Kampf gegen Sendemasten:
Der Pyrrhussieg von Bruchköbel

Der folgende Erfahrungsbericht beschreibt den Kampf gegen Mobilfunkmasten. Einen bizarren Kampf, wie er mancherorts seit einigen wenigen Jahren in unterschiedlicher Intensität und Verbissenheit geführt wird. Der Autor nimmt für seinen Bericht das Beispiel einer kleinen, unauffälligen, angenehm zu bewohnenden Kleinstadt heran. Gleichwohl ist vieles von dem, das er beschreibt, exemplarisch für die Mastenkämpfe in deutschen Kommunen (Bruchköbel, Mai 2009).

Der Autor dieses Artikels hat die Bruchköbeler Entwicklungen hin zu einer „Unabhängigen Senderstandortplanung“ mitverfolgt und darüber in einem Lokalblatt berichtet. Sein Berichte-Archiv ist unter www.juergendick.de zugänglich. Dieser Beitrag ist seine persönliche Rückschau auf den Bruchköbeler Mobilfunkstreit. Und damit auch zwangsläufig auf die Aufregungen, welche wahren Kämpfen um die Sache des Guten zueigen sind. Um den Verlauf der Ereignisse und seine Sicht darauf zeitlich und thematisch stringent darzustellen, wählte er die Essayform.

Als Nachspeise werden einige kritische Thesen zum derzeitigen Status der Bruchköbeler Senderstandortplanung serviert – die man nicht nur mit Kenntnis der Bruchköbeler Verhältnisse, sondern auch exemplarisch verstehen kann, und die zur Diskussion einladen wollen.

In der Stadt, von der hier die Rede sein wird, ist der Kampf gegen die Mobilfunkmasten erfolgreich durchgefochten – und, ja: gewonnen! – worden. Die Sendemasten sind inzwischen kraft einer mit offiziellen Weihen durchgeführten Senderstandortplanung aus dem Stadtgebiet verbannt worden. Das Erfolgsziel einer ortsansässigen Initiative für mobilfunksenderfreie Wohngebiete scheint erreicht. Zumindest auf dem Papier.

Mobilfunkkritiker wissen: Beispiele dieser Art – also solche mit erlösendem Ende – gibt es in der Welt des Widerstandes gegen die Mobilfunkmasten nicht oft. Möglicherweise bislang noch gar nicht. Es liegt also auf der Hand, unbedingt davon zu erzählen, wenn so ein Beispiel denn doch einmal offenbar wird. Ein Beobachter sollte das Erreichte aber auch dann, wenn alle erleichtert aufatmen, kritisch unter die Lupe nehmen. Er entdeckt dann, zum Beispiel, dass der Jubel im vorliegenden Fall bislang ausgeblieben ist. Was schon einmal auffällig ist. Denn Sieger sollten feiern. Warum tun sie es nicht?

Ein Botschafter am Waldesrand

In die hessische Kleinstadt Bruchköbel, am östlichen Rand des Ballungsraumes Frankfurt gelegen, ländlich geprägt und mit städtischen Ambitionen, sollte zu Beginn des neuen Jahrtausends unerwartet Aufregung einkehren.

Es war die Zeit, als überall im Auenland, hässlichen, giftigen Pilzen gleich, die Mobilfunk-Sendestationen nicht mehr nur vereinzelt, sondern in Massen aus den Böden zu sprießen begonnen hatten. Damals steckte noch nicht in jedermanns Funkmast Sportplatz am WaldTasche ein Mobilfunktelefon, waren die kleinen Funkgeräte noch doppelt so dick wie heute, gehörten Blackberries und WLAN-Netze noch nicht zur Grundausstattung für das Überleben im modernen Alltag.

Fremdartig hatten die Mobilfunkmasten ausgesehen, wenngleich sich die Bürger an den Anblick inzwischen gewöhnt zu haben scheinen. Jedenfalls, solange ihnen die hässlichen Funktürme nicht zu nah an das eigene Grundstück heranrücken. Dies nämlich kann in der Tat in eine ästhetische Zumutung ausarten.

