Neues von Berenis (14): Juni 2018 (Forschung)

H. Lamarr @, München, Freitag, 20.07.2018, 23:21 (vor 2326 Tagen)

Im Zeitraum Anfang November 2017 bis Mitte Januar 2018 wurden 65 neue Publikationen identifiziert, von denen acht von Berenis vertieft diskutiert wurden. Drei davon wurden gemäß den Auswahlkriterien als besonders relevant und somit zur Bewertung ausgewählt und werden im Folgenden auszugsweise zusammengefasst (Volltexte im Berenis-Newsletter Nr. 14). Diesmal ist ein besonders spannendes Thema mit dabei (Schweißkanäle als Antennen), das im Frühjahr 2018 anlässlich der parlamentarischen Vorgänge um eine Lockerung der Anlagegrenzwerte in der Schweiz von Mobilfunkgegnern ziemlich populistisch als potenzielles Hautkrebsrisiko in die Diskussion eingebracht wurde.

Experimentelle Tier- und Zellstudien

1. Hochfrequente Exposition und mitochondrialer oxidativer Stress, Apoptose und veränderte Kalziumkonzentrationen bei Ratten (Ertilav et al. 2018).

Die Resultate zeigen, dass Exposition bei 900 und 1800 MHz die TRPV1-Ströme, die intrazellulären Kalzium-Konzentrationen, die ROS-Produktion, die mitochondriale Membrandepolarisation sowie die Aktivität der Apoptose-Marker signifikant und frequenzabhängig steigerte. Die Autoren folgern, dass beide Frequenzen mitochondrialen oxidativen Stress, Apoptose und Kalziumeintritt in die Zelle durch eine Aktivierung der TRPV1-Kanäle frequenzabhängig initiieren. Weiterhin vermuten die Autoren, dass dieser Kanal ein Zielprotein für eine pharmakologische Behandlung für durch 900 und 1800 MHz EMF-induzierte Apoptose sowie peripheren Schmerz in Rattenmodellen darstellt.

Epidemiologische Studien

2. Niederfrequente Magnetfeldexposition während der Schwangerschaft und mögliche Auswirkungen auf Frühgeburtenrate und Grösse von Neugeborenen (Migault et al. 2017).

Es wurde kein Zusammenhang zwischen der kumulativen Magnetfeldexposition und der Wahrscheinlichkeit für eine moderate Frühgeburt beobachtet. Auch die Grösse der Neugeborenen stand nicht im Zusammenhang mit der mütterlichen Magnetfeldexposition während der Schwangerschaft. Es handelt sich um eine qualitativ gute Studie in einer grossen Kohorte von Müttern.

Dosimetrische Studien

3. Modellierung der Absorption von Strahlung im Sub-terahertz-Frequenzbereich durch die menschliche Haut (Betzalel et al. 2017).

Für numerische Studien der Absorption von elektromagnetischen Wellen im Menschen wird die Haut in den meisten Fällen als absorbierendes, homogenes Medium mit einem bestimmten Wassergehalt modelliert. Bisher wurden weitere Details wie die verschiedenen Schichten der Haut und weitere darin enthaltene Strukturen meist nicht berücksichtigt. Dies ist in den meisten Fällen dadurch gerechtfertigt, dass die Wellenlänge ein Vielfaches der Abmessungen der Gewebestrukturen beträgt. Durch eine entsprechende Mischung kann daher Gewebe als ein homogenes Medium angenähert werden. Für die Analyse der Absorption der höheren Frequenzbänder, wie sie zukünftig von 5G-Technologie genutzt werden sollen, ist eine solche Näherung zunehmend unzureichend. In der Publikation von Betzalel et al. (2017) wird der Einfluss der Struktur der Schweissdrüsen auf die Absorption untersucht. Mit einem optischen Tomographieverfahren konnte gezeigt werden, dass die Schweissdrüsen eine Helixstruktur aufweisen. Diese Struktur wird als deutlich leitfähiger als das umgebende Gewebe angenommen, da Schweiss einen viel höheren Salzgehalt, also eine höhere Ionenkonzentration aufweist. In den sogenannten Sub-terahertzbändern (Frequenzen ab 30 GHz, Wellenlänge im Gewebe im Bereich von 1 mm) werden solche Strukturen für die Modellierung der Absorption des Gewebes relevant. In der vorliegenden Studie wird ein detaillierteres Model der Haut verwendet. Es enthält prinzipiell zwei Schichten, die Dermis (Lederhaut) und die Epidermis (Oberhaut). Die jeweiligen Schichten sind sinusförmig gewellt ineinander verzahnt und enthalten helixförmige Schweissdrüsen. Da vorerst noch keine Messdaten der entsprechenden Gewebe in diesem Frequenzbereich vorliegen, wurden die physikalischen Gewebeparameter basierend auf dem Wassergehalt der einzelnen Schichten abgeschätzt.
Die Resultate der Modellierung zeigen, dass bei Sub-terahertzfrequenzen die Topologie und die feineren Strukturen der Haut einen signifikanten Einfluss auf die Absorption in der Haut haben. Der Unterschied der lokal maximalen SAR in der Haut mit und ohne Berücksichtigung von Schweissdrüsen beträgt in dieser Studie einen Faktor 1'000 - 10'000. Die Schweissdrüsen stellen sich dabei als Mikrostrukturen mit einer sehr stark erhöhten Absorptionsfähigkeit heraus. Die Resultate der Studie sollten in weiteren Untersuchungen verifiziert und validiert werden. Zudem sollten die entsprechenden Gewebeparameter durch Messungen bestimmt werden. Interessant wäre auch die Erweiterung der Modellierung auf andere Gewebestrukturen als Schweissdrüsen und auf tiefere Frequenzbereiche.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Oxidativer Stress, Kalzium, Betzalel, Migault, Schweißdrüen


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