Wissenschaftlicher Beirat Funk legt Gutachten 2015 vor (Forschung)
Österreich:
KONSENSUSBESCHLUSS WBF-EXPERTENFORUM 2015
Präambel
Die Aussagen, die der WBF über mögliche Gesundheitseffekte - als Folge der Exposition gegenüber hochfrequenten elektromagnetischen Feldern (vor allem Mobilfunk) - macht, basieren auf den Ergebnissen von 205 wissenschaftlichen Arbeiten aus dem Zeitraum Februar 2014 bis inklusive Juni 2015.
Für eine korrekte Interpretation der Daten ist es wichtig, einen Einblick in die Qualität der Untersuchungen zu haben. Informationen über den Aufbau der Untersuchung und die Art der Exposition, über die Datengewinnung, die Datenzusammenstellung und die Datenanalyse sind notwendig.
Es ist anzumerken, dass die Expositionserfassung auch bei manchen neueren Studien noch immer unzureichend ist. Dies gilt besonders für retrospektive Fragebogenerhebungen.
Die wissenschaftliche Qualität der einzelnen Studien ist weiterhin unterschiedlich, was bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt wurde.
Wie im Vorjahr muss mit großer Verwunderung festgestellt werden, dass selbst völlig unakzeptable Arbeiten den Weg in die wissenschaftliche Literatur finden. Verblindete Studien sind nach wie vor selten.
Mobilfunk und Befindlichkeit
Störungen der Befindlichkeit durch hochfrequente elektromagnetische Felder der Mobilfunkeinrichtungen sind nach heutigem Kenntnisstand nicht nachweisbar.
Sofern Studien qualitativ hochwertig waren, konnte kein Einfluss auf die Befindlichkeit objektiviert werden. Ein Nocebo-Effekt wird favorisiert.
Personen mit behaupteter Überempfindlichkeit gegenüber HF-EMF scheinen eine Subgruppe von Personen mit behaupteter Überempfindlichkeit gegen Umwelteinflüsse (GES) zu sein.
Psychologische Effekte sind zu berücksichtigen.
Die Art der Aufklärung beeinflusst die persönliche Risikowahrnehmung.
Die publizierten Originalarbeiten sind von stark unterschiedlicher Qualität.
Mobilfunk und Nervensystem
Kognitive Fähigkeiten
Nach dem derzeitigen Stand der Forschung sind Auswirkungen hochfrequenter elektromagnetischer Felder auf kognitive Funktionen auszuschließen.
Gehirnaktivität
Für einzelne physiologische Parameter (im Wach-EEG, insbesondere die Alpha Aktivität; im Schlaf insbesondere die Spindelaktivität) sowie in zerebralen Durchblutungswerten (gemessen mit funktioneller Magnetresonanztomografie im Ruhezustand) werden unterschiedliche Veränderungen während und kurz nach Exposition gefunden, die jedoch keine physiologische Relevanz haben.
Die divergierenden Ergebnisse in Tier- und Zellexperimente lassen keine Schlüsse auf die Gesundheit des Menschen zu.
Es zeigte sich kein signifikanter Effekt auf das Risiko für Krebs der Hirnanhangsdrüse.
Mobilfunk und Gentoxizität
Die Frage möglicher gentoxischer Wirkungen bedingt durch Mobilfunk ist nach wie vor nicht endgültig geklärt. Jedenfalls haben sich bisher keine Nachweise über gentoxische Wirkungen von Mobilfunkfeldern ergeben.
Ältere Studienergebnisse, die gentoxische Wirkung gezeigt und zu erheblichen Diskussionen in der Öffentlichkeit geführt hatten, erwiesen sich in umfangreichen neuen Arbeiten als nicht reproduzierbar.
Aus der großen Mehrheit der begutachteten Arbeiten ergibt sich kein Anlass, die bisherigen Einschätzungen des Risikopotenzials von Mobilfunkfeldern zu revidieren.
Die Rolle von „oxidativem Stress" ist nach wie vor zweifelhaft.
Es gibt Hinweise darauf, dass Adaptive Response auch von Mobilfunkfeldern induziert werden kann.
Mobilfunk und Kinder/Jugendliche
Es gibt keine neuen relevanten Studien, die belegbare Aussagen über die häufig angenommene erhöhte Empfindlichkeit von Kindern gegenüber EMF erlauben würden.
Sofern Verhaltensänderungen bei Kindern und Jugendlichen nach Gebrauch von Mobiltelefonen gefunden wurden, können diese nicht zwangsweise auf elektromagnetische Strahlung zurückgeführt werden. Sie sind wahrscheinlich durch psychologische Faktoren zu erklären.
