Tanne im Hauptstrahl: Eine Story und ihr Hintergrund (I) (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 04.10.2015, 23:04 (vor 3344 Tagen) @ H. Lamarr

Am 25. September 2015 statteten wir der Wohngegend von Frau W. in München Obermenzing wieder einmal einen unserer gern gesehenen Besuche ab. Ziel war es, einer weiteren Mordgeschichte der alten Dame an einer Tanne auf den Grund zu gehen, die sie hier bei Gigaherz zum besten gegeben hat. Es geht um eine offensichtlich absterbende Tanne, die im Hauptstrahl des rd. 94 Meter entfernten Lieblings-Mobilfunk-Sendemasten von Frau Weber steht. Doch hält der Eindruck, den die Fotos von Frau Weber vermitteln, auch einer Inaugenscheinnahme vor Ort stand? Meine Antwort lautet ohne Wenn & Aber: Nein.

Das folgende Bild zeigt in der Bildmitte den Standort des Sendemasten und die drei Hauptstrahlrichtungen der Antennen (gelbe Linien). Die Tanne, um die es diesmal geht, steht an Position B1.

Übersichtsbild: Sendemast mit drei Hauptstrahlrichtungen in München-Obermenzing
[image]

An den fünf B-Positionen (grüne Punkte) im Bild haben wir Fotos gemacht, an den MP-Positionen (gelbe Punkte) haben wir mit einem einfachen Breitbandmessgerät die Größenordnung der Funkimmission ca. 1,5 Meter über Erdboden gemessen.

Todkranke Tanne zwischen prächtigen Laubbäumen

Bereits Bild B1 zeigt den wichtigsten Einwand gegen Frau Webers These, die Tanne würde von den Funkwellen des Mobilfunk-Sendemasten geschädigt:

Bild B1: Sicht aus Richtung Sendemast auf die geschädigte Tanne
[image]

Bild B1a: Wie Bild B1, nur aus einem anderen Blickwinkel
[image]

Unmittelbar links und rechts neben der von oben nach unten absterbenden Tanne sind zwei quicklebendige Laubbäume erkennbar. Der im Bild B1 rechts stehende ist schon älter, der links von der Tanne war 2008 noch ein kleines Bäumchen, das seither - mitten im Hauptstrahl - zu einem stattlichen Baum herangewachsen ist. Da Frau Weber hier in einem Kommentar behauptet "Es betrifft alle Baumsorten", ist nicht ersichtlich, wieso es die Tanne treffen sollte, nicht aber die beiden unmittelbar daneben stehenden Laubbäume. Auffällig ist: Alle von Frau Weber präsentierten Fotos sind so beschnitten, dass die benachbarten Bäume nicht oder nur zum kleinen Teil erkennbar sind.

Da die kranke Tanne auf dem Grundstück eines Kfz-Betriebs für uns unerreichbar war, haben wir bezogen auf Bild B1 "hinter" ihr auf einer Nebenstraße gemessen (Messpunkt MP1) und "vor" ihr auf dem betretbaren Gelände des Betriebes (Messpunkt MP3):

MP1: 600 µW/m² (Peak); 100 µW/m² (RMS)
MP3: keine Werte, max. Messbereich des Messgeräts (2 mW/m²) wurde überschritten (Überlauf)

Noch ein vermeintliches Opfer der Funkwellen

An der Position B2 (Übersichtsbild) befindet sich ein Laubbäumchen, wie es gerne in den Grünflächen zwischen Parkbuchten gepflanzt wird. Dieses Bäumchen liegt ebenfalls im Hauptstrahl, wenn auch etwas Abseits von dessen Mitte. Da die kräftigen Laubbäume an Position B1 keinerlei Schadspuren zeigen, müsste auch das Bäumchen an Position B2 unversehrt sein. Ist es jedoch nicht:

Bild B2: Kahles Bäumchen rd. 120 Meter vom Sendemasten weg im Hauptstrahl
[image]

Das völlig entlaubte Bäumchen (links von Bildmitte) ist insofern auffällig, weil die anderen Bäume und Bäumchen entlang der Straße ersichtlich noch gut belaubt sind. Was dem Entlaubten zusetzt weiß ich nicht. Doch Funk kann es nicht sein, denn z.B. die beiden Laubbäume neben der absterbenden Tanne gedeihen prächtig (siehe Bild B1) und der eine von ihnen schirmt das völlig entlaubte Bäumchen zudem noch perfekt auf Linie ab. Das passt alles nicht zusammen, um einen neuen Alarm auszulösen. Überraschenderweise ließ Frau Weber das kahle Bäumchen bislang unbeachtet.

