Resümee 2007 eines Kritikers, Hoffnung auf 2008 (Allgemein)

krause99, Donnerstag, 17.01.2008, 11:03 (vor 5938 Tagen)

Liebe Forums-Leser,

hier mein Versuch, ein Jahresresümee zum Thema hochfrequenter Elektrosmog zu ziehen.

Ein Jahr wachsender Gegensätze und Grotesken ist zu Ende. 2007 hätte laut Betreiber und Bundesamt für Strahlenschutz die große Entwarnung vor Mobilfunkschäden kommen sollen. Sie kam freilich genau so wenig wie der argumentative Durchbruch der Kritiker in der Öffentlichkeit. Daran änderte die Botschaft "Mobilfunk macht krank" in einem Tatort-Krimi ebenso wenig wie tags darauf spektakuläre Schlagzeilen von "Bild" oder kritische Beiträge in Magazinsendungen der ARD und des ZDF (z.B. Report Mainz). Bevor ich weitere solche Eisbergspitzen in Erinnerung rufe oder für Sie erstmals sichtbar mache, mein Anliegen:

Unabhängig davon, ob nachstehend für die Kritiker- und Betroffenenszene positive oder negative Ereignisse angerissen werden, gilt in jedem Fall, dass wir als Kritiker vor lauter Jubel und Euphorie oder aber Wut und Enttäuschung nicht vergessen dürfen, gemeinsam zu handeln.

Dies ist der erste große Gegensatz: Einerseits zeigen inzwischen auch internationale Studien, dass Warnungen vor Langzeitschäden nicht aus der Luft gegriffen sind und dringender Handlungsbedarf wird auch von der Direktorin der Europäischen Umweltagentur (EUA), Frau Professor Jacqueline McGlade festgestellt. Andererseits hat es die Kritiker- und Betroffenenseite nicht geschafft, diesen Fakt durch gemeinsames Handeln in die Bundespolitik zu tragen und dort Umdenken auszulösen.
Es wirkt hilflos, wenn versucht wird, Kanzlerin Merkel durch Petitionen mit nur einigen Hundert Unterschriften zu bewegen, ihre Haltung gegenüber der Mobilfunkindustrie zu ändern. Ein bedauerliches Negativbeispiel belegt dies: Selbst 100 000 Unterschriften unter eine Petition für ein Bau- und Einsatzverbot von Streubomben konnte unsere Bundesregierung nicht umstimmen.

Zweiter Gegensatz: Einerseits schaffen es Bürgerinitiativen immer wieder mit guten Argumenten einzelne Sendemasten zu verhindern oder wieder abbauen zu lassen. Andererseits darf die Betreiber- und Befürworterseite auch 2007 ohne große Widerworte wieder lautstark, - belegt durch Umfragen eines großen Meinungsforschungsinstituts (DIFU) - verkünden, dass es 2005 bundesweit keine nennenswerten Konflikte um den Auf- und Ausbau der Mobilfunknetze gegeben hat. Zitat aus einem Vodafone-Vortrag am 5.9.2007 in einem Grünen-Fachgespräch, Landtag NRW: ..."Fazit: Über den Netzausbau wird transparent informiert, die Zusammenarbeit zwischen Kommunen und Betreibern klappt i.d.R. gut"... oder ..."Verbindliche Einbeziehung der Kommunen in die Standortwahl mit einer achtwöchigen Frist zur Stellungnahme klappt zu 83 % aus kommunaler und zu 100 % aus Betreibersicht."...
Kein Wort über verlorene Prozesse, zähneknirschend geschlossene Vergleiche und stillschweigend getroffene Abkommen - dies hätte das öffentliche Bild stören können.

Wie soll sich ein generell auf Gesundheitsvorsorge orientierter Mobilfunknetzausbau herausbilden, wenn auf der Bundesebene oder noch besser auf der ganzen globalisierten Welt die Betreiber ungestraft gegenüber den politischen Entscheidern behaupten dürfen, dass der Ausbau ohne nennenswerte Konfrontationen und ohne Meldungen über Gesundheitsschäden verläuft?

Dritter Gegensatz: Einerseits kämpfen jedes Jahr Bürgerinitiativen (BIs) verzweifelt und nur selten mit Erfolg gegen "ihren" Sendmast. Dabei ist dieser Erfolg sehr häufig fragwürdig, weil ein verhinderter Sendemast meist doch innerhalb eines Suchkreises aufgebaut wird und dann Nachbarn genau das Leid erfahren, was "nebenan" soeben verhindert wurde. Andererseits gibt es nur ganz wenige Kommunen in Deutschland, die - von BIs gestützt - den Weg der unabhängigen Mobilfunkplanung beschreiten, der für eine ganze Kommune bessere Bedingungen erreichen lässt. Bei mehr und besser koordiniertem Protest würden nicht nur mehr Kommunen diesen Weg gehen, sondern auch Erfolge dabei haben (das Sprungbrett zum Erfolg: das Urteil des BayVGH vom 2. August 2007).

Mit einem vierten Gegensatz möchte ich aufhören: Einerseits weiß jeder Bürger, somit auch jeder Kritiker, dass jeder Verhaltensänderung langwierige Bewußtwerdungsprozesse vorausgehen (Beispiel Klimaschutz), die über die Medien durch nachhaltige Kampagnen in unser aller Köpfe eingepflanzt werden. Andererseits müssten die Kritiker wissen, dass Kampagnen für Gesundheitsschutz gegen hochfrequenten Elektrosmog viel Geld für Medienfachleute und Sendezeiten kosten. Aber die Kassen der engagierten überregionalen Initiativen bleiben leer!

Noch ein altbekanntes - und von den Betreibern zynisch mit dem Hinweis auf 80 Mio. verkaufte Handys belegtes - Paradoxon als Krönung:
Kaum einer will einen Sendemast in seiner Nähe und ca. 50 % der Bevölkerung sind auch besorgt über mögliche Gesundheitsschäden. Statistisch gesehen haben wir dennoch alle viele Stunden pro Monat das Handy am Ohr.
Merke: Würden alle Gespräche, die über Festnetz abwickelbar sind, auch so geführt, bräuchten wir viel weniger Sendemasten und der Mobilfunkmarkt wäre nicht expansiv. Stattdessen wird jede Mobilfunkkostensenkung bejubelt und die Handynutzung nimmt weiter zu.

Weitere Stichworte liegen mir noch auf der Zunge (wie: Kinder und Handy, Handy-TV, wireless Home, W-LAN, WiMax, wer weiß schon Gesichertes über die Anzahl der Elektrosensiblen und ihre Leiden usw. ), zum Aufzeigen einer dringenden Konsequenz mag das Gesagte jedoch genügen:

Jede Chance, die sich in jedem der genannten Gegensätze auftut, wird in unserem Sinn nur dann tatsächliche Verbesserung bringen, wenn wir unser ambivalentes Verhalten aufgeben und uns alle - auf allen Handlungsebenen und quer durch alle Motivationslagen - mit Zeitaufwand und Geld in einer koordinierten Massenbewegung (wie bei attac) dafür einsetzen.
Dabei dürfen allerdings nicht der wichtige Informationsaustausch und die berechtigten Klagen über Gesundheitsprobleme zwischen uns Kritikern und BIs im Mittelpunkt stehen, weil dies an unserer Lage überhaupt nichts verändern wird, wenn wir uns gegenseitig zum x-ten Mal erzählen, warum Mobilfunk krank macht. Das hört sich trivial an, kommt aber leider sehr häufig vor. Vielmehr muss unser primäres Ziel das Reden mit den Befürwortern, den unentschlossenen politischen Entscheidern und den unbekümmerten Nutzern der drahtlosen Kommunikationstechniken sein, um sie zu überzeugen, dass ein nicht einschätzbares Risiko nicht dadurch verschwindet, dass man es ignoriert.

In diesem Sinn bitte ich Sie um Ihren persönlichen Einsatz für die ja auch von Ihnen erhofften Veränderungen. Gemeinsam können wir einen Weg des "sowohl Gesundheitsschutz als auch drahtlose Kommunikation" statt des bisherigen "entweder Handy oder Gesundheit" erfolgreich gehen.

Für Ihr persönliches Leben wünsche ich Ihnen ein gesundes, glückliches und erfolgreiches Jahr 2008.

Gerrit Krause

Tags:
Merkel, Petition, McGlade, Verhaltensänderung


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