Russland hat ICNIRP-Grenzwerte von 1998 übernommen (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Dienstag, 23.07.2019, 00:43 (vor 1949 Tagen)

In Russland gelten schon seit vielen Jahren die ICNIRP-Grenzwerte. Diese für Mobilfunkgegner verstörende Nachricht ist wahr. Wahr ist aber auch, dass in Russland die ICNIRP-Grenzwerte nicht gelten, sondern, bezogen auf die elektrische Feldstärke, nur ungefähr zehn Prozent der von ICNIRP empfohlenen Werte erlaubt sind. Wie kann das sein?

Organisierte Mobilfunkgegner stellen Russland nur zu gerne als Musterknaben hin, wenn es um die zulässigen Mobilfunk-Grenzwerte in der Russischen Förderation geht. Denn diese sind 10-mal tiefer als die Werte, die ICNIRP empfiehlt. Dem deutschen Mediziner Karl Hecht (Ex-DDR) fällt das Verdienst zu, die Primusrolle Russlands in der hiesigen Anti-Mobilfunk-Szene publik gemacht zu haben. Doch Laien lässt sich leicht ein X für ein U vormachen, wovon, wie dieses Forum nachdrücklich belegt, die Anführer organisierter Mobilfunkgegner auch reichlich Gebrauch machen. Die Frage lautet deshalb: Stimmt es überhaupt, was die Gegner an ihren Lagerfeuern über Russland kolportieren?

Die Antwort lautet: Jein.

Richtig ist, die Bevölkerung darf in Russland auf allen Mobilfunkfrequenzen von Tetra (390 MHz) bis UMTS/LTE (über 2 GHz) mit höchstens 6,14 V/m (100 mW/m²) befeldet werden. Bezogen auf die ICNIRP-Grenzwerte (1998) bedeutet dies je nach Frequenz eine maximal zulässige Grenzwertausschöpfung zwischen zehn Prozent und 14 Prozent. Dies sind die traumhaft niedrigen Werte, von denen Mobilfunkgegner so gerne reden. Dass die Schweiz mit ihren Anlagegrenzwerten ähnlich niedrige Werte hat und z.B. in Flandern (Belgien) die ICNIRP-Grenzwerte sogar zu nur etwa sieben Prozent ausgeschöpft werden dürfen, wird im Vergleich zu Russland eher verhalten kolportiert. Vermutlich, weil die Schweiz und Belgien keine Großmächte (mehr) sind.

Die oben genannten Grenzwerte gelten ausschließlich für die schwache Immission durch Mobilfunk-Basisstationen. Doch was Mobilfunkgegner grundsätzlich nicht auf ihrem Alarm-Radar sehen, diese Grenzwerte haben eine Stiefschwester, die von wesentlich größerer Bedeutung ist. Damit meine ich den Grenzwert für Mobiltelefone (SAR). Auf geradezu beängstigende Weise wird dieser von der Anti-Mobilfunk-Szene, die so gebannt wie eine Maus auf die Schlange auf die Antennen von Basisstationen starrt, unisono missachtet. Dabei sind die Immissionen durch Mobiltelefone weitaus größer als durch Basisstationen. Aus diesem Grund hat die IARC 2011 die Strahlung von Mobiltelefonen für möglicherweise krebserregend befunden, nicht aber die Strahlung von Mobilfunk-Basisstationen. So gesehen ist die Anti-Mobilfunk-Szene weltweit wie eine desorientierte Fußballmannschaft, die unbeirrbar mit aller Kraft den Ball im eigenen Tor unterbringen möchte. Es ist so grotesk, dass man besser nicht genauer darüber nachdenkt, was die Szene antreibt, welche Ziele sie hat und wo die Politik Prioritäten setzt. Getrost darf gegenwärtig als gesicherter Stand des Wissens gelten, wenn überhaupt von Mobilfunk ein Gesundheitsrisiko ausgeht, dann nicht von den Sendemasten, sondern von den Mobiltelefonen.

Zurück zu den EMF-Grenzwerten in Russland.

Was kaum einer weiß: Auch in Russland gilt genau derselbe ICNIRP-Grenzwert für Mobiltelefone (max. 2 W/kg), wie in den meisten Ländern dieser Welt. Die folgende Grafik zeigt, wo dieser ICNIRP-Grenzwert (dunkelgrün) überall gültig ist. Dem aufmerksamen Betrachter wird nicht entgehen, auch das größte Land der Welt ist dunkelgrün gefärbt, ebenso wie etwa China und rund 150 weitere. Der ähnliche US-amerikanische FCC-Grenzwert (max. 1,6 W/kg) gilt in 16 Ländern.

Grenzwerte für Mobiltelefone: Auch in Russland gilt die ICNIRP-Empfehlung (1998)
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Bild: GSMA

Die ICNIRP-Grenzwerte für Mobilfunk-Basisstationen werden für das Gros des Bevölkerung nur zu einem verschwindend geringen Bruchteil ausgeschöpft. Dies belegen z.B. amtliche Messkampagnen der BNetzA und ihrer Vorgänger. Ganz anders beim ICNIRP-Grenzwert für Mobiltelefone, nicht wenige Modelle kratzen an diesem Grenzwert und Kontrollen zeigen, einige Modelle schöpfen den Grenzwert unzulässig sogar zu mehr als 100 Prozent aus. Preisfrage: Wo ist das höhere gesundheitliche Risiko zu verorten? Und wenn in Russland, wie von den Gegnern behauptet, der Gesundheitsschutz der Bevölkerung vor EMF einen so hohen Stellenwert hat, warum schützen die Russen ihre Bevölkerung dann nicht wirkungsvoller als im Westen vor der Immission durch Mobiltelefone? Stattdessen haben die Russen laut GSMA bereits 2010 die EU-Konformitätserklärung amtlich anerkannt, mit der Hersteller und Importeure jedem in Europa auf den Markt kommende Mobiltelefon bescheinigen müssen, dass es u.a. den hierzulande geltenden Strahlenschutzgrenzwert (gemäß ICNIRP 1998) einhält.

So wie der Schutz vor Mobilfunkstrahlung in Russland und einigen anderen Ländern geregelt ist, ist dieser mMn pure Augenwischerei und in etwa so wirkungsvoll, wie die märchenhafte Verpflichtung aller Russen, zum Schutz gegen Meteoriteneinschläge nur noch mit Stahlhelm ins Freie zu gehen. Wirksame Vorsorge wäre eine Senkung des Grenzwerts für Mobiltelefone! Doch darüber macht sich scheinbar niemand Gedanken. Tatsächlich aber ist es nicht so. Still und leise wurden dieser wichtige Grenzwert in Europa auf eine diskrete Art und Weise gesenkt, dass weder die Presse noch Mobilfunkgegner und die Bevölkerung davon Notiz genommen haben. Sie alle starren weiter gebannt auf die Antennen von Mobilfunksendemasten, gegenwärtig besonders hingebungsvoll auf deren 5G-Antennen. Doch das ist wieder eine andere Geschichte.

Hintergrund
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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ICNIRP, Handy, Sendemast, Grenzwerte, Immission, Russland, ICNIRP-Empfehlung, Gerrücht, Ländervergleich


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