Neues von Berenis (26): September 2021 (Forschung)

H. Lamarr @, München, Samstag, 28.08.2021, 21:17 (vor 1182 Tagen)

Im Zeitraum von Mitte Oktober 2020 bis Anfang Februar 2021 wurden 122 neue Publikationen identifiziert, von denen sechs von Berenis vertieft diskutiert wurden. Vier davon sind gemäß den Auswahlkriterien besonders relevant. Sie wurden somit zur Bewertung ausgewählt und werden im Folgenden gekürzt vorgestellt (ungekürzter Berenis-Newsletter).

Experimentelle Humanstudien

Keine Beeinträchtigung der schlafabhängigen Gedächtniskonsolidierung durch 2,45-GHz-Wi-Fi-Exposition (Bueno-Lopez et al. 2020)
Bueno-Lopez et al. (2020) untersuchten Auswirkungen einer einmaligen nächtlichen Wi-Fi-Exposition auf die schlafabhängige Gedächtniskonsolidierung und die damit verbundenen neurophysiologischen Korrelate. Dazu wurden Daten von 30 gesunden jungen Männer analysiert, die an der Studie von Danker-Hopfe et al. (2020)1 (siehe Newsletter 23) teilgenommen hatten. Diese wurden einer Wi-Fi- (2.45 GHz) oder Scheinexposition während des Schlafs ausgesetzt. Auf eine Kontrollnacht folgte jeweils eine Nacht mit Exposition (Real- oder Scheinexposition) und das Ganze wurde nach einer Woche mit der anderen Bedingung wiederholt (doppelblind und randomisiert). Der maximale zeitliche SAR10g am Kopf war kleiner als 25 mW/kg und der zeitliche Mittelwert über 6 min war kleiner als 6,4 mW/kg. Es wurden deklarative (Wortpaar), emotionale (Gesichtserkennung) und prozedurale Gedächtnis-Leistungen (sequenzielles Finger-Tippen) gemessen. Weiter wurden lernassoziierte Schlaf-EEG-Parameter (EEG-Leistung für langsame Oszillationen [0,5-1 Hz] und Schlafspindeln [12-14 Hz und 11-16 Hz] im Non-REM-Schlaf) analysiert. [...]
Die einmalige nächtliche Wi-Fi-Strahlung [hat] zu keiner Beeinträchtigung der kognitiven Leistungsfähigkeit geführt.

Epidemiologische Studien

Kohortenstudie zum Einfluss der Exposition durch Mobiltelefone auf die Fruchtbarkeit und Spermienqualität (Hatch et al. 2021)
Um den Einfluss von HF-EMF-Exposition auf die Fruchtbarkeit und die Spermienqualität zu untersuchen, haben Hatch et al. (2021) Daten aus zwei zwischen 2012 und 2020 durchgeführten präkonzeptionellen prospektiven Kohortenstudien aus Dänemark und Nordamerika analysiert. Rund 3'000 Männer wurden befragt, wie lange sie das Mobiltelefon pro Tag an welchen Körperstellen tragen. Die Zeit bis zur Schwangerschaft wurde bei den Partnerinnen mittels zweimonatlicher Folgefragebögen bis maximal zwölf Monate bzw. bis zur gemeldeten Empfängnis erhoben. Insgesamt gab es wenig Hinweise, dass das Tragen eines Mobiltelefons in der vorderen Hosentasche die männliche Fertilität beeinflusste. Einzig bei unter- und normalgewichtigen Männern (BMI <25 kg/m²) ging das Tragen eines Mobiltelefons in der vorderen Hosentasche mit einer längeren Zeitspanne bis zu einer erfolgreichen Schwangerschaft einher, wobei eine Dosis-Wirkungs-Beziehung nicht ersichtlich war in Bezug darauf, wie lange das Handy in der vorderen Hosentasche getragen wurde. Die Analyse von knapp 800 Spermienproben bei einer Untergruppe ergab keinen Einfluss des Mobiltelefons in der vorderen Hosentasche auf die Spermienqualität (Volumen, Konzentration und Motilität). [...]

