Auguste Deter – nicht weltweit erstes Elektrosmog-Opfer (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 23.06.2013, 01:41 (vor 4205 Tagen)

Auguste Deter starb am 8. April 1906 in Frankfurt a. Main. Sie war das erste dokumentierte Opfer einer Krankheit, die später unter dem Namen ihres Entdeckers Alzheimer weltbekannt wurde.

Mehr als 100 Jahre später schildert ein gewisser Long Wang auf der Website Everyday Feng Shui, Berlin, eine verwegene Idee, wie sich Deter die schlimmer Krankheit eingehandelt haben könnte:

Elektrosmog dürfte um 1900 noch nicht die große Rolle als Krankheitsursache gespielt haben, mag man meinen. Im Falle von Auguste Deter verhält es sich aber so, dass ihr Mann, Karl Deter, “Eisenbahnkanzlist” in einer der ersten kommerziellen elektrischen Straßenbahnen in Deutschland war.

Die Trambahn-Strecke, auf der Karl Deter unterwegs war, gehörte der Frankfurt-Offenbacher Trambahn-Gesellschaft. Sie wurde am 14. Februar 1884 in Betrieb genommen und war die zweite Straßenbahn mit einer Oberleitung in Deutschland. Als Bahnangestellter war Karl Deter Beamter und wurde vermutlich, wie seinerzeit üblich, in eigens für Bahnmitarbeiter zur Verfügung gestellten Wohnhäusern untergebracht. Diese befanden sich in der Regel in Bahnhofsnähe oder auf Grundstücken, die im Zuge des Gleisbaus von der Bahn erworben und somit jeweils in Bahnstreckennähe waren.

Die Vermutung liegt nahe, dass Auguste Deter entweder in ihrem Wohnhaus oder durch die priviligierte Möglichkeit, als Frau eines Bahnangestellten kostenlos mit der elektrischen Eisenbahn zu fahren, schon damals verstärkt elektromagnetischen Feldern ausgesetzt war, die schließlich zu ihrer Alzheimer-Erkrankung geführt haben. Somit wäre Auguste Deter nicht nur der erste medizinisch beschriebene Fall von Alzheimer, sondern zugleich das erste dokumentierte Elektrosmog-Opfer.

So weit so gut.

Der von Long Wang geschilderte Verdacht ist zwar hochgradig spekulativ, völlig blödsinnig ist er jedoch nicht. Denn 2006 gab eine Studie in der Schweiz einen Hinweis, starke Magnetfelder könnten langfristig zu Alzheimer führen. Ausgewertet wurden dazu insgesamt 1'644 Todesfälle (ab 1995) ehemaliger Schweizer Bahnmitarbeiter. Bei den Lokführern wurde die Alzheimererkrankung in 14 Fällen diagnostiziert, dies ist überzufällig häufig.

Aber: Auguste Deter war keine Lokführerin.

Wenn sie tatsächlich an einer elektrifizierten Strecke wohnte oder häufig mit der elektrischen Eisenbahn fuhr, mit welcher Magnetfeldimmission war dann bei ihr zu rechnen - im Vergleich zu der eines Lokführers?

Diese Frage beantwortet das EMF-Portal: Gültig für den Zeitraum um 1980 werden dort folgende mittleren Immissionswerte für unterschiedliche Arbeitsplätze bei der Bahn genannt:

Stationsvorsteher: 0,7 µT
Zugbegleiter: 1,8 µT
Rangierlokführer: 5,5 µT
Lokomotivführer: 21,4 µT

Sollten die obigen Annahmen für Auguste Deter überhaupt zutreffend sein, so ist bei einer Wohnung direkt an der Strecke mit 0,7 µT Magnetfeldimmission zu rechnen, bei einer Fahrt als Passagierin im Zug mit 1,8 µT.

Die tatsächlichen Immissionswerte dürften vor mehr als 100 Jahren noch deutlich niedriger gewesen sein, weil a) weniger Züge fuhren und b) die Leistung nicht etwa 6000 kW wie bei heutigen E-Loks betrug, sondern nur 11 kW.

Entscheidend aber ist: Die erwähnte Schweizer Studie fand selbst bei 1,8 µT Immission keinen Hinweis auf ein erhöhtes Alzheimerrisiko.

Damit geht die Wahrscheinlichkeit gegen Null, dass an Wangs Idee vom weltweit ersten Elektrosmog-Opfer Auguste Deter etwas dran ist. Da die Website, für die Wang schreibt, ein kommerzielles Interesse daran hat, Elektrosmog als Risiko für Leib und Leben in Verruf zu bringen, liegt das Motiv für Wangs Geistesblitz offen zutage wie ein aufgeschlagenes Buch.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
EHS-Geschichte, Feng-Shui


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