Mobi-Kids-Großstudie: Warum Resultate auf sich warten lassen (Forschung)
Was ist mit der Mobilfunkstudie Mobi-Kids los, der großen internationalen Hirntumorstudie an Kindern und Jugendlichen? Seit Ende Februar 2016 sollte die Studie offiziell abgeschlossen sein, doch bislang fehlt von einem kompletten Abschlussbericht und der entscheidenden wissenschaftlichen Veröffentlichung jede Spur. Das IZgMF hat bei Studienkoordinatorin Elisabeth Cardis nachgefragt.
Die Befunde von Mobi-Kids werden weltweit mit Spannung erwartet. Doch die Mobi-Kids-Website ist gegenwärtig in einem bereits in frühem Studienstadium verwaisten Zustand und auch die EU-Datenbank Cordis gibt über das Ergebnis keine schlüssigen Auskünfte. Was ist da passiert?
Wir fragten bei Studienkoordinatorin Prof. Elisabeth Cardis in Spanien nach. Cardis gilt als Grande Dame der Bioelektromagnetik, sie koordinierte bereits die bekannte Interphone-Großstudie.
Warum gibt es noch immer keine Ergebnisse von Mobi-Kids?
Auf die Frage nach dem Grund der beträchtlichen Verzögerung bei der Veröffentlichung der Studienergebnisse, ob es vielleicht Unstimmigkeiten bei den Formulierungen gäbe, meinte die Kanadierin: "Nein, wir haben keine Probleme mit der Formulierung." Vom veralteten Stand der Mobi-Kids-Website, die seit Jahren nicht mehr aktualisiert wurde, zeigte sie sich überrascht, eine Aktualisierung sei jetzt in Arbeit. Die Verzögerung läge daran, dass für die vor einigen Jahren ins Stocken geratene Rekrutierung der Mobi-Kids-Probanden zusätzliche Finanzmittel von der Europäischen Kommission genehmigt werden mussten. Dadurch sei der Zeitplan durcheinander geraten. Hirntumoren zählen zu den seltenen Erkrankungen, in Großbritannien z.B. erkranken daran pro Jahr nur 450 Personen unter 18 Jahre. Studien, die Hirntumoren an Kindern untersuchen, haben daher grundsätzlich das Problem, für statistisch belastbare Ergebnisse ausreichend viele Probanden zu finden, auch deshalb sind solche Studien meist international ausgerichtet. Erst Ende 2016, so Cardis, sei die Rekrutierung abgeschlossen gewesen. Anschließend mussten die erhobenen Daten geprüft, Personal akquiriert, klinische Daten gesammelt und Validierungsstudien durchführt werden. Einige der Validierungsstudien wurden bereits veröffentlicht, weitere sind in Vorbereitung. Dieser gesamte Rattenschwanz an Nacharbeit sei für Mobi-Kids unverzichtbar, um später die Studienergebnisse möglichst fehlerfrei analysieren und interpretieren zu können.
Wann ist mit der Veröffentlichung zu rechnen?
"Und wann ist nun mit dem Finale zu rechnen?", wollten wir wissen. Cardis: "Wir bereiten momentan das Manuskript für den Zusammenhang des Gebrauchs von Mobiltelefonen mit dem Risiko von Hirntumoren vor. In Kürze geht es an die Mitautoren, damit diese Kommentare und Anregungen einschließlich Vorschläge für zusätzliche Analysen abgeben können. Wir hoffen, das fertige Manuskript noch im Sommer zur Veröffentlichung einzureichen."
Wurde wertvolle Zeit zum Schutz der Kinder verschenkt?
Da die EU via Cordis Unheil ahnend wissen lässt, die Mobi-Kids-Ergebnisse "werden voraussichtlich eine sehr hohe öffentliche Aufmerksamkeit erhalten und könnten erhebliche gesellschaftliche Auswirkungen haben", versuchten wir, diese Äußerung und das lange Warten auf die Ergebnisse in Einklang zu bringen. Wären die Resultate, die den beteiligten Wissenschaftlern schon geraume Zeit zumindest in groben Zügen bekannt sein sollten, tatsächlich stark alarmierend, hätte man dann nicht unverzüglich die Öffentlichkeit informieren müssen, so wie dies Franz Adlkofer bei dem "Reflex"-Projekt machte? Damit wäre zum Schutz von Kindern und Jugendlichen keine Zeit verschenkt worden. Da eine solche vorsorgliche Warnung der Mobi-Kids-Forscher jedoch ausblieb, sind die Ergebnisse mutmaßlich nicht so furchterregend, wie es der obige Hinweis der EU andeutet.
In der Hoffnung, einen ersten Hinweis auf die Studienergebnisse zu bekommen, konfrontierten wir Cardis mit unserer Interpretation und fragten, was sie davon halte. Doch die erfahrene Wissenschaftlerin ließ sich nicht aus der Reserve locken: "Ich kann eine solche Vermutung weder bestätigen noch widerlegen", antwortete sie. "Wegen der zuvor erwähnten Zusatzarbeiten im Feldbereich von Mobi-Kids und der Notwendigkeit, verschiedene Teilstudien durchzuführen sowie Expositionsverfahren zu entwickeln, konnten wir die Daten leider erst kürzlich analysieren. Aus der Verzögerung lässt sich nicht ableiten, dass wir ein erhöhtes Risiko gefunden haben oder nicht."
Fazit: Mobi-Kids bleibt spannend. Wenn die Zeitplanung von Elisabeth Cardis Bestand hat, ist im Zeitraum Ende 2019 bis Mitte 2020 mit den Ergebnissen zu rechnen. Da im gleichen Zeitraum der neue Mobilfunkstandard 5G an den Start geht, wird Mobi-Kids so oder so auf reges öffentliches Interesse stoßen.
Hintergrund
Mobi-Kids ist eine internationale multizentrische Fall-Kontroll-Studie über Risikofaktoren für Hirntumoren bei Kindern und Jugendlichen. Einer der untersuchten Risikofaktoren ist der Gebrauch von Mobiltelefonen, wobei neben den Hochfrequenzfeldern erstmals auch die Einwirkung niederfrequenter Magnetfelder, die von den Geräten ausgehen, betrachtet wird. Experten von 16 (andere Quellen sprechen von 13 oder 14) europäischen und außereuropäischen Ländern sind in die Studie einbezogen. Ursprünglich sollten rund 2000 Fälle (Hirntumorpatienten) mit 4000 Kontrollpersonen verglichen werden. Doch dieses ehrgeizige Ziel wurde nicht erreicht. Gemäß der gegenwärtigen Studiendokumentation mussten sich die Wissenschaftler mit einer Halbierung zufrieden geben (rund 900 Fälle und rund 1900 Kontrollen).
--
Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –