Motion 16.3007: Schlussbemerkungen und Ausblick (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 11.12.2016, 13:56 (vor 2924 Tagen) @ H. Lamarr

Ist die Lockerung der Schweizerischen Anlagewerte mit dem Scheitern der Motion 16.3007 vom Tisch? Nein, keineswegs! Dies und mehr habe ich in einigen Schlussbemerkungen zum Ableben der bewegenden Motion am 8. Dezember im Ständerat zusammengetragen.

Faire Medien
Aus meiner Sicht haben sich die großen Medien im Vorfeld der Abstimmung im Ständerat ausgesprochen fair verhalten. Eine Berichterstattung war ungewöhnlich selten, wenn überhaupt, wurde wie bei der NZZ ausgewogen berichtet ohne Meinungsmache. Anlässlich der Abstimmung im Nationalrat (Juni 2016) habe ich dies noch ganz anders in Erinnerung.

Grenzen des Parlamentarismus
Mehrere der elf Redner im Ständerat machten deutlich, dass der Parlamentarismus bei der demokratischen Abstimmung über komplexe technische Sachthemen an seine Grenzen kommt, die Abgeordneten mit einer sachgerechten Entscheidungsfindung überfordert waren. Das ist auch nur zu verständlich wenn man sich ansieht, über welche thematisch völlig unterschiedlichen Geschäfte die Ständeräte in kurzer Zeit abzustimmen hatten. Niemand ist in der Lage, sich bei so einer Themenvielefalt in jedes Thema bis zum Grund einzuarbeiten und Hintergründe zu erforschen. Das heißt: Die Entscheidung der Räte wurde nicht allein vom Hirn getroffen, auch der Bauch spielte eine große Rolle.

Druck auf die Ständeräte
Einige Redner erwähnten, dass sie mit Briefen und E-Mails in einer bis dahin nicht gekannten Weise bedrängt wurden. Keiner der Redner scheint sich jedoch im Klaren darüber zu sein, wie es dazu gekommen ist. Ich bin sicher, diese Kampagne war nicht unkoordinierter und damit ehrlicher Ausdruck des Bürgerwillens, sondern eine Inszenierung organisierter Mobilfunkgegner. Die Schweizerische Sekte AZK hat schon einmal gezeigt, dass sie Leute zu weitaus mehr mobilisieren kann als nur zur Feder zu greifen. Auch die Petition gegen die Lockerung der Anlagegrenzwerte halte ich begründet für manipuliert. Briefe, E-Mails und Petition sollten den Bauch der Ständeräte bedienen, dies gelang bei einigen offensichtlich erfolgreich, wenngleich andere Räte den massiven Versuch der Einflussnahme als "grenzwertig" sahen.

Desinformationskampagne
Die Entscheidung im Ständerat ist aus meiner Sicht das Ergebnis einer ziemlich schlichten aber doch wirksamen Desinformationskampagne, eingefädelt von einem Teil der organisierten Mobilfunkgegner. Dieser Teil ist an einem Misserfolg der Motion interessiert, denn dies bedeutet tausende zusätzliche Antennen in der Schweiz, was wiederum für die bekannten Angstbranchen in einer Geschäftsbelebung resultieren sollte. Der andere Teil der Gegner hielt sich mit Aktionen zurück und hoffte heimlich auf einen Erfolg der Motion, dieser Teil verspricht sich mehr Geschäftsbelebung von der Lockerung der Anlagewerte, ausgelöst durch dann stärker sendende Antennen.

Hinweise für die Desinformationskampagne habe ich, beweisen kann ich sie derzeit jedoch nicht. Doch es gibt Anzeichen, dass Desinformationskampagnen mit den Mitteln modernen Medien, die in Gestalt des Internets bis in die Wohnzimmer der Bevölkerung reichen, uns noch lange beschäftigen werden. Nicht wenige Skeptiker sehen vermeinliche Überraschungserfolge bei großen Abstimmungen wie dem "Brexit" oder der Wahl des neuen US-Präsidenten gar nicht so sehr als Überraschung, sondern als erfolgreiche Manipulation des Stimmvolkes durch gezielte Desinformation.

Wie es voraussichtlich weiter gehen wird
Mit der Ablehnung der Motion ist die Lockerung der Anlagegrenzwerte in der Schweiz keineswegs endgültig erledigt, wie dies der Verein Gigaherz glauben machen möchte. Erledigt ist lediglich die Motion 16.3007, mit der der Bundesrat (Regierung der Schweiz) sondierte, inwieweit die beiden Kammern des Parlaments zu dem Vorhaben der Lockerung stehen.

Das weitere Vorgehen klang schon in diversen Redebeiträgen der Ständeratdebatte an, in denen die Verordnungskompetenz des Bundesrates in der Grenzwertfrage mehrfach angesprochen wurde. Da ich das parlamentarische System der Schweiz nicht gut genug kenne, habe ich mir bei Christian Grasser, Geschäftsführer von Asut (Schweizerischer Verband der Telekommunikation) Rat geholt. Er sagt, in der Schweiz sei das Parlament für den Erlass von Gesetzen zuständig (oder, im Fall einer Volksabstimmung, das Stimmvolk). In Verordnungen konkretisiere der Bundesrat die Umsetzung der Gesetze. Solche Verordnungen, wie die Verordnung über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung, erlasse der Bundesrat abschliessend, sie werden weder dem Parlament noch dem Stimmvolk vorgelegt. Eine Rekursmöglichkeit gegen Verordnungen gebe es daher nicht. Im konkreten Einzelfall könne jedoch im Rahmen eines Beschwerde- oder Einspracheverfahrens eine Verordnung von den Gerichten überprüft werden. Die heute geltenden Anlagegrenzwerte seien bereits mehrmals vom Schweizerischen Bundesgericht beurteilt worden.

Und was heißt dies nun im Klartext? Dazu sagt Grasser, mit der Motion 16.3007 hätte das Parlament dem Bundesrat den bindenden Auftrag erteilen können, die Lockerung der Grenzwerte unmittelbar umzusetzen. Dies sei nicht geschehen. Doch grundsätzlich könne der Bundesrat eine Verordnung jederzeit revidieren, einen Auftrag aus dem Parlament braucht er dazu nicht.

Noch am Tag der Abstimmung im Ständerat (8. Dezember) hat Asut den Bundesrat in einer Medienmitteilung aufgefordert, von seiner Verordnungskompetenz Gebrauch zu machen und auf diese Weise schnellstmöglich die Lockerung der Anlagewerte in die Wege zu leiten. Die Reaktion des Bundesrates wird wahrscheinlich nicht lange auf sich warten lassen, zumal die kleine Kammer des Schweizerischen Parlaments den Auftrag an den Bundesrat nur um Haaresbreite verfehlt hat und die große Kammer bereits im Juni 2016 wenn auch nur knapp der Lockerung zustimmte.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –


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