Gesunde Tanne im Hauptstrahl

Position B3 (Übersichtsbild) habe ich nur deshalb mit in dieses Posting aufgenommen, weil dort eine große und augenscheinlich gesunde Tanne in unmittelbarer Nähe der kranken Tanne steht.

Bild B3: Dieser Tanne mitten im Hauptstrahl macht Funk offensichtlich nichts aus
[image]

Die gesunde Tanne steht näher als die kranke zum Zentrum des Hauptstrahls. Der gesunde Baum müsste, sollte es einen Kausalzusammenhang mit Funk geben, noch stärkere Schäden zeigen als seine kranke Nachbarin – doch dies trifft offenkundig nicht zu.

Keine Baumschäden im 80°-Hauptstrahl

Im 320°-Hauptstrahl fanden wir außer der absterbenden Tanne (B1) und dem entlaubten Bäumchen (B2) keine weiteren Besonderheiten, die auch fachlichen Laien wie uns ins Auge fallen konnten. Wir prüften deshalb, ob sich im 80°-Hauptstrahl Auffälligkeiten feststellen ließen.

Position B4 haben wir ausgesucht, weil sie in etwa im gleichen Abstand zum Sendemast ist wie Position B1. Das zugehörige Foto Bild B4 zeigt jedoch bei den Alleebäumen keinerlei Auffälligkeiten.

Bild B4: Bäume entlang der Von-Kahr-Straße mit Blickrichtung zum Sendemasten
[image]

An Position B5 steht eine große Schwarzkiefer dicht am Zentrum des Hauptstrahls. Bild B5 aber belegt, dem Baum macht die Einwirkung der Funkwellen offensichtlich nicht das Geringste aus.

Bild B5: Die alles überragende Kiefer steht 70 Meter vom Sendemasten weg im Hauptstrahl
[image]

Messwerte vor dem Haus von Frau Weber

Da wir nun schon mal in der Gegend waren, haben wir etwas nachgeholt, was längst schon hätte geschehen müssen: Messwerte vor dem Haus von Frau Weber nehmen. Die alte Dame ist zwar mit Messtechnik gut ausgestattet jedoch sehr darauf bedacht, nur die Werte zu nennen, die "dramatisch" sind. Dies sind aus ihrer Sicht die Werte in ihrem Garten, von dem aus Sichtverbindung zum Sendemasten möglich ist. Über alle anderen Werte gibt sie selbst auf Nachfrage keine Auskunft. Und ich meine auch zu wissen warum: Diese ungenannten Werte sind allesamt unspektakulär niedrig, selbst aus der verzerrten Sicht überzeugter Mobilfunkgegner.

Gemessen habe ich vor Frau Webers Gartentür, die etwa fünf Meter vom Hauseingang entfernt ist. Dies ist der im Übersichtsbild oben nicht auffindbare Messpunkt MP2 außerhalb der Bildfläche gewesen:

Das Haus von Frau Weber (rechts) wird vom Nachbarhaus gut geschirmt
[image]

Die Werte (Peak) schwankten dort zwischen etwa 30 µW/m² und 50 µW/m². Genaue Angaben sind schlecht möglich, denn wegen starker Interferenzen schwanken die Messwerte dort schon bei kleinen Bewegungen des Messgeräts stark. Eine Peak-Hold-Funktion zum Festhalten des höchsten Werts hat das verwendete Messgerät (HF 35C) nicht, außerdem finde ich die Messwertnahme eines einsamen einzelnen Höchstwertes zwar bequem für Messtechniker, jedoch nicht sonderlich praxisgerecht und realitätsfremd. Bei wissenschaftlichen Studien werden derartige Ausreißer, zu denen auch Peak-Hold-Messwerte zählen, als "Outliers" häufig von statistischen Betrachtungen über Datenreihen ausgeschlossen.

Verantwortlich für die niedrigen Messwerte ist Frau Webers nördliches Nachbarhaus, es steht goldrichtig zwischen dem Sendemasten und ihrem Haus. Im Erdgeschoss des Weber-Hauses sollten deshalb Werte unter 10 µW/m² herrschen, im ersten Obergeschoss (Schlafzimmer zur Straßenseite) würden mich Werte über 30 µW/m² überraschen, ein zweites (bewohnbares) Obergeschoss gibt es im schnuckeligen Weber-Haus nicht.

Weiter zu Teil II

--
Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Gerücht, Hauptstrahl, Knatterbox, Immission, Baumkasuistik, Nadelgehölz, Baumsterben, Nadelbaum, Peak-Hold, Untermenzing, Tanne, Erwartung, Laubbaum, Messwert, Laiendarstellung


gesamter Thread:

 RSS-Feed dieser Diskussion

powered by my little forum