Kryon vs. Mobilfunkgegner (Esoterik)
Im Vergleich zu Kryon können Mobilfunkgegner nur lächerlich wenige Leute in Veranstaltungen locken, meist sind es weniger als 100. Kryon aber mobilisiert schätzungsweise 1000 und mehr Anhänger. Wie kann das sein?
Kryon vom magnetischen Dienst ist pure Esoterik mit kommerziellem Hintergrund. Psiram bietet eine überschaubare Zusammenfassung zu der Kunstfigur Kryon und deren Ausbeutung. Nicht weiter tragisch, möchte man meinen, Spinner gibt es wie Sand am Meer, also wird es auch welche geben, die sich mit Kryon beschäftigen.
In Deutschland ist in der Kryon-Szene das "Medium" Sabine (Sangitar) Wenig führend. Sie veranstaltet für ihre Anhänger alljährlich ein "Kryonfestival". Das folgende Video zeigt Szenen der Veranstaltung von 2010, gleich zu Beginn führt Frau Wenig eindrucksvoll vor wie es aussieht, wird jemand von allen guten Geistern verlassen und fährt der geschäftstüchtige Kryon in das entstandene Vakuum hinein.
Ab Minute 6:29 ist gut zu erkennen, wie erschreckend viele Leute derartigen Veranstaltungen beiwohnen. Es kann einem der Atem stocken. Zeichnet sich hier der Untergang des Abendlandes ab, werden wir über kurz oder lang alle cerebral entkernt und leicht plem-plem sein? Spontan fällt mir dazu nichts Brauchbares ein, deshalb zitiere ich lieber Stimmen, die in einem Esoterik-Beitrag der "Zeit" zu Wort kommen:
"Esoterik bedient nicht nur das Bedürfnis nach Sicherheit", erklärt Matthias Pöhlmann, der Esoterik-Experte der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen. "Der Reiz liegt vor allem auch darin, dass sie eine Möglichkeit zur Selbstermächtigung verspricht."
Selbstermächtigung. Dies erinnert stark an die selbsternannten Experten der Anti-Mobilfunk-Szene, die zwar fachlich in aller Regel stark unterbelichtet sind, sich gegenüber Kritik jedoch immunisiert haben und deshalb nicht beschämt zurückziehen, sondern in den Hinterzimmern von Wirtshäusern munter weiter Leute für dumm verkaufen. Auch den sogenannten Elektrosensiblen wohnt diese Selbstermächtigung inne, sie pfeifen auf Wissenschaft und Objektivierung ihrer Behauptungen, es zählt allein was diese Leute glauben zu fühlen.
Nicht von ungefähr fordert die Hamburger Sektenbeauftragte Ursula Caberta seit Langem einen religiösen Verbraucherschutz, um der vagabundierenden Spiritualität Herr zu werden. "Ein demokratischer Staat kann es sich nur begrenzt leisten, dass ihm die denkenden Menschen abhandenkommen", sagt sie. Die Anbieter esoterischer Lebenshilfe sollten daher zu klaren Geschäftsregeln und schriftlichen Verträgen verpflichtet werden, in denen sie Ziel und Methode ihrer Kurse genau darlegen. Außerdem verlangt Caberta eine Umkehr der Beweislast: Im Zweifel sollen die Anbieter belegen müssen, dass eventuell auftretende gesundheitliche oder psychische Beschwerden nicht auf ihr Tun zurückzuführen sind. "Wir schützen die Menschen heute besser vor Gammelfleisch als vor denen, die es auf ihre Psyche abgesehen haben."
