Ein "Elektrosensibler" ohne Messgerät (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Donnerstag, 05.11.2015, 12:54 (vor 3308 Tagen)

In der Schweiz wurde einem EHS das Messgerät geklaut. Nein, falsch, ihm wurden gleich drei Messgeräte geklaut, die er unachtsam vor seiner Haustür in einem Köfferchen stehen ließ. So tragisch dies im Einzelfall auch sein mag, der Nachrichtenwert der Meldung ist eigentlich nicht der Rede wert, hätte der überzeugte Elektrosensible in seiner Suchmeldung auf Gigaherz nicht stehen:

Ich würde mich riesig freuen, meinen liebgewordenen Messgeräten auf die Spur zu kommen.

Jetzt wird es doch noch interessant.

Bekennende "Elektrosensible" räumen sehr häufig ein, im Besitz eines oder mehrerer Messgeräte zu sein, sie zählen damit zu einer der wichtigsten Käufergruppen für Billig-Messgeräte und nicht selten finden sich im Dunstkreis von EHS-Selbshilfegruppen "Helfer" im Stile von Avon-Beraterinnen, die bei der Beschaffung von allerlei unnötiger Messtechnik behilflich sind.

Bislang dachte ich, EHS benötigten Messgeräte, weil sie ihrem Spürsinn für Elektrosmog nicht trauen können und die Bestätigung mit objektiven Messwerten suchen. Am besten mit numerischer Anzeige, deren Ziffern auf zwei Nachkommastellen genau eine geradezu himmlische Gewissheit innewohnt, selbst wenn der Messwert noch so falsch ist. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser: So könnte die Devise eines mit Messtechnik umherziehenden "Elektrosensiblen" lauten.

Bei dem Bestohlenen aber ist es anders, ihm sind seine Messgeräte lieb geworden, so wie vielen, denen er aus dem Weg geht, ihr Smartphone lieb geworden ist. Die Beziehung des EHS zu seiner Gerätschaft weist meiner unqualifizierten Meinung nach auf eine Vermenschlichung der Technik hin. Die Geräte waren seine ständige Begleiter und sind unverzichtbare Freunde, die unser EHS nicht wegen ihres monetären Wertes wieder haben möchte, sondern weil er sich wieder im Kreis seiner Freund sicher fühlen möchte.

Aus meiner Sicht belegt der Vorfall eine bedenkliche Abhängigkeit des "Elektrosensiblen" von seiner Messtechnik. Wer seine Pappkameraden so liebt, wie der Bestohlene, dem ist zuzutrauen, dass er seinen "Freunden" blind vertraut, nie würden sie ihn belügen. Mit so einer Geisteshaltung ist es ein leichtes, unerwünschte Messwerte "auszublenden" und zu verwerfen, um die Illusion aufrecht zu erhalten. Denn es liegt doch auf der Hand: Jeder mit Messgerät bewaffnete EHS muss die Enttäuschungen kennen, dass er seine typische Symptomatik unangenehm spürt, das Messgerät aber keinerlei Immission anzeigt oder nur unerwartet wenig. Solche Pleiten blenden EHS aus, sie gehen an Orte, wo sie von hohen Messwerten wissen, und tanken dort die Bestätigung, die sie brauchen.

Leidet ein EHS wie ein geschundener Esel und das Messgerät zeigt dennoch nur einen belanglosen Messwert von sagen wir mal 1 µW/m² an, kann das Überzeugungssystem des Betroffenen ihn zu dem aberwitzigen Schluss führen, er würde jetzt auch schon auf derart niedrige Werte reagieren, seine Empfindlichkeit habe zugenommen und werde noch weiter zunehmen.

In dem Film "Schtonk" wurde an einem plakativen Beispiel gezeigt, welch' irrwitzige Fehlschlüsse so ein Überzeugungssystem verursachen kann: Gegen Ende des Films wird deutlich, die angeblichen Hitler-Tagebücher sind eine Fälschung. Einer der Verfechter der Tagebücher, gespielt von Götz George, erfährt in einer Szene erstmals, die Tagebücher stammen nicht aus den 40-er Jahren, sondern aus den 80-ern. Betrübt blickt George ob dieser Nachricht drein. Doch plötzlich hellt sich seine Miene auf (nicht: Mine) und er ist sichtlich erleichtert: "Ja," sagt er sinngemäß, "das isses, der Führer lebt!"

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Esmog-Spion, Knatterbox, Elektrochonder, HF-Detektor


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