Pharmafirma geht juristisch gegen Homöopathie-Kritiker vor (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Mittwoch, 05.06.2019, 11:38 (vor 2024 Tagen)

Gehen einem die überzeugenden Sachargumente aus, lässt sich ein Meinungsstreit auf der Ebene der Justiz fortsetzen. Ex-Tabaklobbyist Franz Adlkofer ist diesen Weg im Streit um den Fälschungsverdacht gegenüber seinen Mobilfunkstudien ("Reflex"-Projekt) schon mehrfach gegangen, jetzt folgt ihm ein Hersteller von teuren Zuckerkügelchen.

Spiegel-Online berichtete kürzlich (Auszug):

670 Millionen Euro setzen Pharmahersteller in Deutschland pro Jahr mit Homöopathie um. Doch Kritiker drohen, das Geschäft zu vermiesen. Ein bekannter Hersteller überzieht sie nun mit Abmahnungen.
[...]
Konkret geht es um ein Interview mit der "Rheinpfalz", in dem [die Homöopathie-Kritikerin Natalie] Grams auf die Frage: "Machen wir es kurz: Wirken Homöopathika?" antwortete: "Nicht über den Placebo-Effekt hinaus."

Hevert weist dies als falsche Tatsachenbehauptung zurück, wie der Hersteller gegenüber dem SPIEGEL mitteilte. "Die von Frau Dr. Grams in der Rheinpfalz geäußerte Behauptung - Homöopathika wirkten nicht über den Placebo-Effekt hinaus - ignoriert sowohl wissenschaftliche Erkenntnisse aus Studien als auch staatliche Zulassungsverfahren, wie beispielsweise die Nachweispflicht der Wirksamkeit von homöopathischen Arzneimitteln in verschiedenen Indikationen beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (Bfarm)."

Tatsächlich müssen Homöopathika zugelassen werden, wenn sie mit einer Indikation verbunden sind, also auf der Verpackung beispielsweise steht: "Die Anwendungsgebiete leiten sich von den homöopathischen Arzneimittelbildern ab. Dazu gehören: Akute Entzündungen des Hals-, Nasen- und Rachenraums". Anders als bei anderen Arzneien reicht für den Wirksamkeitsnachweis aber ein sogenannter Binnenkonsens. Das heißt, es ist ausreichend, wenn Homöopathen die Wirksamkeit bezeugen und sich die Hersteller beispielsweise auf das Homöopathische Arzneibuch berufen.

Nur wenn es um die Behandlung schwerer Erkrankungen geht, wären Studien Voraussetzung für eine Zulassung. Bisher ist aber noch kein homöopathisches Arzneimittel zugelassen worden, bei dem sich der Antragssteller auf eine "zum Beleg der Wirksamkeit geeignete Studie berufen hätte", schreibt das Bfarm im Jahresbericht 2017/2018.
[...]
Dennoch: Juristisch gesehen ist der Wirksamkeitsnachweis erfüllt, selbst wenn sich Homöopathen diesen quasi selbst attestieren können. Der ebenfalls von Hevert abgemahnte Apotheker und Gesundheitswissenschaftler Gerd Glaeske hat die Unterlassungsabmahnung deshalb unterschrieben.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Homöopathie, Abmahnung, Placebo, Gams, Glaeske

Goldenes Brett vorm Kopf: Prozesshansel ausgezeichnet

H. Lamarr @, München, Donnerstag, 09.01.2020, 22:22 (vor 1805 Tagen) @ H. Lamarr

Gehen einem die überzeugenden Sachargumente aus, lässt sich ein Meinungsstreit auf der Ebene der Justiz fortsetzen. Ex-Tabaklobbyist Franz Adlkofer ist diesen Weg im Streit um den Fälschungsverdacht gegenüber seinen Mobilfunkstudien ("Reflex"-Projekt) schon mehrfach gegangen, jetzt folgt ihm ein Hersteller von teuren Zuckerkügelchen.

Der Hersteller (Hevert) erhielt im Dezember 2019 in Wien für seine juristische Jagd auf Homöopathie-Kritiker den Schmähpreises "Goldenes Brett (vorm Kopf)". Franz Adlkofer ging leer aus. Was der Standard, Österreich, über die geistvolle Begründung der Preisvergabe berichtet, passt mMn jedoch 1:1 auch für den Ex-Tabaklobbyisten. Auszug:

[...] Den Hauptpreis vergab die Vereinigung GWUP (Gesellschaft zur Wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften) 2019 an den deutschen Homöopathika-Hersteller Hevert.

Zwischen Placebo- und Streisand-Effekt

Wenig überraschend sei noch, dass eine Firma, die homöopathische Präparate herstellt, von deren Wirksamkeit überzeugt ist, heißt es in der Begründung. Allerdings fordere das Unternehmen von Homöopathie-Kritikern juristisch Unterlassungserklärungen ein, wonach sie Aussagen wie "nicht über den Placeboeffekt hinaus wirksam" nicht mehr tätigen sollen.

Diese Vorgehensweise berge eine ernste gesellschaftliche Gefahr, so die GWUP: "Sie macht den rationalen wissenschaftlichen Diskurs unmöglich. 'Homöopathie wirkt nicht über den Placeboeffekt hinaus' ist eine wissenschaftliche Aussage, die man nach allgemein anerkannten Methoden prüfen kann." Wissenschaftliche Wahrheiten könnten nicht per Anwaltsbrief geklärt oder vor Gericht ausverhandelt werden, begründen die Initiatoren des Preises: "Sie sind, wie sie sind. Ob das irgendjemandem gefällt oder nicht, darf keine Rolle spielen." Mit derselben Logik könnten sonst Autofirmen Berichte über klimaschädliche Abgase unterdrücken oder Tabakkonzerne Studien über Lungenkrebs stoppen.

Etwas Positives habe das Hevert-Vorgehen aber: Der Satz "Homöopathie wirkt nicht über den Placeboeffekt hinaus" sei durch die Diskussion quasi zum geflügelten Wort geworden. Womit er zu einem schönen Beispiel für einen ganz anderen Effekt wird, benannt nach der US-Sängerin Barbra Streisand. Die hatte im Jahr 2005 versucht, per Klage die Veröffentlichung von Luftaufnahmen ihres Anwesens zu verhindern, was überhaupt erst die öffentliche Aufmerksamkeit darauf lenkte. Seitdem steht der Streisand-Effekt dafür, mit dem Versuch der Unterdrückung unliebsamer Informationen das genaue Gegenteil zu erreichen. [...]

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– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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Goldenes Brett

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