Was Caberta hier über die Esoterik-Szene sagt gilt auch für die kleine Anti-Mobilfunk-Szene. Doch warum sind die Anti-Mobilfunker gegenüber den Esoterikern so selten wie Steinpilze im Forstenrieder Park? Aus meiner Sicht liegt es am Thema. Mobilfunk ist ein technisches Kopf-Thema, ohne Wissen kommt man hier nicht weit. Viel leichter haben es die Esoteriker, bei ihnen ersetzt der Bauch den Kopf, Wissen zählt nichts, Gefühl alles. Es ist also viel leichter und müheloser, Esoteriker zu sein, statt Mobilfunkgegner. Sind im Umkehrschluss nun alle Mobilfunkgegner kopfgesteuerte Vernunftswesen? Schön wär's, doch dieser Schluss ist falsch. Denn auch unter Mobilfunkgegnern blüht die Esoterik, nur heißt sie dort nicht so. Von der Technik und dem zum Verständnis nötigen Wissen überforderte Mobilfunkgegner flüchten sich in zwei Nebenarme der Esoterik, die da heißen "Pseudowissenschaft" und "Verschwörungstheorien". Allen gemeinsam ist der feste Glaube daran, sich in einem erlesenen Kreis Wissender zu bewegen, die exklusiv etwas wissen, was andere (noch) nicht wissen.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –
Kryon bringt über 400'000 Euro Jahresgewinn
Und hier noch ein paar Auszüge aus merkur.de:
„Ich bin Jesus Christus, Gottes Sohn“, sagt Sabine Wenig, „gemeinsam werden wir einen weiteren heiligen Gral entzünden.“ Die 51-Jährige sitzt auf einer Bühne inmitten von Plüschtieren vor einem schwarzen Vorhang in der Mehrzweckhalle eines großen Tagungshotels im Münchner Speckgürtel. Vorm Mund hält sie ein Mikro, in das sie gerade ein paar Mal hineingeschnauft hat. Ihre Augen: fest geschlossen. Vor ihr sitzen gut 2000 Menschen, ebenfalls mit geschlossenen Augen.
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Eine bunte Gruppe aus allen Ecken der Gesellschaft hat sich hier eingefunden. Meist Frauen, irgendwo zwischen 35 und 65. Dazwischen Kinder, Jugendliche, Studenten, Männer.
Ist der Aufstieg erst einmal geschafft, herrscht bei allen die mitgemacht haben Friede, Harmonie und vor allem sehr viel Liebe. Im Online-Shop der „Kryonschule“ gibt es dazu Kurse und Materialien zu den „Berufen der neuen Zeit“. Zum Heiler wird man für knapp 1000 Euro. „Die hohe Kunst der Magie“ dagegen erlernt der oder die Erleuchtete bereits für 360 Euro.
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„Die meisten Teilnehmer eines solchen Festivals“, sagt Axel Seegers, Weltanschauungsbeauftragter der Erzdiözese München und Freising, „werden die Veranstaltungen der Kryonschule als ein Angebot unter vielen anderen sehen. Es ist oft wie ein Markt, auf dem man sich die passenden Angebote aus dem esoterischen Bereich heraussucht.“ Nur eine kleine Gruppe bleibe ausschließlich beim Angebot der Rosenheimer Geisterflüsterer hängen.
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Und die Geschäfte: Sie laufen gut. Die „Kryonschule“ residiert zentral am Rosenheimer Ludwigsplatz. Für das Jahr 2011 weist das Unternehmen bei einer Bilanzsumme von etwa 1,2 Millionen Euro einen Bilanzgewinn von 420 424,64 Euro aus. 2005 meldete das Unternehmen einen Bilanzgewinn von 17 547,31 Euro. Die Festivals, die derzeit zweimal im Jahr stattfinden, mussten wegen der steigenden Besucherzahlen aus der Rosenheimer Stadthalle nach München verlegt werden.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –
"Wir wollen unseren Führer sehen"
Ab etwa Minute 3:20 wandelt Frau Wenig zwischen ihren Anhängern umher, die ihr ergriffen die Hände entgegen recken.
Kürzlich habe ich mir im NS-Dokumentationszentrum am Obersalzberg ein Video über den "Führerkult" angesehen. Darin berichtet ein Augenzeuge, ab 1933 hätte der Führertourismus am Obersalzberg stark zugenommen. Damals konnten Anhänger in Gruppen von 50 Leuten noch ungehindert bis zur Gartentür von Hitlers Haus Wachenfeld gelangen, das später zum bekannten und abgeriegelten Berghof wurde. "Wir wollen unseren Führer sehen" hätten die Leute vor dem Türchen solange gerufen, bis Hitler aus dem Haus kam, zum Tor ging, es öffnete und einige Hände schüttelte und Kinder küsste bevor er wieder ins Haus zurückkehrte. Der Augenzeuge berichtet nun, eine Frau habe an der Stelle, an der Hitler stand, eine Handvoll Kieselsteine aufgenommen und diese in ein kleines Fläschelchen gefüllt. Dann habe sie das Fläschelchen mit beiden Händen an ihre Brust gedrückt und den Blick extasisch himmelwärts gerichtet.
Dem Augenzeugen war das alles zu devot. Dem schließe ich mich schaudernd an.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –