Magnetische Flussdichte: Ziehung des Grenzwerts (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Samstag, 25.01.2014, 00:20 (vor 3989 Tagen)

Wer sich als Laie dafür interessiert, auf welchen Wert die magnetische Flussdichte bei Haushaltsstrom (50 Hz) begrenzt ist, um gesundheitliche Folgen zu vermeiden, kann im Internet sein blaues Wunder erleben.

Mit Inkrafttreten der 26. BImSchV am 01.01.1997 war der gesuchte Grenzwert in Deutschland auf 100 µT festgesetzt worden. Pate für diesen Wert stand eine gleichlautende Empfehlung der ICNIRP. Im Jahr 2010 aber stockte die ICNIRP ihre Grenzwertempfehlung für Privatpersonen auf 200 µT auf (beruflich zulässig sind 1 mT), dokumentiert in der Neufassung der ICNIRP Guidelines (PDF, 20 Seiten, englisch). Erst in der Novelle der 26. BImSchV (PDF, 6 Seiten, deutsch) vom 14.08.2013 erlangten die 200 µT auch in Deutschland Gültigkeit für die Allgemeinbevölkerung. Ob diese Verdopplung des Grenzwerts mit den ehrgeizigen Ausbauplänen der Hochspannungsnetzbetreiber in Europa zusammenhängt oder nur zufällig zum rechten Zeitpunkt erfolgte, darüber ließe sich spekulieren. Zuvor empfiehlt sich jedoch das Lesen von §3 der 26. BImSchV, um nicht in deutlich markierte Fettnäpfe zu treten. Denn die 200 µT gelten keineswegs uneingeschränkt im ganzen Land, für alte Trassen, die vor 22. August 2013 errichtet wurden, gilt für alle Daueraufenthaltszonen weiterhin der alte Grenzwert von 100 µT.

Also ob es damit für Laien nicht schon schwierig genug wäre, den richtigen Grenzwert zu erkennen, sprudeln im www neben den verbindlichen amtlichen auch noch private Quellen, die völlig andere (falsche) Werte nennen. Erstaunlicherweise sind darunter auch Einrichtungen, denen man derartige Fehler eigentlich nicht zugetraut hätte.

Auszug aus einem Dokument des Ecolog Instituts, Hannover
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Auszug aus einem Dokument der österreichischen Unfallversicherungsanstalt Auva
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Beide Dokumente stehen noch heute zum Download im Netz, nur wenig warnt den arglosen Leser, dass da etwas nicht (mehr) stimmen könnte. Beim Ecolog-Dokument ist das Ausgabedatum (2000) deutlich auf dem Deckblatt erkennbar, beim Auva-Dokument (2002) ist es nur codiert auf der letzten Seite zu erahnen. Zum Ecolog-Dokument ist anzumerken: Für die Frequenz f darf dort nicht 50 eingesetzt werden, sondern es ist der Zahlenwert aus der Spalte Frequenz zu nehmen (0,05).

Bürgerinitiativen, die sich ihr Material wahllos im Internet zusammenklauben, seien deshalb gewarnt. Die Empfehlung lautet ohne Wenn & Aber: Nicht blind irgendwo abschreiben, greift besser auf die aktuellen amtlichen Dokumente zurück, um nicht böse und peinliche Überraschungen zu erleben.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
ECOLOG-Institut, ICNIRP, Grenzwerte, 26. BImSchV

Magnetische Flussdichte: Ziehung des Grenzwerts

Dr. Ratto, Montag, 03.02.2014, 14:42 (vor 3979 Tagen) @ H. Lamarr

Denn die 200 µT gelten keineswegs uneingeschränkt im ganzen Land, für alte Trassen, die vor 22. August 2013 errichtet wurden, gilt für alle Daueraufenthaltszonen weiterhin der alte Grenzwert von 100 µT.

Das gilt auch für neue Anlagen, bei längerfristigem Aufenthalt und nur für 50 Hz. Da hat sich die Regierung wohl nicht getraut den Grenzwert zu erhöhen. Die juristische Formulierung muss man 3x lesen um das zu verstehen, und eine wissenschaftliche Begründung gibt es dafür nicht.

§ 3 Niederfrequenzanlagen

(2) Zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen sind Niederfrequenzanlagen, die nach dem 22. August 2013 errichtet werden, so zu errichten und zu betreiben, dass sie bei höchster betrieblicher Anlagenauslastung in ihrem Einwirkungsbereich an Orten, die zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen bestimmt sind, die im Anhang 1a genannten Grenzwerte nicht überschreiten, wobei Niederfrequenzanlagen mit einer Frequenz von 50 Hertz die Hälfte des in Anhang 1a genannten Grenzwertes der magnetischen Flussdichte nicht überschreiten dürfen.

Fett von mir.

Magnetische Flussdichte: ein gemeiner Trick

H. Lamarr @, München, Montag, 03.02.2014, 23:01 (vor 3979 Tagen) @ Dr. Ratto

Das gilt auch für neue Anlagen, bei längerfristigem Aufenthalt und nur für 50 Hz. Da hat sich die Regierung wohl nicht getraut den Grenzwert zu erhöhen. Die juristische Formulierung muss man 3x lesen um das zu verstehen, und eine wissenschaftliche Begründung gibt es dafür nicht.

Stimmt, Sie haben recht. Mir hat Absatz (1) wegen der verquerten Formulierung schon so zu schaffen gemacht, dass es für Absatz (2) nicht mehr gereicht hat ;-).

Eines aber haben die Juristen übersehen: 50 Hz sind 50,000000 ... Hz. Ein Winkeladvokat könnte nun den Stromversorgern raten, die Netzfrequenz ein wenig zu ändern, es müssen ja nicht gleich 51 Hz sein, sagen wir mal 50,01 Hz oder besser 49,99 Hz. Das sind dann offensichtlich nicht mehr 50 Hz und somit wären statt 100 µT dann doppelt so viele Mikroteslas zulässig.

Bingo!

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– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Magnetische Flussdichte: Ziehung des Grenzwerts

cassandra, Dienstag, 04.02.2014, 14:11 (vor 3978 Tagen) @ Dr. Ratto

Das gilt auch für neue Anlagen, bei längerfristigem Aufenthalt und nur für 50 Hz. Da hat sich die Regierung wohl nicht getraut den Grenzwert zu erhöhen. Die juristische Formulierung muss man 3x lesen um das zu verstehen, und eine wissenschaftliche Begründung gibt es dafür nicht.

Das gab dazu auch etliche Diskussionen. Auf der einen Seite sollten sich die Grenzwerte am wissenschaftlichen Erkenntnisstand orientieren. Auf der anderen Seite wollte man aber kein schlechteres Schutzniveau als in der alten BImSchV erzielen (dies wäre auch kaum vermittelbar gewesen).

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