Eine Gratwanderung zwischen Kommerz und Pietät durchleben die Verantwortlichen in Pfarreien, sobald sich ihnen die Frage stellt, ob sie Kirchtürme als Standorte für Mobilfunksender hergeben sollen oder nicht. Solange keine anders Lautende Anweisung von oben vorliegt, kann jeder Pfarrer und Pastor frei entscheiden. Und das ist gut so. Denn mit einem pauschalen Verbot von Mobilfunksendern in Kirchtürmen kann schon mal der weit und breit gesundheitsverträglichste Standort verloren gehen. Zu Lasten der Anwohner ungünstig gelegener Alternativstandorte.
Mitte Februar 2005 ging die Meldung «Diözese Linz verbietet Handymasten in Kirchen» durch viele Newsletter der Mobilfunkszene (Quelle: OÖNachrichten). Die Meldung besagt, dass die Diözese Linz in ihrem Einflussbereich künftig keine Mobilfunksender in Kirchtürmen und anderen Sakralbauten mehr zulassen will. Kirchen hätten eine Symbolfunktion, ihre gewerbliche Nutzung beeinträchtige den sakralen Charakter. Ehe die Linzer Kirchenleitung umdachte, hatten bereits mehr als 50 Pfarreien der finanziellen Versuchung nicht widerstehen können, und der Errichtung von Mobilfunksendern in ihren Kirchen zugestimmt. Bevor auch bei diesen Pfarreien die neue Regelung greift, muss der Ablauf der auf mindestens 10 Jahre abgeschlossenen Verträge abgewartet werden. Betroffen von der Direktive der Diözese sind allein Sakralbauten, andere Kirchenimmobilien sind vom Verbot ausgenommen.
Weil profilüberragend, sind Kirchtürme vorzügliche Standorte
Auf den ersten Blick ist die Linzer Entscheidung ein Sieg für die Mobilfunkgegner. Und vielen dürfte es bei dem Gedanken, dass den mächtigen Mobilfunkern mal wieder einer kühn die Stirn zeigt, so richtig warm ums Herz werden. Schon auf dem zweiten Blick aber stellt sich die Frage, ob die Diözese ihren Schäfchen nicht eher einen Bärendienst erwiesen hat. Denn – da beißt selbst eine Kirchenmaus keinen Faden ab – Kirchtürme sind in den allermeisten Fällen vorzügliche Standorte für Mobilfunksender. Begründen lässt sich dies damit, dass Kirchtürme in aller Regel profilüberragend hoch sind. In Dörfern sind Kirchtürme nahezu ausnahmslos das weitaus höchste Bauwerk und selbst in Städten ragen sie noch oft hoch aus dem Häusermeer heraus. Und da bekanntlich die Leistungsflussdichte elektromagnetischer Funkfelder mit zunehmendem Abstand zur Antenne quadratisch abnimmt, ist jeder Meter Raumgewinn für unmittelbare Anwohner eines potenziellen Senderstandorts sehr zu begrüßen. Der quadratische Zusammenhang bedeutet, dass bei einer Verdopplung des Abstands zur Antenne die Leistungsflussdichte nicht etwa auf nur 1/2 des ursprünglichen Wertes schrumpft, sondern auf 1/4. Dass dies so ist leuchtet ein, denn die Leistungsflussdichte (S) ist das Produkt aus elektrischer Feldstärke (E) und magnetischer Feldstärke (H), deren beider Intensität nur umgekehrt proportional mit dem Abstand zur Antenne abnimmt:
S [W/m²] = E [V/m] x H [A/m]
Umgekehrt proportional bedeutet, dass bei doppeltem Abstand E und H jeweils auf halbe Werte fallen (1/2) woraus sich für S dann die Reduzierung auf 1/2 x 1/2 = 1/4 ergibt. Bei 10fachem Abstand fallen E und H jeweils auf 1/10 des Bezugswerts und S erreicht nur noch 1/10 x 1/10 = 1/100.
Niedrigere Alternativstandorte belasten ihre Umgebung stärker
Der kleine Abstecher in die Physik elektromagnetischer Felder will nur deutlich machen, dass ein möglichst großer Abstand zu einer Sendeantenne für Betroffene grundsätzlich besser ist als ein kleiner Abstand. Bei ungehinderter Wellenausbreitung in freier Luft ist diese Faustformel immer richtig. Und in den allermeisten Fällen trifft sie auch dann noch zu, wenn Brechung, Beugung und Reflexion der elektromagnetischen Wellen an Gebäuden zu einem mehr oder weniger chaotischen Wellensalat führen. Ausführliche Informationen über gemessene Immissionsverteilungen im Umkreis von Mobilfunk-Basisstationen gibt ein Zwischenbericht (PDF, 2,28 MByte) der IMST GmbH, Kamp-Lintfort, den die Firma im Auftrag des Bundesamts für Strahlenschutz angefertigt hat.
Scheidet ein Kirchturm als Standort aus, akquirieren Mobilfunkbetreiber in aller Regel in einem Umkreis von vielleicht 500 Metern einen Ersatzstandort. Und der fällt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf ein Haus, das weder den vorteilhaft großen Höhenunterschied eines Kirchturms bietet noch eine horizontale Schutzzone in Gestalt eines Kirchplatzes oder eines Kirchenfriedhofs aufweisen kann. Der dort errichtete Sendemast dürfte die nächstgelegenen Anwohner um ein Mehrfaches stärker belasten im Vergleich zu den Antennen oben im Glockenturm. Im schlimmsten Fall landet im Raum Linz ein Sendemast sogar auf einer nichtsakralen Kirchenimmobilie mit massiver Einstrahlung in einen Kindergarten, ein Krankenhaus oder ein Seniorenheim.
Und wie steht es um die Vorbildfunktion der Kirche? Ist es tatsächlich so, dass ihre Verweigerung gegenüber Mobilfunksendern in Kirchtürmen nennenswert auf andere abfärbt, und Betreiber deshalb generell damit zu kämpfen haben auch anderswo Standorte zu bekommen? Wir meinen, dass dies eher ein frommer Wunsch ist, der in einer modernen an vielen Stellen multikulturellen Gesellschaft keineswegs zutreffen muss. Dem ungewissen Glücksspiel mit der vagen Hoffnung auf den Mitzieheffekt steht die klare Perspektive gegenüber, dass Antennen im Turm das mit Abstand kleinere Übel sind – im Vergleich zu einer der üblichen Hausdachmontagen.
Statt Pauschalverbot besser situationsbezogene Entscheidung
Aus Sicht des IZgMF löst das Pauschalverbot der Diözese Linz nicht das Problem gesundheitsgefährdender Mobilfunkstrahlung, vielmehr erlöst es die Verantwortlichen von unsäglich schwieriger Aufklärungsarbeit und den Mühen der individuellen Entscheidungsfindung. Die Zeche dafür bezahlen alle unmittelbar betroffenen Anwohner von Alternativstandorten, etwas, was mit dem Gebot der Nächstenliebe nicht unbedingt in Einklang zu bringen ist. Besser wäre es, Kirchtürme den Betreibern grundsätzlich als Standort zur Verfügung zu stellen. Freilich immer unter dem Aspekt, dass dieser Standort dann auch tatsächlich der weit und breit gesundheitsverträglichste ist. Sollte es an dieser herausragenden Position eines Kirchturms auch nur die kleinsten begründeten Zweifel geben, könnte zur neutralen Entscheidungsfindung eine glaubwürdige und fachmännisch erstellte Immissionsprognose herangezogen werden. Und selbstverständlich müsste man das betroffene Kirchenvolk frühzeitig und schonungslos offen über die Vorgänge informieren. Auf die dann unter Garantie kommende Frage, was die Pfarrei denn mit dem «Judaslohn» machen wolle, den sie vom vertragspartnerlichen Betreiber bekommt, wüsste das IZgMF eine entwaffnende Antwort: Wäre es nicht zum Vorteil aller, wenn die Kirchen mit diesem Geld die unabhängige Mobilfunk-Forschung unterstützen würde? Derart zweckgebundene Einnahmen aus der Vermietung von Kirchtürmen sollten sich einer Gemeinde ohne allzu große Mühe plausibel machen lassen (22.02.05-ll).
Unser Standpunkt, Kirchtürme den Betreibern nicht grundsätzlich vorzuenthalten, sondern immer dann zur Verfügung zu stellen, wenn dadurch für die Bevölkerung ungünstiger gelegene Alternativstandorte vermieden werden, stieß stellenweise auf helle Empörung. Wir haben jedem, der sich mit Einwänden an uns wandte, angeboten, seinen Standpunkt in einer Gegendarstellung darzulegen, damit sich die Besucher unserer Website anhand der Pro- und Kontra-Argumentationen eine eigene Meinung bilden können. Die eingegangenen Gegendarstellungen geben wir nachfolgend im Wortlaut, ungekürzt und in der Reihenfolge ihres Eintreffens wieder. Zusätzlich haben wir das IZgMF-Forum entsperrt: Bis zum 18. März 2005 kann dort jeder ohne Registrierung seine Meinung darüber äußern, ob es sinnvoll ist, Standorte wie Kirchen oder andere öffentliche Gebäude den Betreibern ausnahmslos vorzuenthalten. Ihre Meinung können und möchten wir Ihnen nicht vorschreiben, aber bitte bleiben Sie sachlich.
