► Aus Sicht der Minimierung von Mobilfunkimmissionen erscheint die Umrüstung von Anlagen älterer Mobilfunksysteme (GSM, UMTS, LTE) auf den 5G-Standard wegen einer dann deutlich geringeren Leistung der permanent (d. h. unabhängig von der aktuell herrschenden Auslastung der Anlage) in die Zelle gesendeten Always-on-Signale effizienter als die Minimierung der Anlagenanzahl durch die Erlaubnis, dass die Basisstationen auch alle Teilnehmer fremder Netzbetreiber annehmen dürfen (nationales Roaming).
► Mit 5G gewinnt die softwaregesteuerte Leistungsregelung von Anlagen im Vergleich zur Steuerung durch die Hardware noch mehr an Bedeutung. Es sollten daher Aspekte und Lösungsansätze zur softwaregestützten Überwachung von Anlageparametern oder für die messtechnische Bestimmung von Hochfrequenzimmissionen durch die betreffenden Mobilfunksendeanlagen frühzeitig in der Standardisierung eines Funksystems eingebracht werden. Damit könnten den Vollzugsbehörden Schnittstellen zur Überwachung von Anlagenparametern verfügbar gemacht werden oder beispielsweise Hersteller früher mit der Entwicklung geeigneter Messgeräte und -verfahren beginnen.
Zum Stand der Forschung bezüglich biologischer und gesundheitlicher Auswirkungen hochfrequenter Felder im Frequenzbereich FR1 (Teil II, Kapitel 1 bis 6) nimmt die SSK wie folgt Stellung:
► Auf Basis des aktuellen Standes der Forschung bezüglich biologischer Wirkungen von Hochfrequenzimmissionen für die Frequenzbereiche im FR1, die derzeit für 2G, 3G und 4G und zukünftig vermehrt auch für den 5G-Mobilfunk verwendet werden, kann gefolgert werden, dass derzeit keine belastbaren Hinweise für gesundheitliche Risiken bei Expositionen von Personen unterhalb der in Deutschland gültigen Grenzwertvorgaben für Sendeanlagen und Endgeräte vorliegen.
► Daraus resultiert die Feststellung, dass auch aus aktueller Sicht der Forschung die in Deutschland derzeit geltenden Grenzwerte für Hochfrequenzimmissionen sowie die Vorgaben zur Produktsicherheit in ihrer Schutzfunktion ausreichend sind.
► Es besteht hierbei eine grundsätzliche Übereinstimmung mit den Schlussfolgerungen anderer internationaler Expertengremien, die in den letzten etwa zehn Jahren vergleichbare Bewertungen durchgeführt haben.
► Obwohl unter experimentellen Bedingungen kurzfristige biologische Wirkungen bei Expositionen im Bereich der Grenzwerte in Einzelfällen beobachtet wurden, sind nach heutigem Kenntnisstand damit keine akuten oder langfristigen gesundheitlichen Auswirkungen verbunden. Derartige Expositionen können im Alltag vor allem bei der Nutzung von Mobiltelefonen auftreten, sie sind hingegen im Umfeld von Basisstationen sehr unwahrscheinlich.
Aus den in dieser Stellungnahme diskutierten Aspekten ergeben sich folgende besonders relevante Themen, bei denen die Datenlage noch verbesserungswürdig erscheint, weshalb sie durch zukünftige Forschungsprojekte bearbeitet werden sollten (siehe auch Teil I, Kapitel 5 sowie Teil II, Kapitel 6 und 7):
► Aufbau einer Datenbank mit belastbaren Daten zu den durch 5G erzeugten mittleren und maximalen Immissionen sowie der Exposition der Bevölkerung.
► Untersuchungen zur Funktion und Verlässlichkeit der Verfahren zur adaptiven Leistungsregelung (Power-Lock) bei 5G-Anlagen mit Beamforming-Antennen einschließlich der Prüfung der Einführung von Nachweisverfahren zum sicheren Betrieb des Power-Lock.
► Die Entwicklung zukünftiger Mobilfunk-Technologien (z. B. 6G) sollte frühzeitig mit Forschungsprojekten begleitet werden, die sich mit einer eventuell durch die neuen Technologien bedingten Immissionsveränderung beschäftigen. Zudem sind frühzeitig Verfahren zur Bestimmung der Immissionen durch diese neuen Systeme zu entwickeln und zu erproben.
► Offene Fragen gibt es auch bei der Dosimetrie bezüglich des Energieeintrages in das biologische Gewebe, insbesondere im Zusammenhang mit der gleichzeitigen Exposition von mehreren Quellen, und zu neuartigen Expositionssituationen, wie sie bei neuen Anwendungen entstehen können.
► Generell noch nicht restlos geklärt ist die Frage, ob die Signalcharakteristik (z. B. Modulation) für biologische Effekte eine Rolle spielt oder ob nur die aufgenommene Energie maßgebend ist. Während diese Fragestellung in epidemiologischen Studien aufgrund der Vielzahl von HF-EMF-Quellen im Alltag schwierig zu klären ist, kann sie in experimentellen Ansätzen systematisch untersucht werden.
► Die zugrundeliegenden zellulären Wirkmechanismen für biologische Effekte bei Expositionen im Bereich der Grenzwerte sind noch nicht abschließend geklärt, wie z. B. Einflüsse auf das oxidative Gleichgewicht oder geschlechts- und altersspezifische Effekte auf das EEG. Solche Effekte müssen sich nicht zwangsläufig ungünstig auf die Gesundheit auswirken. Allerdings ist bei bestimmten Effekten (z. B. mögliche Kanzerogenität, mögliche Gentoxizität) weitere Forschung zur Klärung noch offener Fragen erforderlich, wie z. B. die Bedeutung von kleinen Temperaturveränderungen oder möglichen Unterschieden in der individuellen Empfindlichkeit.
► Es gibt relativ wenig epidemiologische Daten von guter Qualität zu Langzeitwirkungen. Große prospektive Kohortenstudien, wie z. B. die laufende COSMOS-Studie (Schüz et al. 2011), sind geeignet, um eine Vielzahl von möglichen Auswirkungen auf Gesundheit, Verhalten und Lebensqualität durch verschiedene Expositionen im Alltag zu untersuchen und sind auch in Zukunft wichtig (z. B. zur Langzeitwirkung von Handynutzung).
► Im Hinblick auf den geplanten Einsatz von Millimeterwellen (5G FR2 bzw. 6G) empfiehlt sich, experimentelle Forschung auch in diesem Frequenzbereich zu forcieren.
Hintergrund
SSK-Jahresbericht 2019: Stellungnahme zu 5G-Risiken angekündigt
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –