Hirntumore durch elektromagnetische Felder in Frankreich (Allgemein)
Der sogenannte Fachinformationsdienst Elektrosmog-Report hat sich in seiner jüngsten Ausgabe vom November 2011 wieder einmal selbst übertroffen - im Verbreiten von Panikmeldungen (die sich beim genaueren Hinsehen als Falschmeldung herausstellen).
Ich rede vom schrägen Titel der Aufmacherstory:
Hirntumore durch elektromagnetische Felder in Frankreich
Ganz im Sinne der Panikmache schließt dieser misslungene Titel nicht aus, dass die Felder in Frankreich Hirntumore in USA oder anderswo auslösen. Eine kleine Umstellung hätte dieses Missverständnis, der "Fachinformationsdienst" wird schließlich bevorzugt an interessierte Laien verschickt, bereits lösen können: Hirntumore in Frankreich durch elektromagnetische Felder.
Was dann kommt ist eine wie üblich ziemlich wirre Auflistung von Textfragmenten aus der Studiendokumentation, eine führende Hand oder einen roten Faden konnte ich nicht erkennen. Munter werden elektromagnetische Felder mit Magnetfeldern durcheinander gewürfelt, denn ganz im Gegensatz zum Titel geht es in der Studie nicht nur um Mobilfunk, sondern auch um Hochspannungsleitungen. Die EMF-Exposition der Patienten wurde (natürlich) nicht gemessen, sondern indirekt aus Nutzungsdauer eines Handys und Abstand zu Hochspannungstrassen ermittelt, eine systembedingte Schwäche epidemiologischer Studien.
Am schönsten aber ist das vom "Fachinformationsdienst" verkündete Resultat:
"Die Fall-Kontroll-Studie ergab für bestimmte Tumorarten nichtsignifikant und für Meningeome signifikant erhöhte Risiken".
Mit keiner Silbe geht die Autorin darauf ein, dass die weitaus größer und international angelegte Interphone-Studie das glatte Gegenteil gefunden hat, nämlich ausgerechnet bei Meningeomen konnte kein Zusammenhang mit EMF-Exposition gefunden werden. Berichten die Franzosen von tendenziell geringerem Risiko bei Gliomen, sagt Interphone auch hier anderes: Bei Nutzung unter 10 Jahren geht von Handys sogar eine (vermeintliche) Heilwirkung aus (weniger Gliome als bei den Kontrollen), bei längerer Nutzung kommt es zu dem bekannten Risikoanstieg von 40 Prozent. Nichts von alledem schreibt die Autorin des Elektrosmog-Reports in ihrem Artikel, um dem Leser zu helfen, die Inselstudie aus Frankreich im Kontext anderer Ergebnisse einzuordnen. Der Grund ist mMn klar: Jeder Hinweis auf die Widersprüche würde die Angstwirkung schmälern. Das Prädikat "Fachinformationsdienst" gilt aus meiner Sicht also nicht dem kundigen Überblick aufs Elektrosmoggeschehen, sondern dem Fach "Angst und Panik verbreiten". Wozu und weshalb? Wenn die Leserschaft des Reports sich stark aus profitorientierten Nutznießern der Elektrosmogdebatte rekrutiert, z.B. aus Baubiologen, dann ergibt diese Marschrichtung Sinn, denn die Leser bekommen frische Argumentationshilfen fürs tägliche Geschäft: "Eine neue Studie aus Frankreich hat ... ich kann ihnen daher nur raten, ... Abschirmfarbe und Fensterfolien dämpfen 99 Prozent."
Am Schluss des wirren Artikels stellt sich dann kleinlaut heraus, dass die von der Studie gefundenen signifikanten Risiken alle nicht auf Hochfrequenz, sondern auf Hochspannung zurückzuführen sind. Die alarmistische Titelzeile des Artikels ist daher falsch, sie wird vom Inhalt in keiner Weise bestätigt. Es sei denn, die Autorin nimmt irrtümlich an, Hochspannungsseile seien von elektromagnetischen Feldern umgeben. Das sind sie nicht, sondern von elektrischen und magnetischen Feldern - wer den Unterschied nicht kennt, sollte mMn besser keine Artikel über "Hirntumore durch elektromagnetische Felder in Frankreich" schreiben .
Ordentliche und nicht irreführende Informationen über Studien findet jedermann unentgeltlich im EMF-Portal der RWTH. Die noch junge Studie der Franzosen ist dort zwar schon gelistet, anscheinend hat es dazu auch bereits eine Reaktion unter Wissenschaftlern gegeben, doch fehlt noch die Ausarbeitung von Details. Es lohnt sich daher, die Portalseite zur Studie hin und wieder aufzurufen, um sich kompetent und nicht "fachinformiert" über diese Arbeit schlau zu machen.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –
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