Ketzerstangen (18. Jahrhundert) (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Montag, 24.02.2020, 18:17 (vor 1586 Tagen) @ H. Lamarr

Auszug aus "Seetaler Bote" vom 16. Januar 2020 (Rubrik "der Standpunkt", Vortragender ist Prof. Martin Röösli, Schweiz):

5G Ketzerstangen

Elektromagnetische Phänomene haben schon immer fasziniert. So wurden Blitze früher als göttliche Erscheinung angesehen. Im 18. Jahrhundert erfand dann Benjamin Franklin den Blitzableiter. Dieser stiess aber bei den damaligen Theologen auf gar keinen Anklang. Der Blitzableiter wurde als «Ketzerstange» bezeichnet, da er gegen die von Gott gewollte Ordnung verstosse. Lieber sollten die Bauern einen Obolus an die Kirche entrichten um mit dem Wetterläuten Gott zu besänftigen.

Mir scheint, dass in den letzten Monaten fehlendes Wissen dazu geführt hat, dass Ketzerstangen in Form von 5G-Antennen wiederaufgelebt sind. Angesichts der Tatsache, dass praktisch alle ein Mobiltelefon nutzen, sind Mobilfunkantennen erstaunlich unpopulär. Dabei sollten eigentlich alle, die ein Mobiltelefon nutzen, ein Interesse daran haben, dass in ihrer Nähe Mobilfunkantennen stehen. Der Grund liegt in der äusserst effizienten Leistungsregelung von Mobiltelefonen. Ist eine Mobilfunkantenne in der Nähe und das Signal genügend gut, sendet das Telefon bis eine Million Mal weniger stark als bei schlechter Netzabdeckung.

Konkret kann jemand also bei optimalem Empfang sein Telefon eine Woche an sein Ohr drücken und hat weniger Strahlenexposition als jemand, der eine einzige Sekunde bei schlechtem Empfang telefoniert. Überhaupt ist das eigene Mobiltelefon für die meisten die Hauptstrahlungsquelle. Fünf Minuten telefonieren pro Tag und eine Stunde Datenverkehr im Internet bedeutet, dass 90 Prozent der absorbierten Strahlenbelastung vom eigenen Telefon stammen. Allfällige gesundheitliche Auswirkungen wären also vor allem vom eigenen Mobiltelefon zu erwarten und nicht von den Antennen.

Zudem hat die Schweiz für Strahlung von Mobilfunkantennen (nicht aber von Mobiltelefonen) zusätzlich zu den internationalen Grenzwerten noch tiefere Vorsorgegrenzwerte eingeführt. Diese sogenannten Anlagegrenzwerte sind in den letzten Monaten intensiv diskutiert worden. Ein kürzlich veröffentlichter Bericht des Bundes kommt zum Schluss, dass es für die Beibehaltung der Anlagegrenzwerte in den nächsten Jahren zusätzlich 26 500 Mobilfunkantennen braucht, also mehr als eine Verdoppelung der Anzahl Mobilfunkantennen.

Der Grund für diese Zunahme ist nicht wie fälschlicherweise häufig gesagt die Einführung von 5G, sondern das exponentielle mobile Datenwachstum. Alle 12 bis 18 Monate haben sich die Mobilfunkdaten in der Schweiz verdoppelt. Es ist also eine Illusion anzunehmen, dass es ohne 5G diese zusätzlichen Antennen nicht braucht. Im Gegenteil, 5G ist effizienter als 4G, und ohne 5G braucht es noch mehr zusätzliche Antennen. Aus gesundheitlicher Sicht ist das jetzige 5G nicht anders zu bewerten als die älteren Mobilfunk-Generationen. [...]

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Illusion, Vorsorgegrenzwert


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