Gesundheitsbeschwerden im Zusammenhang mit HF-EMF von Mobilfunk-Basisstationen (Martin et al. 2021)
In einer Querschnittsstudie in fünf grossen Städten in Frankreich wurde zwischen 2015 und 2017 der Zusammenhang zwischen HF-EMF von Mobilfunkbasisstationen und unspezifischen Symptomen und Schlafproblemen untersucht. Insgesamt wurden 2’641 Erwachsene kontaktiert, die in Gebäuden im Hauptstrahl einer Mobilfunkbasisstation wohnten, und nicht mehr als 250 m davon entfernt waren. Die ausgewählten Mobilfunkbasisstationen mussten seit mehr als zwei Jahren in Betrieb sein, und durften zum Zeitpunkt ihrer Installation nicht Gegenstand von Einsprachen der Anwohner sein. Die 354 Personen, welche zur Studienteilnahme eingewilligt hatten, wurden telefonisch zu allgemeiner Umweltbesorgnis, Beschwerden im Zusammenhang mit Umwelteinflüssen, Ängsten sowie unspezifischen Symptomen und Schlafproblemen befragt. Bezüglich allgemeiner Umweltbesorgnis wurde das Kollektiv in drei Untergruppen unterteilt: besorgt, etwas besorgt, und Teilnehmende, welche sich selbst als uninformiert bezeichnen. Die HF-EMF-Exposition wurde an fünf Punkten in jeder Wohnung mit einem Breitband-Feldmessgerät (100 kHz - 6 GHz) gemessen, gefolgt von einer Spektralanalyse am Punkt der höchsten Exposition, um quellenspezifische Expositionsbeiträge zu erhalten. Die mediane Exposition durch Mobilfunkbasisstationen betrug 0,27 V/m (0,44 V/m für die gesamte HF-EMF) und reichte von 0,03 V/m bis 3,58 V/m. Die Mobilfunkbasisstation war die Hauptexpositionsquelle für 64 % der Wohnungen. Beim befragten Kollektiv wurde insgesamt kein Zusammenhang zwischen unspezifischen Symptomen oder Schlafproblemen und HF-EMF von der Basisstation beobachtet. Für Schlafprobleme zeigte sich eine signifikante Interaktion zwischen der HF-EMF-Exposition durch Mobilfunk-Basisstationen und der Umweltbesorgnis. Das Risiko für Schlafprobleme stieg mit der HF-EMF-Exposition bei besorgten und uninformierten Teilnehmenden an, nicht aber bei leicht besorgten Teilnehmenden.
[...] Insgesamt deutet die Studie nicht auf einen Zusammenhang zwischen Symptomen und HF-EMF von Mobilfunkbasisstationen in der Gesamtbevölkerung hin. Sie weist jedoch auf eine positive Assoziation zwischen Schlafstörungen und Exposition bei der Untergruppe mit Umweltbesorgnis hin, sowohl in der Untergruppe mit allgemeiner Umweltsorge, als auch in der Untergruppe, die ihre Beschwerden Funk zuordnet. Diese beobachteten Interaktionen könnten einen Attributions-Bias widerspiegeln. Dies wäre der Fall, wenn einige besorgte Personen sich ihres höheren Expositionsstatus’ bewusst waren und deshalb ihre Schlafprobleme gravierender einschätzten. [...]

Dosimetrische Studien

Simulationsstudie zum Eindringen von gepulsten Millimeterwellen (30-90 GHz) in den Gehörgang (Vilagosh et al. 2020)
In dieser Studie wurde die Kopplung von gepulsten elektromagnetischen Wellen im Frequenzbereich zwischen 30 und 90 GHz im Gehörgang des Menschen mittels numerischer Simulationen untersucht. Der Frequenzbereich von 30-90 GHz wird zunehmend für Anwendungen in der Fahrzeugtechnik, 5G-Mobilkommunikation und kleinräumigen lokalen Netzwerken in Betracht gezogen. Bei diesen Frequenzen werden elektromagnetische Wellen innerhalb der ersten Millimeter im Gewebe absorbiert. Im aktuellen Entwurf der ICNIRP-Empfehlungen für den Frequenzbereich 10-300 GHz konzentrieren sich die vorgeschlagenen Grenzwerte deshalb auf die Absorption in der Haut, im Auge und im Gehörgang. [...] Die elektromagnetischen Wellen in der Simulation wurden als mit 100 Pikosekunden, respektive 20 Pikosekunden, gepulste Wellen aus jeweils einer von drei Einfallsrichtungen (senkrecht zum Gehörgang, 30° von vorne und 45° von oben) modelliert. Der Gehörgang inklusive des Trommelfells und einem Teil des Innenohrs zusammen mit einem Teil der äusseren Strukturen wurde gemäss einer durchschnittlichen Anatomie modelliert. Die entsprechenden dielektrischen Gewebeeigenschaften wurden aus publizierten Daten abgeleitet.
Da der erste Teil des Gehörgangs als annähernd zylindrisch angenommen werden kann, kann die Ausbreitung elektromagnetischer Wellen im Sinne eines zylindrischen Wellenleiters abgeschätzt werden. Daraus folgt, dass aufgrund der Abmessungen ein Eindringen der Wellen unterhalb 30 GHz ausgeschlossen werden kann. Oberhalb 30 GHz können sich Wellen innerhalb des Gehörgangs aber ausbreiten und ins Innere des Ohrs bis zum Trommelfell weitergeleitet werden.
Die Resultate der Studie zeigen den Zusammenhang zwischen der einfallenden Leistungsdichte am Eingang des Gehörgangs und am Trommelfell für die verschiedenen untersuchten Szenarien auf. Bei einer senkrecht einfallenden gepulsten Welle bei 30 GHz erreichen nur 0,2 % der einfallenden Leistungsdichte das Trommelfell. Bei 90 GHz sind es 13,8 %. Für eine Leistungsdichte, wie sie für berufliche Exposition bei 90 GHz zulässig ist, wurde eine Temperaturerhöhung von 0,032 °C (+20 %/-50 %) ermittelt. Die Autoren empfehlen, die Exposition des Trommelfells und der dahinterliegenden Strukturen für Frequenzen oberhalb 60 GHz genauer zu untersuchen und in die Festlegung der Grenzwerte miteinzubeziehen.
Bei der Studie handelt es sich um eine erste numerische Abschätzung der möglichen Auswirkungen der Exposition des Trommelfells gegenüber elektromagnetischen Wellen im Bereich oberhalb 10 GHz. [...]

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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