Mobiltelefone und Zeugungsfähigkeit
Die bisher vorliegenden Studien lassen keinen Einfluss von Mobilfunk auf die Zeugungsfähigkeit erkennen.
Auch aktuelle Metaanalysen kommen nicht zu relevanten Ergebnissen - entsprechend den bisher erhobenen, relativ inkonsistenten Befunden.
Mobilfunk und HNO
Untersuchungen beim Menschen über funktionelle Beeinflussungen im HNO-Bereich zeigen keine Auswirkungen der EMF auf klinisch-funktioneller Ebene. Auf der Proteinebene und auf der ultrastrukturellen Ebene lassen sich Veränderungen darstellen. Insgesamt ist die Bedeutung für den Handygebrauch - auch wegen methodischer Mängel - derzeit nicht beurteilbar.
Mobilfunk und Tumorentwicklung
Aus epidemiologischer Sicht kann derzeit keine gesicherte und endgültige Aussage zur Mobilfunk-Technologie im Hinblick auf Risiko oder Nicht-Risiko für Krebserkrankungen getätigt werden. Neue Auswertungen von Krebsregister-Daten zeigen keinen Anstieg der Inzidenz von Hirntumoren.
Aufgrund der Unsicherheit (lange Latenzzeit, Problematik der geeigneten Expositionserfassung) bisher vorliegender Ergebnisse von Studien zum Zusammenhang von Mobilfunknutzung und Entstehung von Krebserkrankungen wird weiterhin ein sorgsamer Umgang mit der Mobiltelefonie empfohlen, bis eine entsprechend große Anzahl qualitativ hochwertiger Studien vorliegt und eine endgültige Einschätzung eines möglichen Risikos erlaubt.
Dosimetrie
Weiterhin hat sich die Qualität der Expositionserfassung in den dosimetrischen Studien verbessert.
Die Verkleinerung der Zellengröße (Femtozellen, Pikozellen) kann zu einer bedeutenden Reduktion der Exposition des Nutzers führen.
Optimierte Funknetze haben das Potential, die Ausgangsleistung von Wireless Indoor UMTS & LTE Geräten um ca. 80% zu reduzieren.
Messungen an Basisstationen in mehreren Ländern zeigen, dass ihre Expositionen um Faktoren zwischen ca. tausend und zehn Millionen unterhalb der Grenzwerte von ICNIRP liegen.
Allgemeine Aussagen
Die aktuelle Datenlage bestätigt die bisherigen Erkenntnisse des WBF:
- Eine unmittelbare Gefährdung der Gesundheit durch Mobilfunk ist nicht gegeben.
- Eine Anzahl von Tierversuchen zeigt Hinweise auf Änderungen biologischer Parameter, die aber aufgrund methodischer Mängel eine eingeschränkte Aussagekraft haben. Ein Bezug auf die Gesundheit des Menschen ist nicht zu erkennen.
- Neuere, methodisch saubere Untersuchungen zur Tumorpromotion bei Ratten bedürfen der weiteren Abklärung.
Weiterhin gibt es offene Fragen:
- Mögliche gesundheitliche Langzeitfolgen für Erwachsene und Kinder
- Methodik der Expositionserfassung bei epidemiologischen und experimentellen Studien
- Umsetzung der Ergebnisse von Tierversuchen auf den Menschen
Empfehlungen des WBF:
- Optimierung und Standardisierung der Expositionserfassung
- Untersuchungen zu grundlegenden Mechanismen nur dann, wenn sich entscheidende neue Ansatzpunkte ergeben.
- Durchgehende Beachtung der „Good Laboratory Practice"
- Wegen noch bestehender Unsicherheiten, umsichtiger Umgang bei Verwendung der Mobilfunktechnologien
Hintergrund
WBF-Experten 2015 (PDF)
Vom WBF für das Gutachten 2015 ausgewertete Literatur (PDF)
Website des WBF
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –
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H. Lamarr,
05.12.2015, 22:09
- Wissenschaftlicher Beirat Funk legt Gutachten 2015 vor -
Alexander Lerchl,
05.12.2015, 22:39
- Wissenschaftlicher Beirat Funk legt Gutachten 2015 vor - H. Lamarr, 06.12.2015, 10:54
- Wissenschaftlicher Beirat Funk legt Gutachten 2015 vor -
Alexander Lerchl,
05.12.2015, 22:39