Kommentar zur Schieflage der "Elektrosensiblen" (Elektrosensibilität)

H. Lamarr @, München, Mittwoch, 02.09.2015, 13:05 (vor 3376 Tagen) @ H. Lamarr

Persönlicher Kommentar von Frank Berner (Verein für Elektrosensible, München) zur aktuellen Lage von elektrosensiblen Menschen nach der Versteigerung neuer Mobilfunkfrequenzen.

Dem Kommentar von Herrn Berner kann ich nichts abgewinnen, was nicht zuvor schon Stand der Dinge war. Wer sich von dem Text einen programmatischen Aufruf erhoffte, wird enttäuscht sein. Herr Berner zäumt das Pferd wie bei "Elektrosensiblen" üblich, konsequent vom Schwanz auf, d.h. er beklagt staatsverdrossen die Gleichgültigkeit, die bekennenden "Elektrosensiblen" allenthalben entgegen schlägt. Neu ist dieses Lamento nicht, neu ist jedoch die krasse Schuldzuweisung an die Gesellschaft, die sich der "elektrosensible" Stuttgarter nicht etwa bei einem Naturwissenschaftler abgeschaut hat, sondern – wie passend – bei einem Religionswissenschaftler:

Auf der Suche nach Erklärungen für dieses unmenschliche Verhalten gibt Werner Thiede in seinem Buch „Digitaler Turmbau zu Babel“ gute Einblicke in Zusammenhänge und Hintergründe. Er bezieht sich treffend auf zyklisch auftretende große, kollektive Wahnvorstellungen in der Gesellschaft, gegen die kein Kraut gewachsen ist, solange die Schäden nicht unübersehbar schmerzlich werden. Tückisch ist, dass diese Wahnvorstellungen sich in Inhalt, Ziel und Form kaum zweimal auf dieselbe Weise zeigen. Das macht es zugegeben so schwer, sie zu erkennen.

Nicht die "Elektrosensiblen" unterliegen also der Wahnvorstellung, sie könnten schwache elektromagnetische Felder als körperliche Beeinträchtigung spüren, sondern die Gesellschaft ist schuld, weil sie sich dem technischen Fortschritt (Mobilfunk) nicht verschließt, ihn stattdessen in vollen Zügen "wahnhaft" genießt. Die gestelzt vorgetragenen Erklärungsformeln des Herrn Berner können vor allem Eltern kleiner Kinder plakativer formulieren: Mama, der Erwin ist schuld! Diesem Reflex, die Schuld bevorzugt bei Anderen zu suchen, widerstehen mWn nur ganz wenige "Elektrosensible" (etwa M. Bolli, Schweiz), Herr Berner zählt nicht dazu.

Um den Kern des Problems, das alle überzeugten Elektrosensiblen mit sich herumtragen, macht Herr Berner einen weiten Bogen, er reiht sich damit in eine seit mindestens zehn Jahren praktizierte Tradition ein. Gemeint ist: Medienerprobte "Elektrosensible" zeigen nur sehr selten echtes Interesse an einer wissenschaftlichen Objektivierung ihrer angeblichen unerwünschten Fähigkeiten, sie überspringen diesen für sie existenzgefährdenden ersten Schritt und erwarten, mal stur, mal blauäugig, dass ihnen ihre bekundeten Leidensgeschichten bedingungslos geglaubt werden. Doch so funktioniert die Welt nicht. In der Nestwärme von Hinterzimmern, Häkelgruppen oder Stammtischen mögen sie mit ihren anrührenden Schilderungen Eindruck machen, darüber hinaus aber versagen "Elektrosensible" bei ihren Versuchen, Entscheidungsträger zu überzeugen. Erfreulicherweise sind nämlich die meisten Entscheidungsträger durchaus in der Lage, weiche Fakten von harten zu unterscheiden, auch wenn sie einem dies nicht immer gleich ins Gesicht sagen.

Das Spielchen läuft so und nicht anders seit gut zehn Jahren, unabhängig davon, dass verbrauchte (unglaubwürdig gewordene) Akteure abtreten und neue hinzu kommen. Herr Berner ist einer dieser Spätzünder, bewegen wird er mit der Einstellung, die aus seinem Kommentar ersichtlich wird, meiner Einschätzung nach - nichts. Doch "Elektrosensible" sind nicht verwöhnt, sie freuen sich über alles, was sich mit ihnen beschäftigt, auch wenn es noch so nichtssagend ist und Hoffnungslosigkeit statt Perspektiven verströmt. Der Kommentar von Herrn Berner wird deshalb auch im Gigaherz-Forum den Lesern zum Verzehr dargereicht, nicht inhaltlich so oder so kommentiert, wie ich das in der Mittagspause hier mache, sondern nur kraft- und saftlos "zur Kenntnisnahme". Die Herrschaften, die "Elektrosensible" aus persönlichen Gründen in ihrer Phobie bestärken, sie baden selbst gerne lau.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Hoffnung, Objektivierung, Phobie, Idiopathie, Wahnvorstellung, Kommerz, Schuldzuweisung, Thiede


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