Mobilfunkkritiker Alexander van der Bellen (Allgemein)
Österreichs frisch gebackener Bundespräsident van der Bellen reichte 2006, damals war er für die Grünen Abgeordneter im Nationalrat, gemeinsam mit einem Kollegen und stellvertretend für 71 weitere Abgeordnete Verfassungsklage gegen das österreichische Telekommunikationsgesetz (TKG) von 2003 ein. Genau genommen war es keine Klage, sondern es wurden Änderungen am TKG beantragt. Wie der Klage zu entnehmen ist, hatte van der Bellen verfassungsrechtliche Bedenken unter anderem gegen § 73 Abs 1 und Abs 3 sowie § 74 Abs 1 und Abs 3, die um ein paar Ecken herum etwas mit abstrakten Gefahren durch Mobilfunk zu tun haben sollen:
§ 73
(1) Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen müssen in ihrem Aufbau und ihrer Funktionsweise den anerkannten Regeln der Technik und den nach den internationalen Vorschriften zu fordernden Voraussetzungen entsprechen.
[...]
(3) Durch Verordnung kann der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie dem jeweiligen Stand der Technik entsprechend die näheren Bestimmungen und technischen
Voraussetzungen für Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen festsetzen, insbesondere für
1. die Typenzulassung von Funkanlagen und
2. den Betrieb von Funkanlagen auf fremden Schiffen, Luftfahrzeugen und anderen Verkehrsmitteln, die sich im österreichischen Hoheitsgebiet aufhalten.
§ 74
(1) Die Errichtung und der Betrieb einer Funkanlage ist grundsätzlich nur mit einer Bewilligung zulässig. Die Bewilligung ist zu erteilen, wenn kein Grund für eine Ablehnung vorliegt.
[...]
(3) Soweit dies mit dem Interesse an einem ordnungsgemäßen und störungsfreien Fernmeldeverkehr vereinbar ist, kann der Bundesminister für Verkehr, Innovation und
Technologie die Errichtung und den Betrieb von Funkanlagen auch allgemein für bestimmte Gerätearten oder Gerätetypen mit Verordnung für generell bewilligt erklären.
Die mit dem Abfassen der Klageschrift beauftragte Wiener Rechtsanwaltskanzlei Galanda & Oberkofler pflügte das Internet und fand von Schliephake über Oberfeld und Jandrisovits bis Kundi allerlei "Belastungsmaterial", wie es zuvor schon viele Generationen von Mobilfunkgegnern gefunden und im www vervielfältigt haben. Die Qualität des "Belastungsmaterials" wurde durch die Vervielfältigung freilich nicht besser, denn getretener Quark wird, so heißt es hier in Bayern, breit, nicht stark. Zehn Seiten umfasst die vermeintlich belastende Studiensammlung in der Klageschrift, sie könnte ebenso gut von "Bürgerwelle" oder "Diagnose-Funk" zusammengegoogelt worden sein, denn obwohl es weitaus mehr Entlastendes zu finden gäbe, umfasst die Sammlung allein mehr oder weniger durchsichtige Alarmstudien. Das Unterfangen konnte somit schon vom Ansatz her nicht gut gehen.
Die Klage, sie datiert auf den 27.10.2006, traf am 31.10.2006 in Wien am Judenplatz 11 ein (dort residiert der Verfassungsgerichtshof der Republik Österreich) und bekam das Aktenzeichen G 213/06-12.
Dann kehrte erst einmal Ruhe ein und ein paar "Trüffelschweine" aus der Anti-Mobilfunk-Szene hatten Gelegenheit, sich in Stellung zu bringen, beispielsweise diese hier:
Omega News: Grüne bringen Verfassungsklage gegen Handymasten ...
Wien konkret: Verfassungsklage gegen Handymasten
Diagnose-Funk: Verfassungsklage gegen österr. TKG von 2003
Und wie ist diese Sache nun ausgegangen?
Bei den Mobilfunkgegnern findet sich dazu nichts. Das macht den Unterschied zum IZgMF aus .
Der Verfassungsgerichtshof wies am 14.06.2007 die Änderungsanträge van der Bellens erst ab und dann zurück. Der Begriff "zurückweisen" oder "zurückgewiesen" wird gebraucht, wenn einem Antrag aus materiellen Gründen nicht stattgegeben werden soll. Der Begriff "abweisen" oder "abgewiesen" wird gebraucht wenn einer Klage von einem Gericht nicht stattgegeben werden soll (Quelle). Die Entscheidungsgründe des Gerichts, sie sind nichts für Techniker, sondern etwas für Juristen, lassen sich in diesem PDF im Wortlaut nachlesen (18 Seiten). Kostprobe:
Die Antragsteller sehen ferner einen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot für Gesetze nach Art. 18 B-VG darin, dass Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen nach § 73 Abs. 1 TKG 2003 nicht nur dem Stand der Technik, sondern auch "den nach den internationalen Vorschriften zu fordernden Voraussetzungen" entsprechen müssen, weil diese Bestimmung pauschal auf "internationale Vorschriften" verweise, ohne näher zu konkretisieren, um welche Vorschriften es sich dabei handle.
Mit diesem Vorbringen verkennen die Antragsteller, dass diese Vorschriften unabhängig von der Anordnung des § 73 Abs. 1 TKG 2003 zu beachten sind (vgl. dazu beispielsweise auch VfSlg. 12.558/1990). Die Bestimmung des § 73 Abs. 1 TKG 2003 setzt keine Vorschrift in Geltung, die nicht bereits Bestandteil der österreichischen Rechtsordnung ist. Vielmehr ergibt sich aus § 73 Abs. 1 TKG 2003, dass solche Vorschriften zu beachten sind, die völkerrechtlich und innerstaatlich für die Republik
Österreich und für die Behörden unter den entsprechenden völker- und verfassungsrechtlichen Bedingungen ohnehin verbindlich sind (arg. "nach ... Vorschriften zu fordernden"), wie Staatsverträge oder (verbindliche) Beschlüsse von zwischenstaatlichen Ein richtungen. Es kann daher keine Rede davon sein, dass der Kreis der zu beachtenden Vorschriften in verfassungswidriger Weise unbestimmt ist. Der Antrag war daher auch insoweit abzuweisen, als er sich gegen die Wortfolge "und den nach den internationalen Vorschriften zu fordernden Voraussetzungen" in § 73 Abs. 1 TKG 2003 richtet.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –
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