Neues von Berenis (27): Dezember 2021 - Forum Faktencheck Elektrosmog

Neues von Berenis (27): Dezember 2021 (Forschung)

H. Lamarr @, München, Donnerstag, 23.12.2021, 13:41 (vor 1125 Tagen)

Im Zeitraum von Anfang Februar 2021 bis Ende April 2021 wurden 88 neue Publikationen identifiziert, von denen sechs von Berenis vertieft diskutiert wurden. Vier davon sind gemäß den Auswahlkriterien besonders relevant. Sie wurden somit zur Bewertung ausgewählt und werden im Folgenden gekürzt vorgestellt (ungekürzter Berenis-Newsletter).

Experimentelle Tier- und Zellstudien

20-kHz-Magnetfelder und der Einfluss auf die Entwicklung von Krebs sowie Gedächtnisleistung, Koordination / Gleichgewicht und Angstverhalten bei weiblichen Mäusen (Lerchl et al. 2021)
In der Studie von Lerchl et al. (2021) wurden Effekte chronischer Magnetfeldexposition (20 kHz, 360 μT) auf das Verhalten von Mäusen sowie hinsichtlich Karzinogenese/Krebsentstehung untersucht. Magnetfelder in diesem Frequenzbereich werden z.B. von Induktionskochherden oder beim kabellosem Laden von Elektroautos verwendet. Für diesen Frequenzbereich gibt es nur relativ wenige publizierte Studien.
Je 80 weibliche Mäuse wurden in Käfigen mit je 5-6 Tieren ab einem Alter von drei Monaten für insgesamt 13 Monate Schein- oder real exponiert (24 Stunden pro Tag, 7 Tage pro Woche, homogenes Magnetfeld bei einer Frequenz von 20 kHz und einer Intensität von 360 μT). Bei dieser Intensität sind die induzierten Körperströme in der Maus vergleichbar mit denen in Menschen beim Grenzwert für die Bevölkerung (27 μT). Nach 10-monatiger Exposition wurden Verhaltenstests durchgeführt, um die Gedächtnisleistung, Koordination/Gleichgewicht und das Angstverhalten der Tiere zu erfassen. Nach 13 Monaten wurde Gewebe von Gehirn, Leber, Niere, Milz und Lunge der Mäuse routinemässig histologisch untersucht, um die Entstehung von Tumoren und deren Typ zu analysieren.
Die Ergebnisse zeigten keine Unterschiede zwischen exponierten Mäusen und denjenigen der Kontrollgruppe betreffend Gewichtszunahme und Überlebenszeit. In den Verhaltenstests zur Gedächtnisleistung zeigten sich keine Unterschiede zwischen den Gruppen. Allerdings waren Gleichgewicht und Koordination bei den exponierten Mäusen verändert; die Tiere hielten sich länger auf dem drehenden Stab (Rotarod). Diese Veränderungen führen die Autoren auf vermehrten Stress und daher erhöhte Vigilanz zurück. Obgleich die Tumorinzidenz nicht signifikant verändert war, wurden tendenziell mehr Tumoren und Hyperplasien bei den exponierten Mäusen beobachtet (11 bei den Kontrollen, 17 bei den Exponierten). [...]

Verminderte Neurogenese und Wahrnehmungskapazität nach Langzeitexposition von Mäusen in einem hypomagnetischen Feld (Zhang et al. 2021)
Die Studie von Zhang et al. (2021) [...] untersucht den Einfluss des Erdmagnetfeldes (geomagnetisches Feld, GMF) auf biologische Funktionen. Es ist anerkannt, dass das GMF von einigen Tierarten zur Navigation genutzt werden kann. Diverse Studien unter Exposition mit einem Hypomagnetfeld (Absenz eines Magnetfeldes), wie es bei der Weltraumfahrt anzutreffen ist, zeigen negative Effekte auf das zentrale Nervensystem. Jedoch ist weitestgehend unerforscht, ob das GMF einen generellen Einfluss auf alle Organismen oder grundlegende Zellfunktionen hat. Ein solcher Zusammenhang wird in dieser Studie am Beispiel der Entstehung von Neuronen (Neurogenese) bei Absenz eines Magnetfeldes betrachtet. Die Neurogenese ist eng verknüpft mit Lernen und Gedächtnisleistung, welche durch Stress sowie verschiedene Umwelteinflüsse vermindert werden kann. Es wäre also vorstellbar, dass eine solche evolutionär entstandene Abhängigkeit bei starker Reduktion eines Magnetfeldes beobachtet werden könnte, was auf funktionelle Auswirkungen durch EMF hinweisen könnte.
Männliche Mäuse (Inzuchtstamm C57BL/6, auch als "black6" bekannt), die in einem statischen hypomagnetischen Feld (HMF) exponiert waren, also unter Ausschluss des Erdmagnetfeldes, zeigten erhebliche Beeinträchtigungen der Neurogenese nach 2-wöchiger Exposition, was sich in einer Hemmung der Proliferation neuronaler Stammzellen zeigte. Das statische HMF war mit 0,29 μT ca. 190-mal schwächer als das lokale Erdmagnetfeld (ca. 55 μT). Neuronen in der Hirnregion Hippocampus (Gyrus dentatus) von Neugeborenen waren nach HMF-Exposition von wenigen Wochen weniger weit differenziert. Eine Transkriptomanalyse verdeutlichte, dass die Hemmung der Differenzierung mit einer Hochregulation von Genen im Zusammenhang mit metabolischen Prozessen und Zellproliferation einherging. Gleichzeitig war das Lernverhalten der Tiere im HMF deutlich vermindert. [...]

Beeinflussung von Hautzellen durch hochfrequente elektromagnetische Felder (Kim et al. 2021)
Die Haut als physische Barriere zur Umgebung ist elektromagnetischen Feldern und anderen Umwelteinflüssen am stärksten ausgesetzt. Diesbezüglich haben Kim et al. (2021) in ihrer in vitro Studie menschliche Hautzellen (Keratinozyten HaCaT) auf Effekte eines LTE-modulierten HF-EMF (1.76 GHz, SAR: 4 W/kg, 2 Stunden/Tag, für 4 Tage) hin untersucht, wobei teilweise UV-A-Bestrahlung als positive Kontrolle einbezogen wurde. Die Autoren haben einen Anstieg der Bildung von ROS beobachtet, der allerdings weniger stark ausfiel als nach UV-A-Bestrahlung. Das erhöhte ROS-Level nach LTE-Exposition hatte aber keinen Einfluss auf die Morphologie, die Vitalität und die Vermehrung der Zellen und führte auch nicht zu Veränderungen von Apoptose-Markern, was auf eine toxische Wirkung hindeuten würde. Im Weiteren wurde die Expression und Aktivität von «Matrix Metalloproteinasen» (MMPs) analysiert. [...]
Die Autoren schliessen aus ihren Daten, dass eine HF-EMF-Exposition wie einem LTE-Signal möglicherweise zu einer Beschleunigung des Hautalterungsprozesses durch die Bildung von ROS führen könnte, ähnlich dem bekannten Wirkungsmechanismus von höher-energetischer Strahlung wie UV-A. [...] Allerdings ist die momentane Datenlage diesbezüglich noch recht dünn und weitere Untersuchungen sind nötig, um diese Schlussfolgerungen zu stützen oder zu widerlegen. Interessant wäre es in diesem Zusammenhang zu sehen, wie sich die beiden Umwelteinflüsse bei einer gleichzeitigen beziehungsweise sequenziellen Exposition auswirken würden.

Dosimetrische Studien

Exposition durch ein kommerzielles 5G-Netzwerk in Bern (Aerts et al. 2021)
Im Rahmen einer initialen in situ Messkampagne wurde eine Bewertung der Exposition durch Antennen der fünften Generation ('New Radio (NR) massive multiple-input-multiple-output (MaMIMO)') in einem kommerziellen auch mit 5G ausgerüsteten Mobilfunknetz der Swisscom in Bern vorgenommen. In der Umgebung von einem 5G-NR-Netzwerk von 4 Mobilfunkanlagen wurden Messungen an insgesamt 22 Positionen mit Sichtverbindung und in Abständen von 30 bis 410 m zu den NR-Antennen durchgeführt. 20 der Messpositionen waren auf 1,5 m Höhe ab Boden und zwei auf Dächern auf der Höhe von 20,5 m. Die Feldstärken wurden für zwei Szenarien ermittelt. Das erste Szenario umfasst die Feldstärke im aktuell laufenden Netzbetrieb. Das zweite Szenario umfasst zusätzlich die Belastung durch eine experimentell provozierte Verbindung zwischen der NR-Antenne und einem Endgerät mit einer theoretisch maximalen Auslastung der Verkehrskanäle. Dabei war das Handy in der Verlängerung der Sichtverbindung zur Antenne platziert. Die NR-Antennen der vier untersuchten Basisstationen sind im n78-Band (3,3 - 3,8 GHz) mit einer Eingangsleistung von 1,5 bis 8 Watt betrieben und verwenden 'codebook'-basiertes 'Beamforming', d.h. vorgegebene voreingestellte Abstrahlverteilungen der adaptiven Antennen, deren abgestrahlte Sendeleistung zum Zeitpunkt der Messkampagne in der Schweiz insofern limitiert ist, dass sie ein OMEN maximal mit einem Zehntel des Immissionsgrenzwertes belasten darf. Ohne aktiv provozierte Verkehrsdaten erzeugen die Emissionen der mit 1,6 bis 8 W Eingangsleistung betriebenen NR-Antennen bei den ausgewählten Messorten Feldstärken kleiner als 0,05 V/m. Im Betrieb mit der zusätzlich experimentell provozierten Auslastung der Verkehrskanäle erreichten die Feldstärken an den ausgewählten Messpunkten einen maximalen Wert von 0,6 V/m. Dieser maximale Werte entspricht dem höchsten Wert, der innerhalb eines sogenannten «Ressourcen-Elements» innerhalb eines Übertragungspakets von 20 ms Dauer gemessen wurde. Extrapoliert man diese Werte auf die vom Hersteller maximal zugelassene Antenneneingangsleistung von 200 W, führt dies an den gemessenen Messpunkten zu maximalen Feldstärken von 4,9 V/m. Dies entspricht ungefähr dem Schweizerischen Anlagegrenzwert und einer Grenzwertausschöpfung der ICNIRP-Grenzwerte bezüglich Leistungsdichte (10 W/m² bei 3,5 GHz) von 0,5 - 0,6 %. Der Beitrag der Exposition der NR-Antennen zur gesamten Immission elektromagnetischer Felder betrug zum Zeitpunkt der Messung in Bern im Mittel 2 %. [...] Es ist zu betonen, dass die Aussagekraft solcher Messungen räumlich und zeitlich limitiert ist. Weitere ausführliche Messkampagnen sind nötig, um diese Schlussfolgerungen zu bestätigen, insbesondere wenn 5G in der Schweiz verbreiteter genutzt wird. Die Studie wurde von Mobile & Wireless Forum (Internationaler Mobilfunkbranchenverband) unterstützt.

Weitere Publikationen zur Information

Expertenberichte zu EMF und Gesundheit
Die französische Agence nationale de sécurité sanitaire de l'alimentation, de l'environnement et du travail (ANSES) hat im März 2021 einen Expertenbericht zum Thema «EMF-Exposition im Zusammenhang mit der Einführung der 5G-Technologie und mögliche damit verbundene gesundheitliche Auswirkungen» publiziert (in Französisch).
Im April 2021 ist ausserdem der 15. Bericht des wissenschaftlichen Rates der schwedischen Strahlenschutzbehörde zur aktuellen EMF-Forschung erschienen.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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BERENIS


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