Hans-U. Jakob verliert 5G-Heimspiel gegen Santina Russo (Allgemein)
Mitte Januar 2019 erschien in schweizer Medien ein Artikel über 5G-Funknetze, recherchiert und geschrieben von der Wissenschaftsjournalistin Santina Russo. Gigaherz-Präsident Hans-U. Jakob fühlte sich erst provoziert und am 23. Januar berufen, den Artikel auf seiner Website, wie er vollmundig ankündigt, auseinander zu nehmen. Doch die angekündigte Richtigstellung ist keine, im Kräftemessen mit Russo gelingt Jakob kein einziger Treffer. Im Gegenteil: Wegen einer grob falschen "Richtigstellung" geht sein Heimspiel glatt verloren.
Das erste was bei Jakobs vermeintlicher Richtigstellung unangenehm auffällt, er setzt keinen Link auf Russos Artikel. Deshalb hole ich dies hiermit nach. Ein solcher Link ist nicht nur eine Frage des Anstands, sondern auch des Respekts gegenüber den eigenen Lesern. Ohne Link ist es für diese schwierig, am Originalartikel z.B. zu prüfen, ob beanstandete Textpassagen überhaupt korrekt zitiert wurden. Doch der Reihe nach.
Jakob startet seinen Angriff mit einem Bündel von haltlosen Behauptungen:
In der Woche 3 des neuen Jahres druckten fast alle grösseren Tageszeitungen, zuletzt auch noch der Blick, einen von der Mobilfunkindustrie bestellten, doppelseitigen PR-Artikel ab [...]
Das ist ein klassischer Fehlstart. Allein die Kalenderwoche ist zutreffend genannt. Wie es sich mit der tatsächlichen Verbreitung des angegriffenen Artikels (Stand: 23. Januar) in der Schweiz verhalten hat, ist gar nicht so einfach zu klären gewesen. Denn besagtes Werk von Santina Russo erschien in drei Varianten:
- Vollversion auf der Website higgs.ch
- Langfassung (Print, gegenüber der Vollversion gekürzt) in vier Regionalzeitungen der Deutschschweiz (Freiburger Nachrichten, Bieler Tagblatt, Südostschweiz und Zürcher Oberländer)
- Kurzfassung (Print, gegenüber der Langfassung gekürzt) in der Aargauer Zeitung und ihren sechs Kopfblättern, darunter das Badener Tagblatt
Das Medium Blick hat die Langfassung des Artikels nicht in seine gedruckte Ausgabe übernommen, sondern online publiziert. Und doppelseitig, wie behauptet, erschien der Artikel in keiner der Zeitungen. Die Langfassung erreichte etwa ⅔ Druckseite, die Kurzfassung etwa ⅓ Druckseite.
higgs-Chef Beat Glogger rätselt: "Wie kommt Gigaherz nur auf die Idee?"
Das Online-Wissenschaftsmagazin higgs ist ein Projekt der Agentur Scitec-Media, Beat Glogger ist Gründer und Chefredakteur des Magazins. Dr. Santina Russo, Jakob erkennt in ihr eine "vorwitzige jugendliche Autorin", ist dort leitende Redakteurin, blickt auf 42 Lebensjahre zurück und hat in Chemie promoviert. Welche Ziele higgs verfolgt ist <hier> nachzulesen, wer alles für higgs recherchiert und in die Tasten greift steht <dort>.
Beat Glogger
(Bild: René Ruis)
Jakobs unbelegte Behauptung, bei dem 5G-Funknetz-Beitrag handle es sich um "einen von der Mobilfunkindustrie bestellten, [...] PR-Artikel" ist für higgs-Chef Glogger unverständlich: "Wie kommt Gigaherz nur auf die Idee, der Artikel sei von der Mobilfunkindustrie bestellt? Es gab außerhalb der journalistischen Recherche keinerlei Kontakt mit Swisscom oder einem anderen Mobilfunkbetreiber."
Auch von der Abwertung "PR-Artikel" distanziert er sich: "Es handelt sich nicht um einen PR-Artikel, sondern um das Resultat einer journalistischen Recherche, in deren Rahmen wir nebst Literaturrecherche das Bundesamt für Umwelt, Swisscom und Professor Jürg Leuthold von der ETH persönlich gesprochen haben."
Gebert Rüf Stiftung: fördern, ohne zu sponsern
So weit, so gut. Doch welche Rolle spielt bei dem Artikel die Gebert Rüf Stiftung? Beim Badener Tagblatt steht am Textende unübersehbar der Hinweis "Dieser Artikel wurde ermöglicht durch die Gebert Rüf Stiftung". Dazu Beat Glogger: "Die Stiftung unterstützt die Erstellung der Inhalte mit einem Projektbeitrag. Auf die Auswahl der Themen nimmt sie keinerlei Einfluss. Die Fachredaktion Scitec-Media arbeitet völlig unabhängig von Interessen nach rein journalistischen Kriterien."
