Vom Wutbürger zum Aktivbürger (Allgemein)

Gast, Samstag, 26.11.2011, 14:15 (vor 4752 Tagen)

Was mir Sorge macht, ist die Tatsache, dass die Bürger nicht mehr bereit sind, rechtsstaatlich abgesicherte Verfahren zu akzeptieren. Das ist eine neue Dimension. Der Staat läuft Gefahr, den Egoismus zu befördern und das Gemeinwohl hinten anzustellen.“ Ist er von einer alternativen Anlage persönlich betroffen, „hat auch der grüne Wutbürger eine Zehn-Kilometer-Schutzzone“, beobachtet der Kabarettist Alfred Mittermeier treffend. In den Rathäusern hat man den Wutbürger bereits identifiziert: Dahinter verbergen sich die „Silbergrauen“ oder „Silverager“. Jenseits der 60, gut situiert, bestens informiert, hochintelligent und eloquent. Für diese „Silberrücken“, wie in der Zoologie erwachsene Gorillas heißen, ist nichts unmöglich. Sie stellen mit Mehrheit getroffene Entscheidungen, die sogar von Gerichten bestätigt wurden, wieder in Frage. Auch die Klage gegen die „Lärm-Emission“ eines Kindergartens kommt vor. Warum sie das tun? Sie haben im Leben alles erreicht, waren erfolgreich im Beruf, besitzen ein Häuschen und eine Familie. Dann breitet sich Langeweile aus, die Silbergrauen werden unzufrieden. Da ist eine Bürgerinitiative ein willkommenes Betätigungsfeld.

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Rentner, Mob, Wutbürger, Senioren, Silbergrauen, Betroffenheitsprinzip, Gemeinwohl, Kollektiv

Wutbürger, Geltungssucht, egoistische Belange

AnKa, Sonntag, 27.11.2011, 09:18 (vor 4752 Tagen) @ Gast

Was mir Sorge macht, ist die Tatsache, dass die Bürger nicht mehr bereit sind, rechtsstaatlich abgesicherte Verfahren zu akzeptieren. Das ist eine neue Dimension.

Diese Sorge kann man teilen. Aber sie muss niemanden davon abhalten, in die eigentlichen Qualitäten zu vertrauen, auf die es ankommt. Transparenz, klare Aus- und Ansagen - auch immer wieder der Verweis auf die Folgekosten wutbürgerlicher Querulierereien. Eine kommunale Verwaltung, die diese Tugenden konsequent pflegt, kommt mit Wutbürgern zurande, behaupte ich.

Für diese „Silberrücken“, wie in der Zoologie erwachsene Gorillas heißen, ist nichts unmöglich.

Dieser Vergleich stört mich etwas.

Alte Gorillas mit "Silberrücken" sind majestätisch wirkende Tiere. Bei den mir bekannten Wutbürgern assoziiere ich eher alternde Orang-Utans (obwohl mir klar ist, dass das den Orang-Utans, die auch schöne Tiere sind, Unrecht getan ist).

Konkret lernt man in der Begegnung mit "silberhaarigen" (oft haben sie übrigens auch Glatzen) Wutbürgern schnell, dass es sich in vielen Fällen um unbefriedigte und egoistische Menschen handelt. Legendär ist die in vielen Fällen vorherrschende Besserwisserei, die solche Leutchen pflegen. Ihr Altershobby, das wütende Wütbürgern, werden sie sich von niemandem nehmen lassen. Man muss sie dennoch sachlich isolieren, damit der Schaden, den sie anrichten, begrenzt bleibt.

Es geht nicht nur darum, dass sie Kosten verursachen. Diese Wutbürger vegiften oft jahrelang das Miteinander in kleinen Städten und Gemeinden. Das wirkt viel nachhaltiger und zerstörender, als die bloße Entscheidung für diesen oder gegen jenen Autotunnel, für diesen oder gegen jenen Sendemasten-Standort.

Aufgerufen wären eigentlich auch die Berichterstatter, Reporter und Journalisten vor Ort, die in den Lokalblättern schreiben. Diese sind nicht gut geschult für den Umgang mit wütenden Spinnern, die sich die Maske der Seriosität angelegt haben. Allzu willig wird Partei ergriffen für "Bürgerinitiativen". Es gibt in Deutschland einen bisweilen komisch anmutenden Vertrauensvorschuss für Bürgerinitiativen, so als seien diese schon alleine wegen ihrer bloßen Existenz zu den Guten zu zählen.

Oft ist es doch so: Man vereint sich im gemeinsamen Anliegen, sich die freie Aussicht nicht zustellen lassen zu wollen, z.B. durch eine Biogasanlage oder ein Windrad. Hat man sich gefunden, werden flugs die üblichen übergeordneten Argumente herbeigetragen: Man kämpft dann nicht mehr nur für die eigenen egoistischen Belange, sondern für die "Umwelt", das "Klima", den "Wald", das "gute soziale Miteinander" (seltener übrigens für die Belange der Jugend, oder für einen besseren Ausbau von Kindergärten und des Bildungswesens - bei diesen Themen sind die "Silberhaarigen" bestenfalls unter den Befürwortern verschärften Sparens aufzufinden). Die schon längst vorhandenen Schlüsselworte sind zugleich Schlüsselreize für Reporter und Lokalpolitiker, öffentlich einzuknicken und solchen Wutbürgern einen Raum zuzugestehen, der deren egoistischen Anliegen und der geschickt verschleierten persönlichen Geltungssucht mancher Protagonisten nicht angemessen ist.

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"Ich habe eiserne Prinzipien. Wenn sie Ihnen nicht gefallen, habe ich auch noch andere." (Groucho Marx)

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Egoismus, Sozialer Unfrieden, Wutbürgertum, Geltungssucht, Windrad, Silbergrauen, Hobby, Paradox, Paranonia

Wutbürger, Geltungssucht, egoistische Belange

Kuddel, Sonntag, 27.11.2011, 14:44 (vor 4751 Tagen) @ AnKa

Dass viele "Silberrücken" unter den Wutbürgern sind, liegt meines Erachtens daran, die Sie nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben plötzlich unausgelastet sind und sich vermeindlich "gemeinnützigen Zwecken" widmen, die der eigenen Ideologie entsprechen.
Hat man sich zeitlebens über die Kommunalpolitk aufgeregt, aber mangels Zeit nicht politisch engagieren können/wollen, so ist nach Eintreten des Ruhestands plötzlich Zeit vorhanden und man kann sich entsprechend "engagieren" (Rache üben).

Ich selbst habe einen Nachbarn, der Zeitlebens als Manager (Akademiker) "unter Dampf" stand. Nach der Verrentung fing er an, mit einem befreundeten Anwalt mit einem unglaublichen Zeitaufwand gegen alles in der Kommunalpolitik zu klagen, was ihm nicht passte. Sei es die Festsetzung der Müllgebühren oder die Regenwasser-Abgabeverordnung oder Errichtung einer Ampelanlage, die er als "Geldverschwendung" empfand.
Es ging oft nur um untere zweistellige Euro-Beträge pro Jahr, aber der Mann hat in seinem Engagement "dagegen" Energien freigesetzt, wo ein jeder Berufstätige nur mit dem Kopf geschüttelt hat. Das Tolle ist, er hat sich in fast allen Dingen (gerichtlich) durchgesetzt, wohl auch aufgrund seines professionellen Auftretens und seiner Rhetorik-Künste, so wie er es vom Berufsleben her als Manager immer gewohnt war.
"Politisch" wollte er sich aber nicht engagieren , obwohl es ihm mehrfach angeboten wurde. Er sagte mir einmal er fände es schrecklich, in stundelangen Sitzungen zu "labern" um dann "schlechte Kompromisse" einzugehen.

K

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Ideologie, Geltungssucht, Hobby, Verschwendung, Pensionäre

S21-Abstimmung: Wutbürger räumen Niederlage ein

H. Lamarr @, München, Sonntag, 27.11.2011, 20:23 (vor 4751 Tagen) @ Gast

Warum sie das tun? Sie haben im Leben alles erreicht, waren erfolgreich im Beruf, besitzen ein Häuschen und eine Familie. Dann breitet sich Langeweile aus, die Silbergrauen werden unzufrieden. Da ist eine Bürgerinitiative ein willkommenes Betätigungsfeld.

Noch wird ausgezählt, doch das Ergebnis scheint klar: Bislang überwiegt die Zustimmung zum umstrittenen Bahnhofs-Neubau Stuttgart 21 deutlich. Auch die mäßige Wahlbeteiligung spricht für eine Fortführung des Projekts. Die Befürworter von S21 jubeln bereits, die Gegner räumten ihre Niederlage ein.

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Kommentar: Erinnert irgendwie an die Grenzwert-Abstimmung in Liechtenstein, auch dort zogen die Wutbürger den Kürzeren.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

S21: Widerstand bis zum letzten Baum

H. Lamarr @, München, Montag, 28.11.2011, 22:10 (vor 4750 Tagen) @ H. Lamarr

... die Gegner räumten ihre Niederlage ein.[/i]

Aufgeben? Oder Neustart? Nach der Schlappe beim Volksentscheid zu S21 ringen die Demonstranten um einen Kurs. Der harte Kern gibt sich trotzig und träumt weiter vom Stopp des Projekts. Doch in der Politik fehlt jetzt der Partner - und in der Stadt wächst der Unmut über die letzten Verbohrten.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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Bild, Volksentscheid

Direkte Demokratie als Exportschlager?

hans, Dienstag, 29.11.2011, 23:47 (vor 4749 Tagen) @ H. Lamarr

Aus dem TagesAnzeiger von heute:

Direkte Demokratie als Exportschlager?

Gut möglich, dass die Volksabstimmung über den Stuttgarter Tiefbahnhof dereinst als Durchbruch für die direkte Demokratie in die deutsche Geschichte eingehen wird. Unsere badischen und schwäbischen Nachbarn haben der skeptischen deutschen Öffentlichkeit gezeigt, welches Potenzial in Volksentscheiden steckt. Erst mit der eigentlich viel zu spät durchgeführten Abstimmung zu Stuttgart 21 hat das Grossprojekt eine demokratische Grundlage erhalten, die auch den vehementesten Gegnern den Wind aus den Segeln nimmt. Wie wir aus unserer Erfahrung wissen, sind Abstimmungskämpfe zwar bisweilen giftig, der Schiedsspruch des Volks trägt jedoch weit mehr als jeder Regierungsentscheid zur Entschärfung gesellschaftlicher Kontroversen bei.

Eine Pille gegen den Protest

Der Entscheid zugunsten von Stuttgart 21 zeigt: Wer am lautesten protestiert und die imposantesten Demonstrationen veranstaltet, vertritt nicht unbedingt die Mehrheit der Bevölkerung. Manch bürgerlicher Politiker, der sich zuvor vehement gegen Volksentscheide stellte, hat wohl gemerkt, dass er mit Volksabstimmungen nach Schweizer Art besser fahren könnte als in einem System, in dem Bürgerproteste die einzige Manifestation des (vermeintlichen) Volkswillens sind.

Nachdem die Minarettabstimmung der Euphorie für die direkte Demokratie in unseren Nachbarländern einen Dämpfer versetzte, wird das Interesse für das Schweizer Modell zweifellos wieder steigen. Übersehen wird jedoch meist, dass die hiesige Direktdemokratie nicht für sich alleine steht. Die Referendumsdemokratie ist eng verknüpft mit der auf Zusammenarbeit ausgerichteten Regierungsform der Konkordanz.

Wer dem Volk eine derart starke Oppositionswaffe wie ein Gesetzesoder Finanzreferendum in die Hand gibt, tut gut daran, im Gegenzug die parlamentarische Opposition zu zähmen und einzubinden. Kalifornien zum Beispiel verbindet eine intensive Direktdemokratie mit einer verbissenen Parteienkonkurrenz. Und gilt heute faktisch als unregierbar.

Anders als die direkte Demokratie hat die Konkordanz ausserhalb der Schweiz jedoch keine begeisterte Anhängerschaft. Dabei ist dieses Regierungsmodell, das nur in der Aussenbetrachtung als kurioser Sonderfall wirkt, absolut zeitgemäss. In den von der Schulden- und Eurokrise geplagten Konkurrenzdemokratien Europas kann die Bevölkerung zwar die Regierung austauschen, die Baustellen und die von diesen Baustellen überforderte Politik bleiben jedoch stets dieselben. Der Verdruss über das unfruchtbare Parteiengezänk hat in Europa zu einer Sehnsucht nach parteifernen Technokraten geführt.

Eine Sehnsucht, die sich im überwältigenden Rückhalt der italienischen Bevölkerung für Mario Montis neu gebildete Regierung von Fachspezialisten spiegelt. Dabei ist heute schon klar, dass im auf Konkurrenz ausgelegten Politsystem Italiens die Schonfrist für Montis Regierung kurz sein wird.

In der Schweiz regieren zwar keine klassischen Technokraten, die Konkordanz hat jedoch eine vergleichbare Wirkung auf die Regierungsarbeit – und dies erst noch nachhaltig. Das Regieren mit Personen aus allen Lagern ist nur möglich, weil sich die Regierungsmitglieder mit ihrer Wahl in den Bundesrat über die parteipolitischen Grabenkämpfe stellen.

Quasi natürliche Technokraten

Der seit kurzem in Europa hochgelobte langweilige Stil der Technokraten zeichnet den Schweizer Bundesrat seit Jahrzehnten aus. Es ist denn auch kein Zufall, dass die deutsche Regierung selten so gut und harmonisch funktionierte wie in der Zeit der Grossen Koalition von 2005 bis 2009. Damals bestand so etwas wie eine Konkordanz auf Zeit.

Was für die direkte Demokratie gilt, gilt aber auch für die Konkordanz: Das eine geht letztlich nicht ohne das andere. Eine breite, überparteilich arbeitende Regierungsallianz kann auf Dauer ihre Stärken nur dann ausspielen, wenn dem Volk genügend starke Kontrollinstrumente in die Hand gegeben werden. Wer die Schweizer Demokratie zum Vorbild nimmt, tut deshalb gut daran, ihre beiden grossen Stärken – Direktdemokratie und Konkordanz – nicht auseinanderzudividieren. Wer das D-Wort sagt, muss auch das K-Wort sagen.

Viel Text und ein entscheidender Satz (rot markiert). Kommt mir irgendwie bekannt vor.

Tags:
Widerstandsnest, Volksentscheid, Basisdemokratie, Demonstrant

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