Dr. Claus Scheingraber
1. Vorstand des Arbeitskreis Elektro-Biologie e.V.
03.03.2005
In Kirchtürmen sind Mobilfunk-Antennen oft am besten aufgehoben
Sehr geehrte Frau Schall,
sehr geehrter Herr Schall!
Sie haben mit ihrem Artikel eine unsinnige Diskussion über den vermeintlichen Nutzen von Mobilfunkanlagen in Kirchtürmen ausgelöst. Ich, für meine Person könnte die Zeit für diese Erwiderung weit besser nutzen als Ihnen begreiflich zu machen, warum ihr Artikel Wasser für die Mühlen der Betreiber ist.
Selbst, wenn in einem Einzelfall – und das haben nur die Bürger dieser Kommune zu entscheiden – tatsächlich eine Kirche der günstigste Standort ist, verbietet sich eine Verallgemeinerung weil:
Wie Sie sehen, gibt es mindestens 3 gute Gründe Kirchen nicht als Standorte für Mobilfunkstationen zu nützen. Sie haben in ihrem Artikel „In Kirchtürmen sind Mobilfunk-Antennen oft am besten aufgehoben“ etwas angedacht aber leider nicht zu Ende gedacht.
Mit freundlichen Grüßen
Claus Scheingraber
Dr. Claus Scheingraber - Arbeitskreis Elektro-Biologie e.V.
Taubenstr. 14
85649 Brunnthal
Tel: 08102-4420 ab 19 Uhr, tags: 089-9038020
Fax: 089-9045369
Mail: Claus.Scheingraber@t-online.de
Die Meinung, Kirchtürme seien „in den allermeisten Fällen vorzügliche Standorte“ teile ich nicht. In dieser uneingeschränkten Form war sie vom Autor des Artikels wohl auch nicht gemeint. Denn weiter unten schreibt er, dass er sich nur auf den Vergleich von Mobilfunkantennen auf Kirchtürmen mit Antennen auf Dächern nahegelegener Häuser bezieht.
Aber auch mit dieser Einschränkung ist die Behauptung nicht ganz richtig. In vielen Fällen dient nämlich eine Antenne auf einem Kirchturm dazu, ein weit größeres Gebiet mit Mobilfunk zu „versorgen“ als eine Antenne auf dem Dach eines nahegelegenen Hauses es könnte. Das bedeutet, dass vom Kirchturm herab mit einer größeren Leistung gesendet wird. Deshalb kann es durchaus sein, dass trotz des größeren Abstands die Strahlenbelastung der Anwohner von einem Kirchturm herab höher ist als bei einer Antenne auf einem Hausdach.
Für mich ist ein anderer Gedanke wichtiger: Ist denn wirklich die Alternative die, eine Mobilfunkanlage entweder auf einen Kirchturm oder auf ein nahegelegenes Hausdach zu setzen? Für kleinere Orte hat die ödp das Konzept der „Ortsgestaltungssatzung“ entwickelt, das es Gemeinden ermöglicht, Mobilfunkantennen ganz aus ihrem Gebiet zu verbannen. Voraussetzung dafür ist, dass sie brauchbare Alternativ-Standorte anbietet. Diese können so optimiert werden, dass die Strahlenbelastung der Anwohner gering bleibt. Für größere Orte gibt es die Möglichkeit einer „Bauleitplanung“ (Gräfelfinger Modell). Zur Zeit ist zwar noch keine dieser Planungen rechtskräftig. Trotzdem kann man damit versuchen, die Belastung der Anwohner ganz erheblich zu senken. Gegenwärtig laufen Planungen, auf diese Weise die Intensität der Strahlen auf ein Hunderttausendstel bis ein Millionstel des Grenzwerts (für UMTS) abzusenken. Das ist ein gewaltiger Fortschritt gegenüber der jetzigen Situation, auch wenn man sich damit auf Dauer nicht zufrieden geben darf. Von der Technik her ist noch mehr möglich.
Prof. Dr. Klaus Buchner
Bundesvorsitzender der ödp
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