Eine solche trat in Bruchköbel ein, als am südlichen Waldrand ein Sendemast errichtet wurde. Ungefähr 30 Meter hoch, bestückt mit merkwürdigen Sendeantennen. Rund 120 Meter von den ersten Wohnhäusern entfernt. Ein Monstrum, quasi über Nacht, einem UFO gleich herabgekommen und fortan nicht mehr wegzudenken. Der Stahl und Beton gewordene Botschafter einer neuen Zeit schrankenloser Kommunikation. Beängstigend und bedrohlich.

Es hoben Proteste gegen die „Zwangsbestrahlung“ an. Die Stadtverwaltung wurde aufgescheucht. Strahlenmessungen wurden vorgenommen. Anklagende Briefe erreichten die Stadtoberen, und bald waren Bürgermeister Manfred Mächtig und sein Erster Stadtrat als janusköpfige Parteigänger der Mobilfunkfirmen ausgeguckt, als diejenigen, die den inzwischen gegen den Funkturm erfolgten Beschluss der Stadtverordnetenversammlung verschleppen. Es kam gar die unheimliche Nachricht  von einem „Kataster“ in Umlauf, von Sendemastengegnern in Eigenregie erstellt: Krebs- und Todesfälle seien im südlichen Wohnbezirk aufgetreten.

Kirche, Mammon und Mobilfunk

Weitere „Skandale“ wurden ruchbar. Mobilfunkkritiker entdeckten einen Mobilfunksender im Turm der Jakobuskirche. Im Herzen der Stadt. Ein Höllengerät für „24 Stunden Zwangsbestrahlung“. Direkt in das Wahrzeichen der Kleinstadt hineinmontiert. Für eine unkündbare Wegen der Mobilfunkantennen im Glockenturm Jakobuskirche eskalierte der Mobilfunkstreit in BruchköbelVertragslaufzeit von zwei Jahrzehnten. Die Kirche hatte ihre Gemeindemitglieder verraten. Ihre eigene Seele. Des schnöden Mammons wegen. Heimlich. Und noch ein weiterer Fall, im Kirchturm des Ortsteiles Rossdorf. Auch dort also. Verborgen vor den Blicken der ahnungslosen Gemeinde. In Kirchen gehören keine Mobilfunksender hinein, so lautete damals die selbstverständliche Gewissheit gläubiger Mobilfunkkritiker. Pfarrer und Gemeinderäte mussten harsche Vorwürfe über sich ergehen lassen. Ein Pfarrer, heißt es noch heute, habe  der anhaltenden Vorwürfe wegen sogar seine Dienststelle gewechselt.

Die vermeintlichen Machenschaften der Kirchenverantwortlichen, sie wurden in dieser Anfangszeit zum Thema – in aufgeregten Leserbriefen, in elektronischen Rundbriefen, im Internet. Hatte die „Kirche ohne Moral“ ihre Gemeindemitglieder verraten? Schutzlos der verderblichen Mikrowellenstrahlung ausgeliefert? Es kam zu Aktionen. Das historische Altstadtzentrum, mit Bettlaken verhängt: „Herr! Deine Kirche hat was am Sender!“ Sogar Kirchenaustritte soll es gegeben haben – Gemeindemitglieder, ihrer Glaubensheimat beraubt. In Kirchenkreisen wurde diese Darstellung jedoch bestritten. Man habe keine Austrittswelle bemerkt, verlautete es von dort. Einige wenige Mitglieder besuchten zwar andere Kirchen im Ort (es gibt davon in Bruchköbel deren sieben, die Freien Gemeinden nicht mitgezählt), aber das könne man nicht als Austritte bezeichnen.

Anschwellender Bocksgesang

Die Diskussion um die Bruchköbeler Mobilfunksender eskalierte im Verlauf der Jahre 2002 bis 2004. Der seit 2001 amtierende Bürgermeister Mächtig, CDU, absolute Mehrheit, ein im öffentlichen Umgang mit aufmüpfigen Bürgern ungeübter Verwaltungsjurist, reagierte auf das neuartige soziale Phänomen in seiner Stadt, sagen wir es mal so:

Die Namen der aufgeführten Protagonisten wurden verändert.

unflexibel. Nach Recht und Gesetz, und also seiner Überzeugung nach, erschien das Begehren nach „mobilfunksenderfreien Wohngebieten“ ungehörig, im Grunde nicht existent. Der junge Bürgermeister ließ die Initiativler spüren, wer Herr im Hause ist. Die fühlten sich, logisch, nicht ernst genommen. Sie forderten nun mit Vehemenz eine funktechnisch fundierte Standortplanung unter der Regie einer unabhängigen Fachfirma. Mal sollte dafür das Institut „Ecolog“ engagiert werden; später, als das Ecolog-Institut in der mobilfunkkritischen Szene wegen zu lascher Grenzwertansichten auffällig geworden war, wurde die Münchener Firma „Enorm“ zum Wunschkandidaten erkoren.

Die Rathausspitze fühlte sich vorgeführt, konterte mit eigenen, halbherzigen Vorschlägen, denen postwendend Dilettantismus bescheinigt wurde. Mit seiner Renitenz hexte sich Bürgermeister Mächtig eine nachhaltige Kampagne gegen seine Person an den Hals. Die, so sagen manche, den Anfang vom Ende einer Rathauskarriere einleiten sollte – nämlich seine schmerzliche Abwahl kurz vor Weihnachten 2007.

Herr Wilhelm Wichtig, ein örtlicher Aktivist und mobilfunktechnischer Laie, der offensichtlich mit Eintreten seines Ruhestandes die Segnungen des elektronischen Zeitalters zu nutzen gelernt hatte, versendete in stetig hoher Frequenz bebende E-Mails an Stadtverordnete, an Mitstreiter, an den Leserkreis seiner rund um das Jahr die Anhängerschaft aufrüttelnden und alarmierenden „Infos“ – letztere meist Sammlungen ebenso eifrig wie einseitig selektierter Zeitungsausschnitte über angebliche Risiken, Gefahren, Krankheiten, „alarmierende“ Studien und andere bedenkliche letzte Neuigkeiten aus der zwangsbestrahlten Republik. Und von verfehlter Fürsorgepflicht des Bürgermeisters war darin die Rede. Von dem kleinen Bürokraten, der, so konnte man stets folgern, seine schutzbefohlenen Bürger an die Mobilfunkbetreiber verraten hat.

Ein steter, mahnend alarmierender Grundton und viel Fettschrift bildeten die konstante Würze in Herrn Wichtigs Rundschreiben. Heute, rückblickend, ist von den vielen Schreckensmeldungen nicht mehr viel übriggeblieben. Die alten Hits der Szene, wie „Naila“, „Reflex“, „Blut-Hirn-Schranke“, Meldungen über Krebs, Todesfälle und manch andere, wissenschaftlich nicht fundierte Erkenntnisse über den Mobilfunk sind in den vergangenen Jahren von Fachleuten in der Luft zerrissen worden. Dennoch: Wahrscheinlich brauchen alle mobilfunkkritischen Initiativen, die es kurzfristig und effizient zu etwas bringen wollen, engagierte Mitstreiter wie Herrn Wichtig.

Darstellungen zur Kirchturmsender-Klage

Der Bundesgerichtshof hatte im Verfahren um den Bruchköbeler Kirchturmsender den Grenzwerten gemäß 26. BImSchV höchst- richterlichen Segen erteilt. Das IZgMF listete seinerzeit dazu einige Stellungnahmen.

Im Februar 2004 verlor die Initiative unter der Regie ihres Vereinsmitgliedes, des am Ort ansässigen Rechtsanwaltes Klaus Klagemann, vor dem Bundesgerichtshof ein Verfahren gegen den Mobilfunksender im Kirchturm (siehe Kasten). Weder Gesundheitsgefahr noch rechtlicher Verstoß seien festzustellen. Die Grenzwerte würden eingehalten. Die vorhersehbare Niederlage vor Gericht begründete dennoch die szeneweite Popularität „der Bruchköbeler“. In Kreisen der bundesweiten Mitstreiterschaft sollte die Erinnerung an die rechtliche Auseinandersetzung um den Kirchturmsender als verlorener Etappenkampf des gerechten David gegen den Mobilfunk-Goliath haften bleiben.

Es geht voran

Im Jahre 2006 wurde mit Ferdinand Friedlich ein Mandatsträger der Grünen zum ersten Stadtrat gewählt. CDU und Grüne hatten nach der Wahl eine Koalition gebildet. Umweltthemen würden ab nun einen höheren Stellenwert erhalten. Stadtrat Friedlich bekam vom inzwischen entnervten Bürgermeister Manfred Mächtig das Thema „Mobilfunkplanung“ zugeschoben. Mächtig musste sich um andere Probleme kümmern. In seiner CDU hatte sich wegen vermeintlicher Basisferne des Bürgermeisters eine bedrohlich grollende Anti-Mächtig-Front gebildet, und der innerparteiliche Streit darüber begann mehr und mehr nach draußen zu dringen, drohte den Bürgermeisterwahlkampf des kommenden Jahres zu verhageln.

Die Grünen entdeckten den „Mobilfunk nur mit Sicherheit“, wohl im Glauben, damit ein ureigenes Umweltthema unter ihre Fittiche zu bekommen. Die Fraktion der Mobilfunkkritiker schöpfte Hoffnung.

Und in der Tat, es ging nun voran: Die Stadtverordneten beauftragten den Ersten Stadtrat, eine Senderstandortplanung in die Wege zu leiten. Grüner Stadtrat und Initiativler steckten ab nun die Köpfe zusammen. Die Öffentlichkeitsarbeit der Mobilfunkkritiker dagegen geriet nun zum Rinnsal. Ruhe bewahren. Nur jetzt keinen Fehler mehr machen. Dem Ziel so nahe. Und der Wunschkandidat der Initiative, die Planungsfirma Enorm, bekam schließlich den Planungsauftrag: ohne Ausschreibung, ohne Wettbewerb. Das Ziel war erreicht. Bruchköbel würde endlich seine Senderstandortplanung bekommen. Ausdrücklich „unabhängig“, also natürlich ohne Beteiligung irgendwelcher Mobilfunkfirmen, den Verursachern der „Zwangsbestrahlung“.

Wahrhaftigkeit und Taktik

Eine Magistrats- und Pressemeldung vom Juni 2006, nach der die Telekom einen kleinen Sendemast am Rande der Kernstadt in eine vollwertige Station mit 30-Meter-Mast aufzurüsten gedenke, wurde von den Aktivisten ignoriert. Ein Verhalten, das untypisch erschien. Denn zu früheren Zeiten hätte die Ankündigung vom nahenden Sendeturm zu Neuer Funkmast an der Philipp-Reis-Strasse nahe dem Stadtzentrum von Bruchköbeldeutlich vernehmbaren Protesten geführt, zu Aktionen und allerlei Forderungen. Stattdessen diesmal: ungewohnte Stille. Offensichtlich wollte man eine lautstarke Diskussion um diesen neuen Sendemasten vermeiden. Die Auseinandersetzung wäre zur Unzeit gekommen, denn es hätte sich eine Grundsatzdiskussion um die Sinnhaftigkeit der gesamten Standortplanung entwickeln können. Die Deutsche Telekom hätte sich wohl kaum in eine „unabhängige Senderstandortplanung“ einzwingen lassen, die nach den Maßgaben örtlicher Mobilfunkkritiker durchgeführt wird. Und eine Verhinderungsklage gegen die Firma mit dem großen T, das war im Magistrat schon früh klar geworden, wäre erfolglos verlaufen. Magistrat und Initiative, nunmehr nach Jahren der Distanz am Beratungstisch in Klausur, dürften in dieser Zeit eine Art Stillhalteabkommen geschlossen haben: erstmal Ruhe um das heikle Thema.

Dem Planer von Enorm wurde das Vorhaben der Telekom denn auch gar nicht erst mitgeteilt. Man beließ ihn ahnungslos. Die Planung, die er im Frühjahr 2007 vorlegte, berücksichtigte folglich den bald zu erwartenden Funkmast in keiner Weise, sondern bloß den vorher dort betriebenen, wesentlich kleineren Sender auf dem Flachdach eines Firmengebäudes. Die veränderte Immissionslage, wie sie durch einen neuen, direkt nebenan geplanten und wesentlich höheren Funkturm zu erwarten war – sie fand in dem Gutachten schlicht nicht statt. Man kann auch sagen: Das Gutachten war bereits zum Zeitpunkt seines Erscheinens für das südliche Stadtgebiet veraltet.

Der Funkturm in der Philipp-Reis-Straße aus anderer PerspektiveUnd als im Dezember 2007 der neue Telekom-Funkmast „Philipp-Reis-Straße“ nahe am Stadtzentrum tatsächlich errichtet wurde, beeilten sich die Mobilfunk-Aktivisten, schriftlich mitzuteilen, dass man von „den Aktivitäten in der Philipp-Reis-Straße“ erst erfahren habe „als der etwa 30 Meter hohe Mast errichtet war“. Das Geflunkere schmückte man in einem Flugblatt an die Stadtverordneten mit Vorwürfen gegen Berichterstattung und Politiker aus. Man hatte wohl gehofft, dass die Errichtung des neuen Sendemasten erst nach März 2008 erfolgen würde, also nach der parlamentarischen Inkraftsetzung der neuen Standortplanung. „Die Telekom hält sich nicht an das Standortkonzept!“, hätte es dann empört heißen können. Kampfesstimmung wie in alten Tagen wäre wieder aufgekommen. Und die Kritiker hätten von der Stadt rechtliche Schritte einfordern, Schuldige anprangern können.

Doch dies sind, zugegeben, Spekulationen. Die unbedingte Liebe der Mobilfunkkritiker zur Wahrheit und Aufrichtigkeit aber – einst wie Schild und Schwert gegen den „betreiberseitig“ ausgerichteten Magistrat und auch gegen niemand geringeren als die „Kirche ohne Moral“ vor sich her getragen – sie war einem bloß taktisch geprägten Verhältnis zur Wahrhaftigkeit gewichen. Aus den sich aufrichtig gebenden Kämpen waren nüchtern kalkulierende Politiker geworden.

Der rehabilitierte Kirchturm

“Die beiden einzigen im Stadtgebiet verbleibenden Sendestandorte (für GSM) in der Jakobuskirche und in der Phillipp-Reis-Straße wurden danach aus der beschlossenen Liste gewünschter Standorte gestrichen. Dies ergaben die Beratungen im zuständigen Ausschuss für Bau, Umwelt und Verkehr in dem das Planungsbüro Enorm die Ergebnisse seiner Messungen und Berechnungen vortrug. Auf Nachfragen von Ausschussmitgliedern bestätigte das Planungsbüro Enorm, dass eine ausreichende Versorgung für den heute üblichen GSM-Mobilfunk auch ohne den Kirchturm-Standort erreicht wird. Ausschließlich zur Nutzung für das erst in den Anfängen stehende UMTS, das größere Datenmengen ans Handy übertragen kann, wurden zusätzlich zwei Standorte im Wohnbereich nämlich auf dem Hochhaus Innerer Ring und auf dem Löschturm der Feuerwehr Bruchköbel auf die Liste aufgenommen, um auch diese heute noch nicht bestehende UMTS Versorgung in Zukunft gewährleisten zu können.“ (Pressemitteilung der Bruchköbeler „Grünen“ vom März 2008).

Im Frühjahr 2007 wurden erste Details der bis heute unter Verschluss gehaltenen, neuen Standortplanung bekannt. Es bot sich Überraschendes: Die vom Gutachter vorgenommenen Messungen im ganzen Stadtgebiet hatten sich entweder nur marginal über, in den allermeisten Fällen aber unter dem angestrebten „Salzburger Grenzwert“, der Zielmarke für das Gutachten, herausgestellt. Kein „Hot Spot“ hatte sich aufgetan. Selbst der Sportplatz wies mit Werten um 2 mW/m² eine sehr niedrige Belastung auf.

Und zu aller Überraschung stufte das Gutachten sogar den Standort Jakobuskirche, das angeprangerte Objekt der hart kritisierten „Kirche ohne Moral“, als denjenigen mit der geringsten Umgebungsbelastung ein. Als potentiell geeigneter Standort erschien er sogar, der Kirchturm. Wer hätte das gedacht, nach all der jahrelangen Aufregung, dem Prozess vor dem BGH, den angeblichen Kirchenaustritten.

Der Jubel um das Gutachten wollte sich folglich bei den Mobilfunkkritikern nicht recht einstellen. Stellte es doch für die ganze Stadt eine Situation mit sehr niedriger Belastung fest. Das hatte man wohl nicht erwartet. Die Jahr um Jahr vorgetragenen Alarmrufe über gefährliche Strahlenverhältnisse, sie verblassten plötzlich vor den Fakten zu Erfindungen und Dramatisierungen.

Das Gutachten schlug alsdann rund zwanzig, darunter etwa zehn priorisierte Standorte vor, die zumeist im Außenbereich der Stadt anzusiedeln seien. Drei ältere Standorte in Außenbereichen wurden in die Planung integriert.

Wo das Gutachten technisch begründet Innenbereichsstandorte empfahl, wurde politisch eingegriffen. So stimmten die Bruchköbeler Parlamentarier den gutachterlich ausdrücklich als für die „engere Auswahl“ bescheinigten, jahrelang heiß bekämpften Kirchenstandort hinweg – was als Konzession an die Mobilfunkinitiative gelten kann, der auf diese Weise eine Blamage erspart wurde.

Die Funkfeldbelastung, die von den Mobilfunkantennen im Glockentum ausgeht, ist laut einem Gutachten nur sehr gering.  Der Bestand des Mobilfunksenders im Turm ist vertraglich bis 2018 gesichertUnd auch der vorgesehene 1800-MHz-Standort auf einem Hochhaus im Zentrum der Stadt wurde aus der parlamentarischen Liste erlaubter Senderstandorte eliminiert. Nur UMTS habe dort hinauf zu kommen, befanden die Politiker. Auf diese Weise „bereinigte“ die Politik das technische Gutachten um unliebsame Standortvorschläge. Das war im Sinne der örtlichen Aktivisten. Innerhalb des Stadtgebietes blieben am Ende nur noch zwei UMTS-Plätze übrig, von denen man wohl insgeheim hoffte, sie niemals zu benötigen.

Die gutachterliche Planungssystematik aufgrund politischer Wunschvorstellungen zu durchbrechen, dies konnte eigentlich nicht im Sinne des Planungsingenieurs von Enorm sein. Der Mann aber wehrte sich in der entscheidenden Ausschusssitzung nicht ernsthaft gegen die politische Kastration seines technisch ausgeloteten Werkes. Man kann sogar der Meinung sein, dass er am Ende sein Gutachten, seine technisch-sachliche Argumentation mithin, entsprechend der politischen Wunschvorstellung „nachgebessert“ hat. Aus dem Text verschwand nämlich das ursprüngliche, technisch begründete Prädikat „in die engere Auswahl“ für den Kirchturmstandort – die Planungsversion, die die Stadt seither auf ihrer Homepage vorführt, ist im Grunde eine „Version 2“.

Das neue Leben in „mobilfunksenderfreien Wohngebieten“ – mehr Strahlung als zuvor?

Thesen

Die Homepage der Stadt Bruchköbel liefert Auszüge und ein Übersichtsbild der neuen Senderstandortplanung. Das vollständige Gutachten darf mit Rücksicht auf darin erwähnte Daten einzelner Mobilfunkbetreiber nicht veröffentlicht werden.

Das neue Bruchköbeler Standortkonzept für Mobilfunksender wurde im März 2008 verabschiedet. Doch niemand kann behaupten oder gar beweisen, dass sich die Belastung in Bruchköbel deswegen zum Besseren verändern wird.

Denn: Bei der Erstellung der Senderstandortplanung ist ein wichtiger Aspekt nicht kritisch in Betracht gezogen worden: die Auswirkung des Abstandes Sender/Handy auf das Sendeverhalten des Mobiltelefons.

Die unangenehme Wahrheit für die Anhänger „mobilfunksenderfreier Wohngebiete“: Weit entfernt aufgestellte Sendemasten veranlassen Handys dazu, deren Sendeleistung deutlich nach oben zu regeln. Die Funkstrahlung, die das Handy direkt auf den Kopf emittiert, steigt nicht selten um das 20-fache und mehr an, auch bis auf den Maximalwert, wenn Sendemasten weit entfernt von den Orten aufgestellt werden, wo Handys in Gebrauch sind.

Die Handys erhöhen dann in aller Regel ihre Sendeleistung, damit das Funksignal die große Distanz zum Funkturm noch überbrücken kann.

Die Strahlung der Handys erzeugt – direkt am Kopf, in Nähe von Gehirn und Gehörsinneszellen – binnen weniger Gebrauchsstunden so viel Belastung (Eintrag elektrischer Energie in den Kopf), wie man sie durch einen Sendemasten erst nach vielen Jahren erfährt. Das neue Bruchköbeler Senderstandortkonzept, mit seinen im Mobilfunk-Sendemasten möglichst weit weg zu verschieben ist eine Milchmädchen rechnung, denn mit größer werdendem Abstand fällt zwar die Belastung  durch die Masten, die erheblich stärkere Belastung durch Handys aber steigt rapide an. Bildquelle:  Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit (siehe Link im Kasten unten)Außenbereich aufgestellten Sendemasten, dürfte den Bürgern unter dem Strich also aller Voraussicht nach nicht weniger, sondern sogar mehr individuelle Strahlenbelastung bescheren als vor seiner Verwirklichung.

Messungen in typischen Wohnorten wie auch unter Laborbedingungen legen nahe, dass dieser Zustand für Bruchköbeler Handynutzer zum Dauerzustand werden könnte, würde das neue Standortkonzept wie beschlossen umgesetzt.

Bruchköbeler Mobilfunkaktivisten aber stellten sich bislang gegenüber dem Risiko taub, das durch Sendemasten im Außenbereich verursacht wird. Sie haben von der Argumentation „steigender Sendemastenabstand = steigende Handystrahlung am Ohr“ nichts hören, nichts sehen, nichts wissen wollen. Noch am 4. Oktober 2008 wusste deren jahrelanger Vordenker und Pressesprecher im Lokalblatt „Hanauer Anzeiger“ zu verkünden, dass „die einseitige Betrachtungsweise der Strahlenbelastung von Handynutzern als irrelevant zu bezeichnen“ sei. Diese Aussage entspringt mindestens einer grundlegenden Unkenntnis elementarer Mobilfunktechnik – was bei dem Sprecher einer mobilfunkkritischen Initiative so nicht unbedingt zu erwarten war.

Es stellt sich die Frage, warum eigentlich die Stadt Bruchköbel dieses Konzept ihren Bürgern antun soll.

Denn: Nach all den Jahren des Mobilfunkstreits hat sich noch immer kein wissenschaftlich haltbarer Nachweis dafür eingestellt, dass Sendemasten gesundheitlich schädigend wirken. Das darf man getrost als Faktum nehmen. In Bruchköbel werden Mobilfunkkritiker allerdings böse, wenn dies laut gesagt wird. Man rührt mit solcherart Aussagen an Glaubenssätze.

Denn: Die Behauptung vom zu befürchtenden Sender-„Wildwuchs“ in Bruchköbel war völlig übertrieben und ist inzwischen veraltet. Der Ausbau der wesentlichen Netze ist nahezu abgeschlossen. Spätestens zum Zeitpunkt der Erstellung der Bruchköbeler Standortplanung war die Befürchtung, es stehe ein „Wildwuchs“ bei den Antennen bevor, nicht mehr realistisch. Und es ist ja auch zuvor, im Verlauf der letzten zehn Jahre, kein „Wildwuchs“ im Bruchköbeler Stadtgebiet aufgetreten. Dieses Argument diente vorrangig dem Erzeugen von Emotionen und Unsicherheit bei den Bürgern.

In einer aktuellen Broschüre des bayerischen Umweltministeriums wird das Problem der steigenden Handystrahlung schonungslos beschrieben und zu Bedenken gegeben. Dort heisst es: „Bei der Standortsuche sollte immer beachtet werden, dass man für eine Minimierung der Strahlung das Gesamtsystem Handy und Mobilfunksender betrachten muss: Je schlechter der Empfang, desto höher die Strahlenbelastung für den Nutzer durch sein Handy."

Auswirkungen verschiedener Abstandsszenarien auf die Strahlungsleistung des Mobiltelefons kann man der Grafik auf Seite 9 entnehmen.

Denn
: Die neue „Standortplanung“ ist juristisch nicht wasserdicht. Mobilfunkbetreibern, die in Zukunft partout auf einem innerstädtischen Standort bestehen wollen, hat man mit den rein politisch motivierten Streichungen der innerstädtischen Standorte (Hochhaus Innerer Ring und Jakobuskirche), denen der Gutachter nur pflichtschuldigst zustimmte, geradezu ein Geschenk gemacht. Standortsucher könnten im Streitfall die technische Konsistenz der Planung anzweifeln. Sie könnten sogar geltend machen, dass ihnen mit der eigenmächtigen Standortzuweisung, die geeignete Standorte bewusst ausschließt, eine Verhinderungsplanung aufgezwungen werde. Zudem liegt dem Standortkonzept auch keine ausdrücklich begründete städtebauliche Absicht zugrunde, welche jedoch als Voraussetzung für eine rechtsgültige Bauleitplanung sinnvoll wäre. Dieser Umstand könnte sich im Falle einer Auseinandersetzung mit Betreibern ebenfalls als rechtliches Einfallstor erweisen. Damit besteht für die Stadtverwaltung ein latentes juristisches Risiko.

