Charité prüft Reflex-Studie (Berlin) auf Unregelmäßigkeiten (Forschung)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 10.07.2011, 23:28 (vor 4892 Tagen)

Unter dem Titel "Fälschung an der Charité" bringt der aktuelle "Spiegel", Heft 28/2011 (seit Sonntag im Handel), einen Bericht über eine Doktorarbeit, die allem Anschein nach auf manipulierten Daten beruht. Kein neuer "Fall Guttenberg" also, aber dennoch spektakulär. Denn die Doktorarbeit von Frau K. entstand am Institut von Prof. Rudolf Tauber, thematisch sehr eng mit der heftig umstrittenen "Reflex"-Studie verbunden, berichtet auch sie von Strangbrüchen im Erbgut infolge der Einwirkung schwacher Funkfelder. Hier im Forum haben wir Ende 2009 über ein Fragment diese Doktorarbeit diskutiert, damals stand sie im Internet frei zum Download, heute ist diese Quelle versiegt.

Die Ungereimtheiten in besagter Doktorarbeit entdeckte Prof. Alexander Lerchl, Bremen. Da sich trotz längerem Hin und Her mit der Charité die offenen Fragen nicht klären ließen, forderte Lerchl die Originaldaten der Dissertation an. Bei deren Analyse fiel ihm zunächst nur eine vermeintliche Kleinigkeit auf: Die Messwerte für exponierte und nicht exponierte Zellen waren angeblich mit einem Faktor (Zahlenwert) angepasst worden, um Unterschiede bei der Art der Auswertung zu kompensieren (mit und ohne Bildauswerteprogramm). Ein nicht unübliches Verfahren. Doch statt einem Faktor waren es bei genauerem Hinsehen gleich vier Faktoren, die auf die Daten eingewirkt haben müssen und einer dieser vier Faktoren passte nicht ins plausible Schema der übrigen: Hätte dieser Faktor den Wert 6 gehabt, so Lerchl auf Anfrage des IZgMF, wäre ihm an den Daten nichts aufgefallen. Doch der Wert war 5! Damit lag bereits ein klares Indiz für Datenmanipulation am Kern der Dissertation vor. Lerchl fand jedoch noch mehr Hinweise auf Schmu, zum Beispiel Doubletten bei den Bildern abgelichteter Kometenschweife. Original-Bilder waren durch Copy-Paste und geringfügige Bildveränderungen einfach vervielfältigt worden. Ein weiteres Indiz für Manipulation steuert der Hersteller des Bildauswerteprogramms bei. Nach Auskunft des Bremer Professors sagt der Hersteller, die Bilder der Dissertation seien für eine automatische Vermessung der Kometeigenschaften mit seinem Programm qualitativ ungeeignet.

Bis zu diesem Punkt ist die Verbindung zwischen der Doktorarbeit und der Reflex-Studie nur schemenhaft erkennbar. Eine Analyse der Metadaten in den Originaldokumenten machte jedoch deutlich: Die Daten stammen ursprünglich nicht von der Doktorandin, sondern von Dr. R. Gminski. Der Doktor der Naturwissenschaften war während der Entstehung der Reflex-Studie Mitarbeiter von Prof. Tauber und er ist Autor einiger Beiträge (Poster, Kongress-Beiträge) über den Berliner Teil von "Reflex". Heute ist Gminski am Institut für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene der Universität Freiburg beschäftigt, sein Chef ist der Institutsleiter Prof. Volker Mersch-Sundermann. Der Institutsleiter wiederum hat Spuren in den Tabakdokumenten hinterlassen, 52-mal taucht er dort auf. Und gleich die erste Fundstelle vom Juni 2000 belegt, Mersch-Sundermann hat vom Verband der Cigarettenindustrie (VdC) 1 Mio. DM erhalten, für Laborausstattung, wie es heißt. Im September 2000 nahm der Wissenschaftler erstmals an einem Meeting des "Scientific Policy Committee" des VdC teil. Die Datenbank „Biomed“ bescheinigt Dr. Gminski die Mitwirkung an fünf wissenschaftliche Publikationen zwischen 2001 und 2004, Mersch-Sundermann war jedes mal Co-Autor.

In Anbetracht der in den vergangenen Monaten sich prekär zuspitzenden Umstände hat Prof. Tauber Mitte Juni 2011 erklärt, er habe beim Ombudsmann der Charité um eine Untersuchung des Berliner Teils von "Reflex" gebeten. Dieser Schritt muss ihm als Institutsleiter schwer gefallen sein. Möglicherweise bestärkte ihn in seiner Entscheidung, dass die Reflex-Mitarbeiter Dr. Schlatterer und Dr. Fitzner auch die Betreuer der Doktorandin K. waren, die ihre
Dissertation von 2000 bis 2006 schrieb, ein Zeitraum, der voll mit "Reflex" überlappt.

Insider halten es für möglich, dass Prof. Tauber mit "Reflex" hinters Licht geführt wurde und er selbst frühzeitig Zweifel an den Ergebnissen seiner Arbeitsgruppe hatte. Dies würde plausibel erklären, warum die Ergebnisse der Berliner Arbeitsgruppe bis heute nicht wissenschaftlich, also peer-reviewed publiziert wurden (im Gegensatz zu der umstrittenen Arbeit der Wiener Reflex-Arbeitsgruppe). Bekanntlich wird bei renommierten Zeitschriften während einer Peer-Review ein Manuskript von Fachleuten sehr genau geprüft, um Arbeiten mit qualitativen Mängeln auszuschließen. Sollten Bedenken Taubers tatsächlich der Grund dafür gewesen sein, der geprüften Publikation aus dem Weg zu gehen, darf man gespannt sein, was die Untersuchungskommission der Charité im frisch geöffneten Bauch der Berliner Reflex-Studie alles finden wird. Läuft es für Mobilfunkgegner schlecht, verlieren sie mit „Reflex“ einen ihrer zentralen Stützpfeiler.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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