Dr. Marco Vencato, stv. Direktor der Gebert Rüf Stiftung, ergänzte gegenüber dem IZgMF: "Die Stiftung fungiert in diesem Scientainment-Projekt nur als finanzierende Stiftung, das heißt, sie unterstützt eine unabhängige Redaktion für Wissenschaftsjournalismus, welche ihrerseits die Inhalte produziert. Auf die Inhalte selbst nimmt die Stiftung keinerlei Einfluss. In diesem Sinne sind die Beiträge im engeren Sinne nicht gesponsert, als Förderstiftung legen wir großen Wert auf diese Unterscheidung. Die redaktionelle Freiheit liegt einzig und allein bei higgs.ch."
Mehr über die Gebert Rüf Stiftung in deren Wikipedia-Eintrag.
Verschlimmbessert: 220 Mio. CHF pro Frequenzblock
Nach der Klärung der Rahmenbedingungen, unter denen der 5G-Funknetz-Artikel zustande kam, wollte ich an dieser Stelle eigentlich Hans-U. Jakobs "Richtigstellungen" Stück für Stück auf den Zahn fühlen. Die Suche danach erwies sich jedoch als unerwartet unergiebig. Denn der Gigaherz-Präsident betreibt, entgegen der Ankündigung am Beginn seiner Ausführungen, nur an einer einzigen Stelle tatsächlich eine "Richtigstellung". Beherzt greift er dort zu, wo die Wissenschaftsjournalistin schreibt:
Werden alle Frequenzen zu ihrem Tiefstpreis versteigert, nimmt der Bund damit 220 Millionen Franken ein. Es kann gut auch mehr sein.
Jakob berichtigt selbstsicher:
220Millionen sind das Mindestgebot für 1 Frequenblock. Versteigert werden jedoch 7 Blöcke, wovon sich nur einer für 5G eignet. Nämlich das Band ab 3.4GHz und höher. Der Bund erhofft sich nicht 220Millionen, sondern 2 Milliarden.
Doch diese Richtigstellung ist keine, sie ist in allen Belangen falsch. Wie den Ausschreibungsunterlagen (Anhang II - Auktionsregeln) der ComCom unschwer zu entnehmen ist, kommen nicht sieben Frequenzblöcke zur Versteigerung, sondern 43 (Anzahl Lose) in sieben Loskategorien. Das Mindestgebot für einen Frequenzblock liegt je nach Frequenzband zwischen 1,68 Mio. CHF und 16,8 Mio. CHF. Multipliziert man nun fein säuberlich in den sieben Loskategorien die Anzahl der Lose mit dem jeweiligen Mindestgebot, ergibt dies den von Santina Russo völlig richtig auf 220 Mio. CHF bezifferten Mindesterlös.
Jakobs Spekulation, der Bund wolle lieber 2 Mrd. CHF (besser noch mehr!) für alle 43 Frequenzblöcke erlösen, ist unstreitig, tut aber nichts zur Sache. Wenn man bedenkt, dass die UMTS-Lizenzen die schweizer Netzbetreiber umgerechnet nur 18 Euro pro Einwohner gekostet haben und bei 2 Mrd. CHF Erlös für die 5G-Lizenzen die Betreiber jetzt rd. 282 Euro pro Einwohner hinblättern sollen, dann halte ich die Spekulation für reichlich überzogen. Schließlich müssen die Netzbetreiber des Alpenstaates auch wegen der strengen Anlagegrenzwerte im Vergleich zu Deutschland doppelt so viele Mobilfunkstandorte pro Quadratkilometer Landfläche errichten. Diesen erheblichen Kostennachteil werden sie mit moderaten Lizenzgeboten erträglicher gestalten wollen.
Aus unerfindlichen Gründen glaubt der Gigaherz-Präsident, 5G könne nur ab 3,4 GHz stattfinden. Richtig ist: 5G ist der erste Mobilfunkstandard, der von Anfang an für den großen Frequenzbereich von 400 MHz bis 90 GHz spezifiziert wurde. So steht es in einem "White Paper" des Mobilfunkpioniers Nokia, der, davon darf man unbesehen ausgehen, besser informiert ist. Jede der demnächst in der Schweiz versteigerten Trägerfrequenzen eignet sich damit für 5G. Auch ist von 3,4 GHz in den oben verlinkten Auktionsregeln keine Rede, versteigert werden in der Loskategorie E Frequenzen im 3,6-GHz-Band (3,5 GHz bis 3,8 GHz).
Schuster, bleib bei deinem Leisten
Die übrigen Ausführungen von Herrn Jakob sind weder eine Richtigstellung noch eine Gegendarstellung, sondern Kommentare eines Elektrikers im Ruhestand an einer neuen Technik, die er nicht versteht. Entsprechend fällt die fachliche Qualität der Kommentare aus. Kritik daran zu üben wäre einfach, gehört jedoch nicht in dieses Posting, zumal begründete Kritik an haltlosen Behauptungen des Schwarzenburgers hier im Forum reichlich zu finden ist. Das vermeintliche Heimspiel des Gigaherz-Präsidenten ist auch so schon bitter genug für ihn ausgegangen. Frohlockte er zu Beginn seiner Ausführungen noch, Santina Russo mit "gewissem Vergnügen" auseinandergenommen zu haben, muss nun seinerseits er schauen, wie er aus der total verunglückten Nummer heil wieder herauskommt. Das Vergnügen war jedenfalls ganz meinerseits, ich danke deshalb allen Beteiligten.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –