Zähneputzen, Störsender einschalten und ab ins Bett (Technik)

H. Lamarr @, München, Montag, 14.02.2022, 17:21 (vor 796 Tagen)

Die französische Funknetzagentur ANFR erhielt im August 2020 eine Beschwerde von einem Mobilfunknetzbetreiber. Die Störung betraf Telefon- und Internetdienste auf allen Frequenzbändern in der Gemeinde Messanges an der Atlantikküste. Bis dahin Routine. Doch ein Detail machte die ermittelnden ANFR-Techniker stutzig: Die Störung trat nie vor Mitternacht auf und endete meist gegen 3 Uhr morgens, und das an allen Tagen der Woche, ohne Ausnahme. Hier die kuriose Geschichte zur nächtlichen Funkstörung.

Es war also mitten in der Nacht, als die ANFR-Regionalniederlassung Toulouse ihre Untersuchung begann. Was nur konnte eine solche Störung zu einer Zeit verursachen, in der die ganze Stadt schläft? Die Uhr des losgeschickten Technikers ging auf Mitternacht, als er mit seinem Peilwagen am Fuße eines Funkstandorts des Mobilfunknetzbetreibers stand, der sich beschwert hatte, und den Bildschirm seines Spektrumanalysators beobachtete.

Störsignal eines Multbandstörsenders am Display eines Spektrumanalysators.
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Plötzlich nahm die Anzeige am Bildschirm eine charakteristische Form an. Die Interpretation der Messergebnisse ließ kaum einen Zweifel, es war die Signatur eines Störsenders, dessen Besitz und Gebrauch in Frankreich verboten ist!

Unverzüglich machte sich der Techniker auf die Suche nach der Quelle des Störsignals. Auch mitten in der Nacht sind die unsichtbaren Wellen auf seinen Geräten gut sichtbar: Mit dem Peiler auf dem Dach des Fahrzeugs und dem tragbaren Empfänger für die Suche zu Fuß entgeht ihm kein Störsignal.

Die Ortung führte ihn in Küstennähe vor ein Haus in einer benachbarten Gemeinde. Um 1:30 Uhr war die Quelle des Signals eindeutig identifiziert. Doch die ungewöhnliche Uhrzeit und die Abwesenheit eines Kriminalbeamten machten es erforderlich, das Finale der Jagd auf den nächsten Morgen zu vertagen. Nach kurzer Nacht nahm der Techniker seine Ermittlungen wieder auf. Zur Rede gestellt, gab der Bewohner des Hauses sofort zu, dass er tatsächlich einen im Internet gekauften Störsender benutzt. Es stellte sich heraus, dass es sich bei dem Gerät um einen Multibandstörsender handelte, der sowohl Mobiltelefone als auch WiFi außer Gefecht setzt.

Rätselhaft war jetzt nur noch: Warum störte der Sender stets nur wischen Mitternacht und 3 Uhr morgens? Die Erklärung war verblüffend einfach: Der Störsender war von dem Familienvater installiert worden, um seinen Teenagern zu nachtschlafener Zeit den Internetzugang für ihr Smartphone zu verwehren. Seine Kinder waren geradezu süchtig nach sozialen Netzwerken und anderen Ablenkungen im Internet, insbesondere seit dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie. Nachdem er sich in Internetforen umgesehen hatte, kam der Vater zu der Einschätzung, ein Störsender sei die beste Lösung, um den Exzessen ein Ende zu setzen.

Diese Lösung war radikal, aber vor allem illegal und unverhältnismäßig. Denn das Gerät störte nicht nur die Smartphones seiner Kinder. Es störte auch die Funktelefonie und das mobile Internet in der Umgebung seines Hauses, so dass nicht nur seine Kinder, sondern auch seine Nachbarn, die Einwohner seiner Gemeinde und die der Nachbargemeinde keine ungestörte mobile Verbindung mehr hatten. Als der Mann das Internet aus seinem Haus verbannen wollte, schüttete er das Kind mit dem Bade aus und schnitt seine gesamte Nachbarschaft von der Mobilkommunikation ab.

Am übernächsten Tag bestätigte der Netzbetreiber erleichtert, dass die erste Nacht nach Stilllegung des Störsenders ohne Störungen des Netzes verlaufen war.

Der Familienvater muss nun mit strafrechtlichen Verfolgung rechnen, da sowohl der illegale Besitz als auch die Nutzung eines Störsenders mit bis zu sechs Monaten Gefängnis und bis zu 30'000 € Geldstrafe geahndet werden kann. Der ANFR-Techniker forderte den Mann nicht nur auf, den Störsender auszuschalten und nicht mehr zu benutzen, sondern erinnerte den Eigentümer des Geräts auch an die gesetzlichen Bestimmungen, denen zufolge der ANFR-Entstöreinsatz den Störungsverursacher zusätzlich 450 € kostet.

In Frankreich beschlagnahmter Multibandstörsender.
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Bilder: ANFR

Um eine Wiederholungstat auszuschließen stellte die ANFR bei der zuständigen Staatsanwaltschaft Strafanzeige gegen den Sünder und forderte die Herausgabe des Störsenders an die Polizei oder seine Beschlagnahmung, da bereits der Besitz eines solchen Gerätes verboten sei. Anschließend teilte der Staatsanwalt der Agentur mit, er habe die Gendarmerie mit einer Untersuchung beauftragt und verlangt, dass der Beschuldigte vorgeladen wird und den Störsender zur Beschlagnahmung aushändigt.

Quelle: Les enquêtes de l’ANFR - Les dents, le brouilleur et au lit !

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Störsender, ANFR, Funkstörung, Multibandstörsender


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