Indoor/Outdoor-Trennung aus Wissenschaftlersicht wirkungslos (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 05.06.2022, 23:21 (vor 731 Tagen) @ H. Lamarr

Erklärtes Feindbild von Mobilfunkgegnern sind die fernen Funkmasten, nicht die nahen Smartphones, die sich auch unter Mobilfunkgegnern größter Beliebtheit erfreuen. Dieser banale Umstand bewirkt zum einen viele Widersprüche im Wirken von Mobilfunkgegnern, zum anderen zeigt er den Tunnelblick dieser Spezies. Dem Tunnelblick geschuldet ist wiederum ein Denkfehler, dem Mobilfunkgegner bei ihrer Idee einer Indoor/Outdoor-Trennung der Mobilfunkversorgung aufgesessen sind.

Die Indoor/Outdoor-Trennung soll nach den Vorstellungen organisierter Mobilfunkgegner die "Strahlenbelastung" von Menschen deutlich senken. Die Idee dahinter ist simpel: Braucht ein Mobilfunksender die Nutzer innerhalb von Gebäuden nicht mehr versorgen, muss das Mobilfunksignal nicht mehr die signalschwächende Gebäudehülle durchdringen und der Mobilfunksender kann mit deutlich geringerer Sendeleistung betrieben werden. Dies reduziert draußen und drinnen die Exposition von Menschen mit Funkfeldern, die von Mobilfunksendern im Freien ausgehen.

Soweit der Kerngedanke der Indoor/Outdoor-Trennung, der vom Ansatz her die Frage offen lässt, wie die Funklöcher, die sich nach der Trennung in Gebäuden zwangsläufig auftun, vernünftig gestopft werden können. Dass sogar eine Führungsperson organisierter Mobilfunkgegner bei der Beantwortung dieser Frage ins Schlingern gerät, belegt das Startposting.

Ob die Idee der Indoor/Outdoor-Trennung hält, was sie verspricht, war u.a. Gegenstand eines Forschungsprojekts, das im Auftrag des Schweizer Bundesamtes für Kommunikation (Bakom) von der Schweizer Forschungsstiftung It'Is 2021 durchgeführt wurde. Mit Simulationsmodellen prüften die Wissenschaftler, wie sich eine Indoor/Outdoor-Trennung auf drei unterschiedliche Szenarien auswirkt:

Outdoor: Alle Nutzer befinden sich im Freien. Dieses Szenario entspricht vollumfänglich dem Kerngedanken der von Mobilfunkgegnern angestrebten Indoor/Outdoor-Trennung.

Indoor: Die Nutzer befinden sich an zufälligen Orten drinnen oder draußen, mindestens 25 Prozent aber sind drinnen in beliebig großen Gebäuden.

Indoor 15 m: Wie Indoor, die Nutzer drinnen befinden sich jedoch in kleinen Gebäuden mit einer Seitenlänge von maximal 15 m.

Zusätzlich zu diesen Szenarien wurde geprüft, wie die Auswirkungen in Städten, Vororten und Dörfern sind und wie bei den unterschiedlichen Datenraten von 4G- und 5G-Netzen. Auskunft über die Ergebnisse gibt der folgende (ins Deutsche übersetzte) Auszug aus dem Abschlussbericht des Forschungsprojekts (PDF, 43 Seiten, englisch). Wem die Begriffe Downlink- und Uplink-Exposition fremd sind, die Downlink-Exposition umschreibt die Strahlenbelastung durch Funkmasten, die Uplink-Exposition die durch Mobiltelefone.

[...] Die Ergebnisse zeigen, dass die Downlink-Exposition draußen um den Faktor 10 zunimmt, wenn auch in Gebäuden drinnen Nutzer versorgt werden müssen. In den beiden Indoor-Szenarien ist die Downlink-Exposition drinnen höher als beim Outdoor-Szenario draußen. Die Exposition ist bei den Indoor-Szenarien drinnen jedoch niedriger als draußen. [...] Die durchschnittlichen Expositionswerte [...] liegen für alle Versorgungsszenarien und Nutzerstandorte im gleichen Bereich. Nutzer im Freien sind im Allgemeinen bei 5G einem niedrigeren durchschnittlichen [...] Uplink-Expositionsverhältnis ausgesetzt als bei 4G (Faktor 1,5 bis 2), in Innenräumen sind hingegen die 5G-Uplink-Expositionsverhältnisse höher [den Begriff "Expositionsverhältnis" erklärt der Abschlussbericht an anderer Stelle im Abschnitt 4.10; Anm. Postingautor].

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass nur beim Outdoor-Szenario die Downlink-Exposition im Freien reduziert wird. Auf der Grundlage der [...] Ergebnisse wird jedoch auch ein 5G-Netz, das nur den Außenbereich abdeckt, einen erheblichen Teil der Innenbereiche abdecken. Diese Schlussfolgerung wird auch durch die geringen Unterschiede zwischen der Abdeckung aller Gebäude und nur kleiner Gebäude gestützt. Da die Uplink-Exposition in allen Abdeckungs- und Datenraten-Szenarien sehr ähnlich und im Vergleich zur Downlink-Exposition dominant ist, führt eine Trennung von Innen- und Außenabdeckung in den simulierten Szenarien nicht zu einer geringeren Exposition der Menschen.

Zugegeben, auf Anhieb verständlich sind die Ausführungen nicht, mancher Satz muss zweimal gelesen werden, bevor sich einem die Aussage erschließt. Im Zweifel ist es ratsam, das Original des Abschlussberichts zu Rate zu ziehen. Dort werden die Sachverhalte ausführlich erklärt, jedoch auf einem Niveau, das Vorkenntnisse in EMF-Expositionsbetrachtungen voraussetzt. Wer die nicht hat, wird aus dem Papier wenig Nektar saugen können. Da es sich nicht um leichte Kost handelt, sondern um eine verzwickte Sache, ist das keine Schande.

Der Denkfehler, der im Kerngedanken der vermeintlich strahlungsreduzierenden Indoor/Outdoor-Trennung steckt, sollte jedoch klar geworden sein: Mobilfunkgegner sorgen sich exklusiv um die Strahlungsminimierung von Funkmasten und kümmern sich nicht um die Funkstrahlung, die von Mobiltelefonen ausgeht. Folgenschwer ist der Denkfehler, weil durch diese Missachtung die dominante Strahlungsquelle Mobiltelefon nicht in die Betrachtung der Gesamtexposition eingeht.

Starrt man allein auf die schwache Downlink-Exposition, kommen auch die Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass die Exposition im Freien um Faktor 10 abnimmt, wenn Funkmasten keine Nutzer in Innenräumen mehr versorgen müssen. Dieser Vorteil wird jedoch zunichte gemacht, sobald die starke Uplink-Exposition von Mobiltelefonen in die Betrachtung mit einbezogen wird.

Üblicherweise kommen Mobilfunkgegner dann mit dem Argument, ein Funkmast strahle rund um die Uhr, ein Smartphone aber nur bei Gebrauch und im Stand-by unbemerkt nur gelegentlich. Wenn ich den Abschlussbericht richtig verstanden habe, berücksichtigen die Autoren jedoch auch diesen Umstand (Zeitfaktor) anlässlich ihrer Bestimmung der maßgebenden "Expositionsverhältnisse" (exposure ratio) für den Up- und Downlink und kommen dennoch zu dem Ergebnis, dass eine Trennung von Innen- und Außenabdeckung in den simulierten Szenarien nicht zu einer geringeren Exposition der Menschen führt.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Tunnelblick, Basisstation, Faktencheck, Funkmast, Indoor/Outdoor, Versorgungslücke, BST, realitätsfern


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