Denn: Gegenüber Sendeanlagen mit „älteren Rechten“ und den beteiligten Vertragsinhabern wird ein widersprüchliches Signal gesetzt. Eine rechtlich einwandfrei installierte Anlage wird nunmehr mit einer offiziellen Standortplanung stigmatisiert, die willkürlich bestehende Standorte ausgrenzt. Die Jakobuskirche im Ortszentrum steht jetzt mit einem Senderstandort da, den die Stadt zwar amtlicherseits ablehnt, dem aber andererseits ein von der Stadt bezahltes Fachgutachten die Eignung bescheinigt hat. Darüber hinaus hatte bereits im Jahr 2004 ein unabhängiges Gericht dem Kirchturmsender die Existenzberechtigung zugestanden. Für ein Fortbestehen des Standortes in der Kirche kann man sich also nicht nur auf einen Gerichtsentscheid, sondern auch auf das Gutachten berufen. Ohne Not wurde durch die amtliche Ausgrenzung des Kirchenstandortes aus der Standortliste ein langjähriger Konfliktstoff sanktioniert, der doch eigentlich zuvor schon durch Fachgutachten und Gerichtsentscheid nachhaltig entschärft worden war.

Denn: Ein irgend geartetes Mehr an „Prävention“ und „Mobilfunk mit Sicherheit“ ist auch bei Festschreibung im regionalen Flächennutzungsplan nicht zu erwarten. Auf der Seite der magistratsbeteiligten Grünen erhoffte man zuletzt, die Senderstandorte verbindlich im regionalen Flächennutzungsplan für den Frankfurter Ballungsraum unterzubringen – gelänge dies, wäre es zwar ein Coup, aber kein gelungener. Denn dies würde die oben beschriebenen Bedenken zu Sendeverhalten und Strahlenbelastung durch Handys erst recht ignorieren, die misslichen und fragwürdigen Verhältnisse ganz und gar zementieren.

Und: Die Bürgerbeteiligung beim Zustandekommen der neuen Planung war ungenügend. Neue Konflikte waren damit von vornherein programmiert. Die postulierte „Bürgerbeteiligung“ war in der Findungsphase durch nahezu geheime Besprechungen zwischen Magistrat und Vertretern des Vereins der Mobilfunkaktivisten ersetzt worden. Eine öffentliche Diskussion über die Qualität des Auftragserbringers und mögliche Alternativen etwa, gar eine Ausschreibung der gewünschten Leistungen, hat nicht stattgefunden. Hinzu kommt, dass die neuen Bruchköbeler Standorte bei der Bevölkerung keineswegs auf ungeteilte Akzeptanz stoßen. Gegen bislang drei Standorte, die das einseitige Konzept vorschlägt, regt sich Widerstand. Das fest eingeplante einzige Hochhaus als Standort im Stadtkern ist vakant, der Planer vergaß wohl im Planungseifer die erforderliche beteiligende Information und Ansprache der Eigentümergemeinschaft. Auch der Standort auf einem Feuerwehrturm in Wohngebietsnähe wird von Anwohnern abgelehnt. Und ein erster, im freien Feld avisierter Außenstandort stößt ebenfalls auf Ablehnung – durch einen dort in der Nähe angesiedelten Gehöfte-Komplex: Auch in den Außenbereichen gibt es Wohngebiete, die mobilfunksenderfrei bleiben wollen. Die Botschaften der örtlichen Mobilfunkkritiker, sie wirken fort.

Der Senderstandort am Sportplatz übrigens, der zu Beginn des Jahrtausends erste weithin sichtbar gewordene Botschafter der neuen Kommunikationswelt, er soll zum Ende 2009 endlich außer Betrieb gehen. Die Stadt will den Vertrag nicht mehr verlängern. Der Sender im Turm der Jakobuskirche indes ist bis 2018 vertraglich "fest". Was die Kirche danach draus macht, weiß noch keiner genau.


© Mai 2009. Texte und Bilder auf dieser Seite sind urheberrechtlich geschützt, Weiterverwertung nur mit schriftlicher Zustimmung des Autors (Jürgen Dick) und des IZgMF.

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