Herzratenvariabilität: fragwürdiger EHS-Indikator (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 26.02.2012, 19:10 (vor 4654 Tagen)

Die Herzratenvariabilität (HRV) ist unter überzeugten Elektrosensiblen einer der wenigen Hoffnungsträger, mit dem sich Elektrosensibilität vielleicht objektiv nachweisen lässt (Quelle). Doch die Chancen stehen nicht sonderlich gut.

Studienübersicht Herzratenvariabilität
Nur die wenigsten wissenschaftlichen Arbeiten [Stand bis 2008] finden einen relevanten Effekt von EMF auf HRV. Eine Untersuchung von EMF bei Elektrosensiblen wurde gefunden, hier zeigten sich Gruppenunterschiede (Sandstrom et al., 2003):

Bortkiewicz A, Gadzicka E, Zmyslony M. Heart rate variability in workers exposed to mediumfrequency electromagnetic fields. J Auton Nerv Syst. 1996 Jul 5;59(3):91-7.

Graham C, Cook MR, Sastre A, Gerkovich MM, Kavet R. Cardiac autonomic control mechanisms in power-frequency magnetic fields: a multistudy analysis. Environ Health Perspect. 2000 Aug;108(8):737-42.

Graham C, Sastre A, Cook MR, Kavet R, Gerkovich MM, Riffle DW. Exposure to strong ELF magnetic fields does not alter cardiac autonomic control mechanisms. Bioelectromagnetics. 2000 Sep;21(6):413-21.

Graham C, Sastre A, Cook MR, Kavet R. Heart rate variability and physiological arousal in men exposed to 60 Hz magnetic fields. Bioelectromagnetics. 2000 Sep;21(6):480-2.

Halberg F. Does exposure to an artificial ULF magnetic field affect blood pressure, heart rate variability and mood? Biomed Pharmacother. 2004 Oct;58 Suppl 1:S20-7.

Kurokawa Y, Nitta H, Imai H, Kabuto M. Can extremely low frequency alternating magnetic fields modulate heart rate or its variability in humans? Auton Neurosci. 2003 Apr 30;105(1):53-61.

Mitsutake G, Otsuka K, Oinuma S, Ferguson I, Cornelissen G, Wanliss J, Sait ML, Wood AW, Sadafi HA. A study of heart rate and heart rate variability in human subjects exposed to occupational levels of 50 Hz circularly polarised magnetic fields. Med Eng Phys. 1999 Jun;21(5):361-9.

Sandstrom M, Lyskov E, Hornsten R, Hansson Mild K, Wiklund U, Rask P, Klucharev V, Stenberg B, Bjerle P. Holter ECG monitoring in patients with perceived electrical hypersensitivity. Int J Psychophysiol. 2003 Sep;49(3):227-35.

Santangelo L, Di Grazia M, Liotti F, De Maria E, Calabro R, Sannolo N. Magnetic field exposure and arrythmic risk: evaluation in railway drivers. Int Arch Occup Environ Health. 2005 May;78(4):337-41. Epub 2005 Mar 5.

Sastre A, Cook MR, Graham C. Nocturnal exposure to intermittent 60 Hz magnetic fields alters human cardiac rhythm. Bioelectromagnetics. 1998;19(2):98-106.

Tabor Z, Michalski J, Rokita E. Influence of 50 Hz magnetic field on human heart rate variability: linear and nonlinear analysis.Bioelectromagnetics. 2004 Sep;25(6):474-80.

Yoshida T, Yoshino A, Kobayashi Y, Inoue M, Kamakura K, Nomura S. Effects of slow repetitive transcranial magnetic stimulation on heart rate variability according to power spectrum analysis. J Neurol Sci. 2001 Feb 15;184(1):77-80.

