SZ: Strahlung als Metapher
In der gestrigen Süddeutschen Zeitung erschien auf der ersten Seite des Feuilletons ein Aufsatz von einem bisher völlig unbekannten Autor. Leider gibt es auch keine Erläuterung, um wen es sich dabei handelt.
Und leider ist dieser Beitrag in der Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung nicht zu finden, - Leserbriefe sollten dennoch nicht ausbleiben, wie ich meine. RH
Süddeutsche Zeitung vom 5.März 2004, Feuilleton, Seite 15 (print)
(c) Süddeutsche Zeitung
Strahlung als Metapher
Machen Handys krank?" - Im Kampf gegen Elektrosmog vermischen sich medizinische Diagnose und ideologische Kritik
Von Andreas Bernard
Die Geschichte moderner Verkehrs- und Kommunikationsmittel ist von einer verlässlichen Konstante durchzogen: In ihren Anfangsjahren gelte die Apparaturen stets als gesundheitsschädlich. In Handbüchern und Zeitschriftenaufsätzen aus der Frühzeit der Eisenbahn oder des Fahrstuhls, des Telefons, Radios oder Fernsehens tauchen jeweils ähnlich lautende Warnungen auf, die von einem übermäßigen Gebrauch der neuen Technik abraten; drastische Fallgeschichten werden ausgebreitet, um das Risiko der Nebenwirkungen darzustellen. Ebenso konstant wie dieser wiederkehrende Diskurs der Skepsis ist jedoch auch eine zweite, jeweils ein halbes Jahrhundert später einsetzende Redeordnung: die des leicht spöttischen Rückblicks auf die skurrilen Ängste der Gründergeneration. Milde lächelnd betrachtet man etwa Abbildungen von Eisenbahn-Passagieren des 19. Jahrhunderts, die fortwährend auf ihren Zehenspitzen stehen, um die vermeintlich schädlichen Effekte dauerhafter Vibration zu mildern, oder man ist befremdet von Warnungen aus der Frühzeit des Radios und Fernsehens, nicht allzu nahe vor dem Gerät zu sitzen. Zwei Diskursrituale umrahmen also seit 150 Jahren den Assimilationsprozess technischer Geräte: die Erregung des Anfangs und das Kopfschütteln des Rückblicks.
Freilandversuche am Menschen
Man sollte diese Konstellation nicht aus den Augen verlieren, wenn man sich mit der anhaltenden Debatte über "Elektrosmog" befasst, der Frage nach der Wirkung der elektromagnetischen Felder, die angeblich vor allem von Mobiltelefonen und den zugehörigen Sendemasten ausgehen. Seit einem knappen Jahrzehnt wird in den Zeitungen regelmäßig über Forschungsprojekte berichtet, die der Schädlichkeit der elektromagnetischen Felder auf die Spur kommen wollen, und kritische Bücher, mit Titeln wie "Das große Strahlen - Handy & Co.Die neuen Gefahren des Elektrosmogs", "Machen Handys und ihre Sender krank?" oder "Mobilfunk. Ein Freilandversuch am Menschen", werden in mehreren Auflagen gedruckt. Gerade in den letzten Wochen ist das Thema wieder Gegenstand öffentlicher Aufmerksamkeit geworden, weil sich die Versicherungen der Mobilfunkunternehmen zunehmend weigern, für die Deckung möglicher Schadensersatzforderungen zu garantieren. Welches Wissen steht also über das Phänomen "Elektrosmog" zur Verfügung?
Grundsätzlich fällt in der Diskussion auf, dass ich der Kenntnisstand der Forschung über die Jahre hinweg nicht fundamental geändert hat; auch nach mehreren tausend Studien zum Verhältnis von Mobilfunk und Erkrankungen wie etwa Krebs ist kein gesicherter Zusammenhang nachzuweisen. Sogar die bisher größte Publikation aus dem Umkreis der Kritiker, Thomas Grasbergers und Franz Kotteders Buch "Mobilfunk" gesteht ein. "Im Grunde lässt sich die öffentliche, aber auch die wissenschaftliche Diskussion derzeit auf einen Satz reduzieren: Es herrscht keine Gewissheit." Wie also lässt sich das unverändert leidenschaftliche Insistieren auf der Schädlichkeit des Mobilfunks, dem Mangel an Evidenzen zum Trotz, genauer erklären?
Innerhalb der Logik technikgeschichtlicher Prozesse folgen die mahnenden Stimmen dem eingangs erwähnten Muster; eine neue Apparatur wird zwangsläufig dem Verdacht ausgesetzt, kontaminierend zu wirken, was in diesem Fall bereits die Begriffswahl verdeutlicht: "Elektrosmog" überträgt eine Wortschöpfung aus der Klimaforschung ins Feld der Physik. Würde man die in den beiden letzten Jahren erschienenen Mobilfunk-Ratgeber mit ähnlichen, nach der Einführung des Radios oder Fernsehens publizierten Büchern vergleichen, ergäben sich aufschlussreiche Kongruenzen, etwa was den Gebrauch und die argumentative Funktion des Wortes "Strahlen" betrifft. Ohne diese Identifizierung physikalisch zu legitimieren, bezeichnen die meisten Autoren elektromagnetische Felder bereits im Buchtitel als "Strahlen", wodurch sich das Unbehagen vor dem Mobilfunk unweigerlich in eine lange Tradition fundamentaler Bedrohungen einreiht.
- Fortsetzung