Bürgerwelle: EHS-Test für gerichtsfeste Beweise (Elektrosensibilität)

H. Lamarr @, München, Donnerstag, 24.03.2011, 23:01 (vor 5024 Tagen)

Auf der diesjährigen Gigaherz-Vortragsveranstaltung, die diesmal Ende April in Bern stattfindet, tritt mit Siegfried Zwerenz auch der Chef der Bürgerwelle Deutschland auf. Thema seines Vortrags:

Kausaler Nachweis der biologischen Wirksamkeit von Mobilfunkstrahlung bei empfindlichen Personen im Doppelblindversuch mit sehr niedrigem Expositionsniveau

Die meisten bisher durchgeführten Provokationsstudien hatten Schwierigkeiten, Effekte elektromagnetischer Strahlung und Felder (EMF) auf menschliche Probanden im Kurzzeit-Expositionstest nachzuweisen. Die Ursache der Misserfolge ist häufig darin zu suchen, dass Design und Durchführung der Studien ungenügend Rücksicht nahmen auf die physiologisch bedingten Eigenheiten und Bedürfnisse der empfindlichen Versuchspersonen.

Ein Forschungsprojekt der Bürgerwelle beschreitet nun völlig neue Wege. Versuchsort ist die gewohnte Umgebung des Probanden. Die Versuchsanordnung orientiert sich daran, dass Betroffene in ihrem Haus Orte haben, wo sie die EMF-Belastung spüren, und einen speziellen Ort, an dem sie relativ beschwerdefrei ruhen können. Mit einer neu entworfenen Vorrichtung wird während der mehrtägigen Versuchsdauer der gewohnte Ruheort mehrere Male kurzzeitig zum kontrolliert belasteten Ort gemacht. Dies geschieht zufallsgesteuert, also doppelblind. Von zentraler Bedeutung ist, dass nur ein einziger Parameter verändert wird, nämlich die Expositionsstärke. In der Datenauswertung werden die vom Probanden notierten Erfahrungen sowie gegebenenfalls Aufzeichnungen von Organfunktionswerten mit den Aufzeichnungen der gemessenen elektromagnetischen Belastung verglichen.

Vorversuche mit empfindlichen Probanden zeigen, dass gute Aussichten bestehen, mit dem neuen Studiendesign eine individuell vorhandene „Elektrosensibilität" kausal zweifelsfrei nachzuweisen. Die Nachweise können Betroffenen als Beweismittel bei Gerichtsklagen dienen. [Quelle]

Kommentar: So neu, wie es Herr Zwerenz in seinem Text darstellt, ist das Projekt der Bürgerwelle nicht, der Verein bastelt seit etwa drei Jahren an diesem Test, die erste Veröffentlichung dazu gab es in Ausgabe 1/2009 der BW-Mitglieder-Zeitung. Das aber ist nicht so schlimm, gut Ding will schließlich Weile haben. Schlimm ist, dass Sigi Zwerenz mMn mit seinem Text Hoffnungen weckt, die er nicht halten kann. Denn sein Testverfahren hat eine gravierende Schwäche: Es ist nicht manipulationsfest. Mit jedem beliebigen HF-Pegelmesser, schon mit den billigsten, lässt sich die Verblindung des Experiments mühelos außer Kraft setzen. Zwerenz weiß das und wie er sagte will er dagegen auch Maßnahmen ergriffen haben, aber wie sollen diese bei einem unbeaufsichtigtem Versuchsablauf so zuverlässig greifen, dass etwas gerichtsfestes dabei herauskommt? Das was mir Herr Zwerenz über Details des Manipulationsschutzes schon vor längerem gesagt hat klang zwar vernünftig, ist jedoch in keiner Weise dazu geeignet, einen in betrügerischer Absicht handelnden Teilnehmer zuverlässig am Schummeln zu hindern. Und dass geschummelt wird ist keine pure Spekulation, sondern spätestens seit der Epros-Studie - auch diese fand schon im häuslichen Umfeld der Probanden statt - dokumentiert. Die wegen Manipulationsversuch ausgeschlossenen Probanden waren auch schon fast das Aufregendste an "Epros", denn einen Beweis für EHS konnte auch diese Studie nicht finden, die dem Test der Bürgerwelle keineswegs unähnlich ist.

Der EHS-Test der Bürgerwelle ist aus meiner Sicht kein schlechter Ansatz, um subjektiv empfundene Elektrosensibilität zu objektivieren. Wie weit diese Objektivierung glaubhaft gelingt hängt von der Anzahl der Testsequenzen (je mehr desto besser) und natürlich von der Trefferquote ab. Der Test könnte bei positivem Ergebnis EHS von Zweifeln befreien, ebenso gut könnte er sie bei negativem Resultat in tiefste Verzweiflung stürzen. Vor Gericht ist das Testergebnis jedoch mMn so wertvoll, als wenn ich, mit mir selbst bescheinigter Kreditwürdigkeit, bei einer Bank antanze, und dort eine Geldauszahlung erwarte.

Das Problem der fehlenden Manipulationsfestigkeit ist bei dieser Art Test, wie ihn die BW plant, sytemimmanent und damit unausweichlich. Außerdem fehlt allen Beteiligten am Test die für Glaubwürdigkeit so wichtige Neutralität. Ein gegnerischer Anwalt sollte mMn vor Gericht keinen nennenswerten Widerstand erfahren, wenn er die Testergebnisse vom Tisch wischt. Womit ich am Ende meines Kommentars angekommen bin: Wer am EHS-Test der Bürgerwelle mit Sicherheit große Freude hat, das sind die Anwälte der Elektrosmog-Szene, die sich über mehr klagebereite EHS freuen würden. Aus meiner Sicht ist es jedoch verantwortungslos, überzeugte Elektrosensible mit Blick auf den (vor Gericht wertlosen) EHS-Test in aussichtslose Klagen zu hetzen. Genau dies aber ist zu befürchten, wenn Aussagen wie diese kursieren: "Die Nachweise können Betroffenen als Beweismittel bei Gerichtsklagen dienen."

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Klage, Zwerenz, Bürgerwelle, Verantwortungslos, EHS-Test, Blendwerk, Misserfolg, Probanden, Gerichtsfest

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