Herzratenvariabilitär bei EHS und Kontrollen gleich
Im Zuge des DMF wurde in der Arbeit "Untersuchungen elektrosensibler Personen im Hinblick auf Begleitfaktoren bzw. Erkrankungen, wie z.B. Allergien und erhöhte Belastung mit bzw. Empfindlichkeit gegenüber Schwermetallen und Chemikalien" unter anderem auch die Herzratenvariabilität als Indikator der autonomen Regulation bei den Probanden und den Kontrollen analysiert. Die Forscher wollten wissen, ob die HRV der beiden Gruppen auffällige Unterschiede zeigt. In den Auswertungen konnte jedoch kein Unterschied zwischen den Untersuchungsgruppen festgestellt werden. Die Hypothese einer erheblichen Einschränkung der Herzratenvariabilität als Zeichen einer organischen autonomen Dysfunktion oder einer Maladaptation des Herzkreislaufsystems konnte nicht positiv bestätigt werden. Allerdings wurden die Studienteilnehmer während der HRV-Messung auch nicht befeldet, wie dies zuletzt bei der DECT-Studie von Magda Havas der Fall war. Welches "EMF-Grundrauschen" in den Mainzer Laboren während der Messungen herrschte ist nicht bekannt.

Herzratenvariabilität in der Verkäuferschulung
Eine ganz und gar anders gelagerte Studie kommt aus dem Bereich der Verkäuferschulung: Die ungewöhnliche Studie zeigt angeblich, dass mehr Sicherheit im Verkaufsgespräch die Herzfrequenzvariabilität positiv beeinflusst und die Abschlussquote steigert. Mit der Untersuchung von 766 Verkaufsgesprächen von Mitarbeitern im Außendienst will das Essener optivend-Institut herausgefunden haben, dass es einen Zusammenhang zwischen der Dauer der unterschiedlichen Gesprächsphasen und der durchschnittlichen Herzrate gibt. Darüber hinaus wurde, so das Institut, nachgewiesen, entspanntere Verkäufer weisen eine deutlich höhere Abschlussquote auf.

Gründer und Geschäftsführer Tim Oberstebrink dazu: „Wir wollten eigentlich nur wissen, ob unsere Methode erfolgreicher ist als andere. Ein befreundeter Arzt schlug uns dann vor, die Verkäufer mit einem EKG-Gerät auszustatten, um die Herzrate und die Herzfrequenzvariabilität während des Gesprächsverlaufs aufzuzeichnen.“

Details zu dieser seltenen Anwendung der Herzratenmessung gibt es <hier>, wobei nicht klar ist, was der Autor der Seite mit "gesünder" meint. Denn eine größere Schwankungsbreite der Herzrate (größere Herzratenvariabilität) ist ein gutes Zeichen (gesünder) und kein schlechtes.

Prof. Max Moser (Medizinische Uni Graz) fehlen die Mittel
Im Zusammenhang mit der HRV-Erwähnung durch die elektrosensiblen Richterin aus Augsburg schrieb uns ein politisch engagierter Mobilfunkgegner: "Was die Herzratenvariabilitätsmessung anbetrifft, so ist sie zweifelsohne das umfassendste Messinstrument, das wir zur Verfügung haben. Prof. Moser von der Uni Graz (Österreich) hat umfassende Studien dazu gemacht und zeigt, dass mit Hilfe dieser Diagnosemethode alle Belastungen dargestellt werden können."

Wir fragten in Graz nach: "Ist Ihrer Kenntnis nach die Messung der Herzratenvariabilität bei einem Provokationstest mit (schwachen) elektromagnetischer Hochfrequenzstrahlung ein zuverlässiger Indikator dafür, ob ein Proband diese Befeldung biologisch wahrnehmen kann?".

Prof. Max Moser schrieb zurück, "... unser Institut hat zwar einige Pilotstudien auf dem Gebiet der elektromagnetischen Felder durchgeführt, für eine richtige Studie fehlten leider trotz einiger Ideen bisher die Mittel. In Bezug auf Herzratenvariabilität sind wir allerdings Experten. Ich sende Ihnen eine Studie zur therapeutischen Anwendung niederfrequenter Magnetfelder und einen allgemeinen Artikel zu Ihrer Information."

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Herzratenvariabilität, Studienübersicht, Graham, Moser, Halberg


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