Frankreich: keine Strahlungsminimierung auf 1 V/m (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 21.10.2018, 19:29 (vor 2224 Tagen)

Wer in diesem Forum mitliest weiß, der Verein Diagnose-Funk nimmt es mit der Wahrheit nicht so genau. Dafür gibt es zahlreiche Belege. Jüngstes Beispiel: Im Januar 2018 behauptet der Verein, in Frankreich gäbe es die Verpflichtung, die Immission von Mobilfunksendeanlagen auf 1 V/m zu begrenzen. Eine Recherche an Originalquellen ergab nun, an dieser Meldung stimmt so gut wie nichts. Wer Meldungen von Diagnose-Funk ungeprüft übernimmt, macht sich der Beihilfe zur Desinformation schuldig

[image]"Frankreich verordnet Strahlungsminimierung Mobilfunksendeanlagen möglichst auf 1 V/m" behauptet der Anti-Mobilfunk-Verein Diagnose-Funk auf dieser Webseite und beruft sich, vermeintlich seriös, als Quelle auf die Website UniversFreebox.com des französischen Vereins UniversFreebox. Dieser wurde 2005 gegründet, ursprünglich um den TV-Dienst Freebox zu unterstützen, hat sich jedoch weiter entwickelt und betreibt inzwischen auf seiner Website u.a. einen alternativen Nachrichtenkanal. UniversFreebox ist ebenso wenig amtlich wie Diagnose-Funk.

Wer das französische Original der Diagnose-Funk-Meldung aufruft wird dort vergeblich nach einer verordneten Strahlenminimierung auf möglichst 1 V/m suchen. Ein klarer Fall von Quellenfälschung. In dem Original geht es um die Ergebnisse einer 3836 Messungen umfassenden Kampagne der französischen Funknetzagentur ANFR, die 2017 landesweit durchgeführt wurde mit dem Ziel, atypisch stark strahlende Sender (Mobilfunk und andere) ausfindig zu machen. Die ANFR wurde 1997 gegründet und hat, vergleichbar zur deutschen BNetzA, in Frankreich die Aufsicht über die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen im Funkwesen. Gefunden wurden von der Agentur an atypisch stark strahlenden Stationen 13 Mobilfunksender, ein UKW- und ein TV-Sender. Die Betreiber der betroffenen Sender sind nun aufgefordert, die Immission auf maximal 6 V/m zu reduzieren. Von 1 V/m ist keine Rede.

Diagnose-Funk dramatisiert weiter:

Frankreich macht die Orte mit zu starker Mobilfunkbelastung ausfindig. Nach dem französischen Mobilfunkgesetz von 2015 müssen Orte "äußerst atypischer Belastung" binnen 6 Monate auf "möglichst 1 V/m" (=2.650 µW/m²) reduziert werden.

Es ist typisch für die Stuttgarter, wie sie simple Sachverhalte so verdrehen, dass der gewünschte Drall erzielt wird. Richtig ist: Die ANFR hatte keineswegs den Auftrag, Orte mit "zu starker" Mobilfunkbelastung oder "äußerst atypischer Belastung" ausfindig zu machen ("äußerst" wurde von Diagnose-Funk dazu erfunden, im Gesetz ist davon nicht die Rede). Der Auftrag lautete schlicht, mit 3836 Stichprobenmessungen im Land ein Bild davon zu bekommen, wie sich die Funkimmission aus allen Funkquellen statistisch verteilt. Das Ergebnis ist durchaus interessant:

Elektrische Feldstärke
≥ 1 V/m – 18,3 %
≥ 2 V/m – 6 %
≥ 3 V/m – 2,5 %
≥ 4 V/m – 1,4 %
≥ 5 V/m – 0,7 %
≥ 6 V/m – 0,4 %
≥ 7 V/m – 0,1 %
≥ 8 V/m – 0,1 %

Nur 18,3 Prozent der 3836 Messungen ergaben diesem ANFR-Papier vom 14.12.2017 zufolge eine Immission ≥ 1 V/m. Das heißt: 81,7 Prozent der Messungen lagen darunter. Die 15 gefundenen Orte mit atypisch hoher Immission stecken in den 0,4 Prozent der Messungen, die Werte von 6 V/m oder höher ergeben haben. Die ANFR erklärt die auffallend geringe Anzahl atypisch stark strahlender Stationen damit, dass sie bereits seit Jahren mit den Betreibern von Funkanlagen im Gespräch ist und drauf gedrängt hat, die Immission freiwillig auf 6 V/m zu begrenzen.

Und was ist nun eine atypisch hohe Immission? Es sind natürlich, wie im Text oben schon zu erahnen, nicht Werte größer 1 V/m, sondern Werte ≥ 6 V/m. Die ANFR beruft sich bei der Festlegung dieser Schwelle darauf, dass a) gemäß der Messkampagne von 2017 Werte größer 6 V/m das allgemein übliche Immissionsniveau in Frankreich atypisch stark übersteigen und b) auch die Weltgesundheitsorganisation auf ihrer Website die Obergrenze der typischen Immission durch Mobilfunk- oder Rundfunkantennen mit 100 mW/m² beziffert, was im Fernfeld einer Immission von ungefähr 6 V/m entspricht. Diagnose-Funk verdreht auch diesen Sachverhalt leicht und versucht mit dem Hinweis "6 V/m (= 100.000 µW/m²) gelten in Frankreich als atypisch!" den Eindruck zu erwecken, dieser Wert sei auch für andere Länder erstrebenswert. Der Verein verschweigt, dass der relativ niedrige Wert maßgeblich wegen der Vorarbeit der ANFR zustandegekommen ist und in anderen Ländern, in denen es keine freiwillige Immissionsbegrenzung der Betreiber gibt, ganz andere (höhere) Werte als atypisch hoch eingestuft werden können. Die von Diagnose-Funk verkündete Immissionsbegrenzung auf 1 V/m wird auch in dem ANFR-Papier nicht erwähnt.

Hat Diagnose-Funk die Meldung aus Frankreich frech falsch übersetzt und den Wert 1 V/m frei erfunden? Um nichts unversucht zu lassen, habe ich schlussendlich noch das von Diagnose-Funk erwähnte "Mobilfunkgesetz von 2015" (Gesetz 2015-136 vom 9. Februar 2015) gesucht, gefunden und nach diesem ominösen Wert – erfolglos – durchsucht.

Das einzige was von der obigen Diagnose-Funk-Behauptung zutrifft ist der Umstand, dass ein Sender, der eine Immission von mehr als 6 V/m verursacht, binnen sechs Monaten gedrosselt werden muss. Doch auch in diesem Punkt verbreiten die Stuttgarter nur eine Halbwahrheit, denn das Gesetz sagt klipp und klar, die Drosselung kann nur "vorbehaltlich der technischen Machbarkeit" angeordnet werden.

Hintergrund
Diagnose-Funk lässt Falschmeldung unberichtigt

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –


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