Repräsentative Fehleinschätzung (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Donnerstag, 21.10.2010, 10:29 (vor 4963 Tagen)

Einer Emnid-Umfrage im August 2010 zufolge waren 52 % der Deutschen gegen die Außenansicht ihrer Wohnung oder ihres Hauses im Google-Dienst "Street View". Entsprechend groß waren die Erwartungen/Befürchtungen, was die Anzahl der Einsprüche in den 20 größten deutschen Städten angeht, für die der Dienst zuerst angeboten werden soll. Nach Ablauf der Einspruchfrist machte sich bei Google Erleichterung breit, anstelle mehrerer Millionen Einsprüche blieb der Zähler am Schluss bei nur 245'000 stehen. Auch private Anti-Street-View-Webseiten konnten daran nichts wesentlich ändern.

Die Diskrepanz zwischen Meinungsbekundung und Schritt zur Tat kann offenkundig groß ausfallen. Ich meine mich erinnern zu können, dass es bei der Einführung des Katalysators für Autos ähnlich war, Umfragen zeigten eine große Bereitschaft zum Nachrüsten älterer Autos, am Ende blieb die Industrie jedoch angeblich auf den Nachrüst-Kats sitzen - der Einbau war vielen dann doch zu teuer.

Aus meiner Sicht sind Street-View und Mobilfunk ein bisschen verwandt, bei beiden zuckt man eher nur mit den Achseln, wenn einem, mit Feuer in den Augen, von großen Gefahren berichtet wird. Doch Medienberichte über aufgebrachte stark engagierte Einzelkämpfer transportieren das Thema dann aus einer Vorhangfalte mitten auf die Bühne des öffentlichen Interesses. Dies lockt neue Akteure an und weckt Erwartungen, die mit dem Achselzucken nicht mehr vereinbar sind. Erst bei der Nagelprobe "Tu' was" - lege Einspruch gegen Street-View ein oder schmeiß' dein Handy aus dem Fenster, sonst siehst du schon bald Gespenster - kommt das Kernproblem (Achselzucken) wieder hoch und leitet allzu hohe Erwartungen auf Erdpotenzial ab. Street-View-Einspruch und Mobilfunkgegnerschaft bestehen mMn den gefühlten Plausibilitätstest nicht und bleiben deshalb Nischenthemen, bei Atomkraft oder Neonazismus ist die Risikowahrnehmung anders, dort können Protestaufrufe mehr Menschen mobilisieren.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Meinung, Risikowahrnehmung, Aufruf, Fehleinschätzung, Street View, Umfragen


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