Hefezelle in elektromagnetischem Gefängnis (Forschung)
Irgendwie, so heißt es in Kreisen überzeugter Mobilfunkgegner, könnten elektromagnetische Felder einem Organismus auf Zellebene zusetzen. Ganz anders an der Technischen Universität Dortmund: Dort werden elektromagnetische Felder dazu verwendet, einzelne Zellen gefangen zu halten, um ihre Entwicklung über längere Zeiträume beobachten zu können.
Auch Zellen sind Individuen. Wahrscheinlich jedenfalls, denn eindeutig beweisen ließ sich das bisher noch nicht. Einzeln waren die kleinsten Lebensbausteine nämlich nur schwer zu erwischen, darum waren Aussagen über die Funktionsweise von Zellen rein statistischer Natur. Wissenschaftler vom ISAS - Institute for Analytical Sciences und von der Technischen Universität Dortmund haben jetzt einen Mikrochip entwickelt, mit dem sich erstmals einzelne Zellen nicht nur isolieren, sondern auch über einen längeren Zeitraum beobachten lassen.
Hendrik Kortmann ist Doktorand am Institute for Analytical Sciences (ISAS) er hat den „Big-Brother-Container“ für Zellen im Rahmen seiner Dissertation mitentwickelt. "Versuchskaninchen" sind Hefezellen, sie dienen in der Biologie als Modellorganismen für die verschiedensten Untersuchungen.
Unter dem Mikroskop lassen sich schon länger einzelne Zellen sichtbar machen, allerdings nützt das nicht viel, denn sie sehen alle gleich aus. „Aber das tun eineiige Zwillinge im Prinzip auch und doch reagieren sie in der gleichen Situation nicht immer gleich“, erläutert Kortmann. „Wir möchten wissen, ob das bei Zellen genau so ist.“ Dazu reicht es nicht, Momentaufnahmen per Mikroskop zu machen. Die einzelnen Zellen müssen über eine gewisse Zeit am Leben erhalten werden, um ihre Reaktionen auf bestimmte Ereignisse beobachten zu können. Die Apparatur dafür hat der Biotechnologe auf einem Mikrochip installiert. Ein elektromagnetisches Feld fängt die Zelle ein und sorgt dafür, dass sie nicht entwischen kann. Damit sie sich in ihrem Gefängnis auch wohlfühlt, sorgt ein ausgeklügelter Heizmechanismus für konstante Temperaturen. Zum dem von Kortmann entwickelten Minilabor gehört darüber hinaus noch eine geeignete Trägerlösung, die die Zelle am Leben erhalten muss, aber die Temperatur so wenig wie möglich beeinflussen darf.
„Eine solche Technologie zur gezielten Einzelzell-Untersuchung hat es noch nie gegeben“, erklärt Andreas Schmid, Professor am ISAS und Kortmanns Doktorvater. „Nach der Veröffentlichung in wissenschaftlichen Fachzeitschriften sind wir damit weltweit auf großes Interesse gestoßen“, so der Biochemiker. Schmid hat das Projekt zur Einzelzell-Analyse auf den Weg gebracht und sieht vielfältige Verwendungssmöglichkeiten, sowohl in der Grundlagen- als auch in der anwendungsorientierten Forschung. Bisher beruhten biologische Erkenntnisse auf Untersuchungen von Zellkulturen, die aus bis zu Milliarden Zellen bestehen – die Ergebnisse bestanden aus reiner Statistik. Mit der neuen Technologie lässt sich jedoch messen, ob einzelne Zellen resistent auf pharmazeutische Wirkstoffe reagieren und andere nicht. Oder ob es Zellen mit bestimmten Eigenschaften gibt, die – als Mini-Reaktoren – zukünftige Biokraftstoffe wie Ethanol oder Butanol effektiver als andere erzeugen können. „Und vom ganz Kleinen lässt sich ja manchmal auch auf das ganz Große schließen“, ergänzt Schmid, „wenn wir einzelne Zellen als die winzigsten Bausteine des Lebens individuell untersuchen können, entdecken wir vielleicht auch einen Grund für unsere eigene Individualität.“
Verantwortlich für den Text: Uta Deinet, ISAS - Institute for Analytical Sciences
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –